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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kastilien

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Kastilien (Geschichte).

Neukastilien (Castilla la nueva) grenzt gegen N. an Altkastilien, im O. an Aragonien und Valencia, gegen S. an Murcia und Andalusien, gegen W. an Estremadura und umfaßt den bei weitem größten Teil des südlichen Tafellandes. Es zerfällt in die fünf Provinzen: Madrid, Toledo, Guadalajara, Ciudad-Real und Cuenca und hat Madrid zur Hauptstadt. Das Areal beträgt 72,565 qkm (1318 QM.). Die Bevölkerung zählt (1878) 1,627,945 Einw. Die Neukastilier sind ein aus der Vermischung der Mozaraber (d. h. der von den Arabern unterjochten Westgoten) und der Spanier, welche sich nach der Besiegung und Vertreibung der Mauren hier niederließen, hervorgegangenes Mischlingsvolk. Sie sind ein kräftiger Menschenschlag, die Männer hager, aber muskulös, von mittlerer Größe, die Frauen meist voll und schlank, von großer Lebhaftigkeit und mit viel natürlicher Grazie begabt. Unter allen Zentralspaniern sind sie zugleich die talentvollsten und besitzen namentlich viel Mutterwitz. (Genaueres s. unter den einzelnen Provinzen.)

[Geschichte.] K., das alte Bardulien, das Gebiet des obern Ebro, von den zahlreichen Bergschlössern (castella) K. genannt, stand seit dem 8. Jahrh. unter der Herrschaft der Könige von Asturien und Leon, welche das Land durch eingeborne Grafen verwalten ließen. Fernan Gonzalez wird im 10. Jahrh. als erster Graf von K. genannt. Durch Aufstände gegen die Könige Ramiro II. (931-950), Ordono III. (950-957) und Sancho I. (957-966) suchte er die Unabhängigkeit seines Landes von Leon zu erreichen, obwohl vergeblich. Sein Sohn Garcias Fernandez herrschte auch bis 1000 fast selbständig. Dessen Sohn und Nachfolger Sancho hinterließ die Herrschaft seinem Sohn, dem Grafen Garcias, und nach dessen Ermordung 1026 ging sie auf Sanchos Schwiegersohn, den König Sancho Mayor von Navarra, über, der bei seinem Tod (1035) K. seinem Sohn Ferdinand gab. Dieser besiegte am Carrion 1037 seinen Schwager, den König Bermudo III. von Leon, der in der Schlacht fiel, und vereinigte hierauf ganz Leon mit seiner bisherigen Herrschaft zum Königreich K., das unter Ferdinands Fürsorge und verständiger Regierung immer mehr zu Glück und Macht emporstieg. Er schlug in der Schlacht von Atapuerta 1054 einen Angriff seines neidischen Bruders Garcias von Navarra zurück; vereinigte das navarresische Gebiet auf dem rechten Ebroufer mit K. und erweiterte durch glückliche Kämpfe mit den Arabern die Grenzen seines Reichs beträchtlich nach Süden. Bei seinem Tode (1067) teilte er sein Reich unter seine drei Söhne, von denen Sancho II. K., Alfons Leon und Asturien, Garcias Galicien erhielt. Indes Sancho II. (1067-1072) vertrieb seine Brüder; nach seinem Tode durch Meuchelmord bemächtigte sich Alfons VI. (1072-1109), sein Bruder, des Reichs und teilte sich 1076 mit Aragonien in das Königreich Navarra. Er regierte mit Weisheit und Kraft und führte siegreiche Kriege gegen die Ungläubigen; nur verlor er 1080 in der unglücklichen Schlacht bei Ucles seinen einzigen Sohn, Sancho. Unter ihm wurde das römisch-hierarchische Kirchensystem auch in K. begründet. Seine Tochter Urraca vermählte sich nach seinem Tod mit Alfons I. von Aragonien, doch gereichte die Vereinigung beider Reiche zu einem Königreich Hispanien keinem zum Segen. Der kastilische Adel erhob sich endlich gegen die aragonische Herrschaft und rief Urracas Sohn erster Ehe, Alfons Raimundez, zum König aus. Nach