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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wildenbruch; Wildenfels; Wildenschwert; Wildenspucher Kreuzigung; Wilder; Wilder Mann

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Wildenbruch - Wilder Mann.

große Pflastersteinbrüche, etwas Bergbau und (1885) 1381 Einw. W. ist die kleinste, aber wahrscheinlich die älteste der sieben Bergstädte und wurde 1529 von fränkischen Bergleuten gegründet.

Wildenbruch, Ernst von, Dichter und Schriftsteller, geb. 3. Febr. 1845 zu Beirut in Syrien als Sohn des dortigen preußischen Generalkonsuls, verlebte seine Knabenjahre in Athen und Konstantinopel, wo sein Vater den Gesandtschaftsposten bekleidete, kam 1857 mit den zurückkehrenden Eltern nach Deutschland, besuchte das Pädagogium in Halle, dann das französische Gymnasium in Berlin, trat 1859 in das Kadettenkorps zu Potsdam und wurde 1863 Offizier im 1. Garderegiment in Potsdam. Da jedoch die Militärkarriere seiner Neigung nicht entsprach, nahm er 1865 seinen Abschied, um sich einer wissenschaftlichen Laufbahn zu widmen, bereitete sich auf dem Gymnasium zu Burg bei Magdeburg auf die Hochschule vor und studierte dann, nachdem er inzwischen den Feldzug von 1866 als Landwehrleutnant mitgemacht, 1867-70 in Berlin die Rechte, worauf er auch an dem Feldzug gegen Frankreich teilnahm. 1871-76 lebte er als Referendar in Frankfurt a. O., fungierte dann kurze Zeit als Richter am Stadtgericht zu Berlin und ist seit 1877 im Auswärtigen Amte des Deutschen Reichs, seit 1889 mit dem Titel Legationsrat, beschäftigt. Als Dichter machte sich W. zuerst durch seine Heldenlieder bekannt: »Vionville« (Berl. 1874, 3. Aufl. 1883) und »Sedan« (Frankf. a. O. 1875, 2. Aufl. 1887). Vorhergingen: »Die Philologen am Parnaß, oder: die Vivisektoren« (Satyrspiel, Berl. 1869) und »Die Söhne der Sibyllen und der Nornen« (Gedicht, das. 1872); später folgten: »Lieder und Gesänge« (das. 1877), »Kinderthränen«, zwei Erzählungen (3. Aufl., das. 1884); die anziehende Künstlergeschichte aus Althellas: »Der Meister von Tanagra« (6. Aufl., das. 1886), »Novellen« (4. Aufl., das. 1885), »Lieder und Balladen« (2. Aufl. 1886), »Neue Novellen« (das. 1885), »Humoresken und anderes« (3. Aufl., das. 1886), »Der Astronom« (das. 1887) etc. Am bedeutendsten aber tritt W. als Dramatiker hervor mit einer Reihe von Dichtungen, die der Mehrzahl nach mit großem Erfolg zur Aufführung gelangten und ihm 1884 den von Kaiser Wilhelm I. gestifteten Schillerpreis eintrugen. Es sind die Tragödien: »Die Karolinger« (4. Aufl., Berl. 1887), »Harold« (4. Aufl., das. 1884), »Der Mennonit« (3. Aufl., das. 1886), »Christoph Marlow« (das. 1884) und die Schauspiele: »Opfer um Opfer« (das. 1883), »Väter und Söhne« (2. Aufl., das. 1888), »Die Herrin ihrer Hand« (das. 1885), »Das neue Gebot« (das. 1886), »Der Fürst von Verona« (das. 1887) u. »Die Quitzows« (das. 1888), in welch letzterm er mit großem Glück den Boden des Volksschauspiels betrat.

Wildenfels, Hauptstadt der Standesherrschaft der Grafen Solms-Laubach-W. in der sächs. Kreis- und Amtshauptmannschaft Zwickau, unweit der Zwickauer Mulde, 361 m ü. M., hat eine evang. Kirche, ein prachtvolles Schloß mit schönem Garten und großen Gewächshäusern, ein Amtsgericht, Holzstoff- und Papierfabrikation, Weberei, Marmorbrüche, Kalkbrennerei und (1885) 2806 fast nur evang. Einwohner. - Die frühsten Dynasten von W., welche seit 1222 urkundlich vorkommen, führten den Namen Anarg (Onarg) von W. Sie waren Lehnsleute der Burggrafen von Meißen und seit 1440 von Sachsen. Nachdem die Dynastie 1602 mit Friedrich Anarg von W. ausgestorben war, kam W. an die Grafen von Solms-Laubach, deren Zweig Solms-W. es noch besitzt (s. Solms).

Wildenschwert (tschech. Oustí nad Orlicí), Stadt in der böhm. Bezirkshauptmannschaft Landskron, an der Mündung der Trübau in die Stille Adler, an der Linie Wien-Prag der Österreichisch-Ungarischen Staatseisenbahn, von welcher hier die Linie W.-Geiersberg der Österreichischen Nordwestbahn abzweigt, hat ein Bezirksgericht, eine Dechanteikirche, starke Lein-, Baumwoll-, Seiden- und Samtweberei und (1880) 4127 Einw.

Wildenspucher Kreuzigung, einer der ersten und greuelhaftesten Exzesse der religiösen Schwärmerei, welche nach Napoleons Sturz die Völker zu ergreifen drohte. Margarete Peter, Tochter eines Landmanns in Wildenspuch im Kanton Zürich, geb. 1794, war von der Frau von Krüdener (s. d.) und ähnlichem Umgang, zumal dem Vikar Jakob Ganz, mit Sorgen um das Seelenheil der Welt erfüllt worden. Von ihrer Umgebung als Heilige verehrt und, auch nachdem sie 10. Jan. 1823 Mutter eines unehelichen Kindes geworden, nicht in ihrem Glauben an sich selbst erschüttert, ließ sie sich endlich 16. März d. J., um dadurch viele tausend Seelen zu erlösen, mit unglaublichem Mut kreuzigen. Als sie nicht, wie sie vorausgesagt, am dritten Tag auferstand, wurde ihr Anhang verhaftet und wanderte in das Zuchthaus. Vgl. Scherr, Die Gekreuzigte oder das Passionsspiel von Wildisbuch (2. Aufl., Leipz. 1874).

Wilder, Victor van, Musikschriftsteller, geb. 21. Aug. 1835 zu Wetteren bei Gent, studierte daselbst die Rechte, wandte sich aber später, nach vorangegangenen Studien am Konservatorium, der Musik zu, war mehrere Jahre als Musikkritiker thätig und siedelte Ende der 50er Jahre nach Paris über, wo er sich durch seine Übersetzungen, bez. Textbearbeitungen deutscher Vokalwerke, namentlich Schumannscher Lieder und Kantaten, der Opern: »L'oca del Cairo« von Mozart und »Der häusliche Krieg« von Schubert, einen Namen erwarb. Neuerdings hat er sich vorwiegend schriftstellerisch beschäftigt und sowohl mit seinen musikalischen Kritiken im »Évènement«, später im »Gil-Blas« als auch mit seinen meist für die Musikzeitung »Ménestrel« geschriebenen größern biographischen Arbeiten Beifall gefunden. Von diesen sind auch in Buchform erschienen: »Mozart, l'homme et l'artiste« (2. Aufl. 1881) und »Beethoven, sa vie et son œuvre« (1883).

Wilder Mann, landläufige Bezeichnung für einen Verbrecher, welcher wegen Geistesstörung und daraus gefolgerter Unzurechnungsfähigkeit nicht bestraft, sondern in einer Irrenanstalt untergebracht wird; auch Bezeichnung für Angeschuldigte, welche Geisteskrankheit simulieren. - Im deutschen und slawischen Volksglauben, namentlich in tiroler Volkssagen, sind wilde Männer (und Frauen), auch Holzleute genannt, halbtierische Bewohner der Wälder, Abkömmlinge der klassischen Faune und Panisken, die wie allwissende und kräuterkundige Elementargeister und Vegetationsdämonen angesehen wurden. Man nannte sie auch die Behaarten (Pilosi), weil sie am ganzen Leibe behaart abgebildet und so als Wappenhalter in der Kunst und Heraldik Verwendung fanden. Auch ihre Namen Schrat (altd. scrat, slaw. scret), Waldschrat oder Schrätlein scheinen das rauhe, zottige Aussehen bezeichnen zu sollen. Auf Silvanus paßt der tiroler Name Salvanel. Da sie auch in Baumrinde und grünes Moos gekleidet und mit grünen Moosbärten versehen abgebildet wurden (heute in sogen. Riesengebirgswaren nachgeahmt), so nannte man sie auch Moosmännchen und Moosweibchen (franz. dame verte).