langem blutigen Krieg wurden die Reiche 1127 wieder getrennt; K. mit Leon und Galicien wurde das Gebiet Alfons' VII. oder VIII. (1127-57), welcher den Titel eines "Kaisers von Spanien" annahm und tapfer gegen die Araber focht. Unter seinen Söhnen und Nachfolgern wurde das kastilische Reich zerrissen, indem Leon, Galicien, Asturien und Navarra sich unabhängig machten. In K. folgte auf Alfons VII. Alfons VIII. oder IX., der Edle (1157-1214). Dieser hinterließ die Krone seinem elfjährigen Sohn Heinrich I., der jedoch schon 1217 verunglückte. Nun brachen wieder heftige Bürgerkriege aus, bis 1230 durch einen Vertrag Ferdinand III., Sohn von Heinrichs Schwester Berengaria und dem König Alfons IX. von Leon, als König von K. und Leon anerkannt und dabei festgesetzt wurde, daß beide Staaten in Zukunft ein einziges, unteilbares Reich bilden und die Erbfolge auf den ältesten Sohn und in Ermangelung männlicher Erben auf die weibliche Linie übergehen sollte. Ferdinand III., der Heilige (1230-52), war ein ebenso weiser Regent wie tapferer Feldherr; er eroberte 1236 Cordova, 1248 Sevilla und brachte das Land bis zur Südküste unter kastilische Herrschaft, ja sogar Granada in Lehnsabhängigkeit von K. Ihm folgte 1252-84 sein ältester Sohn, Alfons X., der Weise, der mit großer Freigebigkeit Künste und Wissenschaften unterstützte. Er bedrückte aber das Land mit neuen Steuern und erregte dadurch, daß er die Söhne seines erstgebornen Sohns, Ferdinand, vom Thron ausschloß und seinen zweiten Sohn, Sancho, zum Nachfolger bestimmte, einen Thronstreit, an dem sich namentlich Frankreich beteiligte, und der Kastiliens Macht bedeutend schwächte, das Volk verwilderte und den Adel zu Trotz und Überhebung verleitete. Unter Sancho IV. (1284-95) brach bereits eine Empörung der mächtigen Edelleute aus. Gegen den minderjährigen Ferdinand IV. (1295-1312), dessen legitime Geburt angezweifelt wurde, erhoben sich mehrere Prätendenten, und auch die Nachbarreiche suchten sich auf Kosten Kastiliens zu vergrößern; indes seine Mutter Maria de Molina, welche die Regentschaft führte, wußte diese Gefahren durch Weisheit und Standhaftigkeit zu überwinden. Neue Streitigkeiten brachen aus, als nach Ferdinands plötzlichem Tode die Krone an dessen zweijährigen Sohn Alfons XI. (1312-50) fiel; das Reich wurde durch diese innern Kämpfe völlig zerrüttet. Erst 1335 gelang es Alfons, durch Grausamkeit und Hinterlist der Empörungen Herr zu werden und durch die Bewilligung der Alcavala (einer Steuer) eine unabhängige Stellung zu gewinnen. Er eroberte darauf 1344 Algeziras und starb bei der Belagerung von Gibraltar 1350. Ihm folgte Peter der Grausame (1350-69), der durch seine Greuelthaten eine Erhebung seines Halbbruders Heinrich von Trastamara veranlaßte und 1369 von diesem bei Montiel geschlagen u. getötet wurde. Heinrich II. (1369-79) behauptete den Thron gegen Peters Schwiegersohn Johann von Lancaster und erwarb Viscaya. Sein Sohn Johann I. (1379-90) führte Krieg mit den Portugiesen und Engländern um den Besitz seines Throns, vertrug sich aber 1387 im Vertrag von Bayonne mit dem Haus Lancaster und 1389 mit Portugal. Ihm folgte der elfjährige Heinrich III. (1390-1406), dessen Minderjährigkeit Streitigkeiten über die Reichsverwaltung veranlaßte, die das Land furchtbar zerrütteten. Da erklärte sich der junge 14jährige König 1393 für mündig, vermählte sich mit Katharine von Lancaster und führte die Regierung selbst und zwar mit großer Energie. Unter ihm wurden 1402 die Kanarischen Inseln zuerst von K. besetzt. Nach seinem frühen Tod folgte Johann II.