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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Geschichte 1815-61)

Zu derselben Zeit war auch die bundesstaatliche Politik in ihre entscheidende Phase getreten. Österreich trat jetzt dem Bündnis vom 26. Mai schroffer gegenüber, zumal seit sich ergab, daß Hannover und Sachsen selbst nicht geneigt waren, bei jenem Bündnis zu beharren und die preuß. Hegemonie auf die Dauer anzuerkennen. P. berief das Unionsparlament 20. März 1850 nach Erfurt; die dort angenommene Unionsverfassung wurde im Mai dem in Berlin tagenden Kongreß der Unionsfürsten vorgelegt. Man konnte sich aber hier nur zu dem Beschluß vereinigen, daß ein provisorisches Fürstenkollegium die Centralgewalt der Union bilden sollte. Die Mittelstaaten steuerten bereits der Wiederherstellung des Bundestags unter österr. Führung zu; aber noch opponierte P. entschieden gegen diese Wiederherstellung. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 193.) Erst das Resultat der Dresdner Konferenzen (s. d.) veranlaßte P. seit Mitte Mai 1851 wieder an dessen Beratungen teilzunehmen, und einige Zeit darauf löste es auch diejenigen seiner Provinzen, die es 1848 dem Deutschen Bunde einverleibt hatte, wieder von diesem ab.

Auch im Innern machte sich unter dem Ministerium Manteuffel eine gleiche Rückkehr zu konservativen Maßregeln geltend. Es ward bereits gegen die 1850 beschlossene freiere Gesetzgebung, z. B. die Gemeindeordnungen, reagiert, die Preßgesetzgebung verschärft, die Beamtendisciplin strenger gehandhabt. Strengere Maßregeln der Kirchenpolizei, Verfolgung der Freien Gemeinden und die Wiederberufung der für erloschen gehaltenen Provinziallandtage mit ihrem Übergewicht des ländlichen Großgrundbesitzes waren die ersten Erfolge dieser Richtung. Es folgten später die Wiederherstellung des privilegierten Gerichtsstandes, der gutsherrlichen Polizeigewalt, Disciplinargesetze für die Beamten u. a. Der 1852 an den König herantretenden Versuchung, durch Staatsstreich die Verfassung aufzuheben, widerstand Friedrich Wilhelm und setzte auch 1853 in der Frage der Zusammensetzung der Ersten Kammer (seit 1855 Herrenhaus genannt) gegenüber den Ansprüchen der feudalen Partei seinen Willen durch. Den gefährlichen Folgen der Halbbildung für die niedern Schichten des Volks vermeinte man vorzubeugen durch Beschränkung des Pensums der Volksschulen und durch besondere Pflege des Religionsunterrichts in denselben. In diesem Sinne erließ (3. Okt. 1854) der Kultusminister von Raumer die drei sog. Regulative über die Einrichtung des evang. Seminar-, Präparanden- und Elementarunterrichts. Nicht geringe Thätigkeit entfalteten die orthodoxen Kreise auf dem Gebiete christl. Liebeswerke und der innern Mission. Auf materiellen Gebieten konnte man eine rege Förderung nicht verkennen, und namentlich erlangte das Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen eine bedeutende Entwicklung. Die schutzzöllnerischen Absichten der süddeutschen Staaten und die auf eine österr.-deutsche Zolleinigung gerichteten Pläne Österreichs bedrohten P.s handelspolit. Interesse. So war es, zumal nach der Niederlage von Olmütz, ein nicht geringer Erfolg der Politik P.s, daß Hannover und die übrigen Staaten des Steuervereins sich durch den Vertrag vom 7. Sept. 1851 zum Eintritt in den Zollverein (s. d.) verpflichteten, den P. jetzt (November) auf neuer, ihm genehmer Grundlage einrichten konnte. Mit Österreich schloß P. 19. Febr. 1853 einen Handels- und Schiffahrtsvertrag mit gegenseitigen Verkehrserleichterungen. Besondern Eifer wandte es infolge der Erfahrungen des dän. Krieges auf die Gründung einer Seemacht. Im Juli 1853 ward mit Oldenburg ein Vertrag abgeschlossen über die Erwerbung von Gebiet an der Jade zur Gründung eines Kriegshafens, und zugleich das Marinewesen als ein besonderes Departement von der Kriegsverwaltung getrennt. In der auswärtigen Politik, während des Orientkrieges, hielt das Ministerium an seiner vermittelnden Stellung fest in entschiedenem Gegensatz zu der öffentlichen Meinung, die von einer Bekämpfung des absolutistischen Rußland auch einen liberalen Umschwung im Innern erhoffte.

Dagegen kam es 1856 zu einem Zerwürfnis P.s mit der Schweiz. Die Royalisten des Kantons Neuenburg (s. d.) unternahmen in der Nacht vom 2. zum 3. Sept. einen gewaltsamen Versuch, die Herrschaft des Königs von P. in dem Ländchen wiederherzustellen, der aber vollständig mißlang und die Urheber des Aufstandes in eidgenössische Gefangenschaft brachte. Erst die vom König angerufene Vermittelung Napoleons brachte 1857 einen Ausgleich zu stande, wonach der Bundesrat die Gefangenen freigab. In einem Vertrag vom 26. Mai verzichtete sodann die Krone P. in aller Form auf ihre Souveränitätsrechte über Neuenburg.

Der preuß. Staat befand sich in einer unbefriedigenden Lage, der öffentliche Geist war verstimmt und gedrückt, die Regierung nach außen ohne Ansehen, als im Sommer 1857 König Friedrich Wilhelm an einem Gehirnleiden erkrankte, infolgedessen er durch Kabinettsorder vom 23. Okt. seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm von P., die Stellvertretung in den Regierungsgeschäften übertrug. Am 7. Okt. 1858 wurde durch königl. Verordnung die bisherige Stellvertretung in eine förmliche Regentschaft verwandelt, und der Prinz-Regent berief auf den 20. Okt. den Landtag ein, dem er am 26. den Eid auf die Verfassung leistete. Am 6. Nov. entließ er das Ministerium Manteuffel, dessen innere und äußere Politik ihm zuwider war. In das neue Kabinett, das "Ministerium der neuen Ära", traten Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen (Vorsitz), Rud. von Auerswald, von Schleinitz (Auswärtiges), Graf Schwerin-Putzar (Inneres), von Patow (Finanzen), von Bethmann-Hollweg (Kultus und Unterricht), von Bonin (Krieg), von Pückler (Ackerbau). Von den bisherigen Ministern behielten nur der Justizminister Simons und der Handelsminister von der Heydt ihre Portefeuilles. In einer Ansprache (8. Nov.) an das Ministerium entwickelte der Prinz-Regent sein Programm: Kein Bruch mit der Vergangenheit, treues Halten des Versprochenen, scharfer Tadel der religiösen Heuchelei. Damit P. nach außen kraftvoll auftreten könne, sei die Schaffung einer starken Armee eine absolute Notwendigkeit. Ein Erlaß an die Oberpräsidenten untersagte jede Beeinflussung der Wahlen von seiten der Regierungsorgane. Voll freudigen Vertrauens wählte das Land durchweg ministeriell. Am 12. Jan. 1859 wurde der Landtag eröffnet.

Inzwischen begann die öffentliche Aufmerksamkeit sich der Spannung zwischen Österreich und Frankreich bezüglich Italiens zuzuwenden (s. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 196). In P. weckte die "neue Ära" und der ital. Krieg auch in der Bevölkerung wieder den Wunsch nach nationaler Einigung. Am 16. Sept. 1859 wurde in Frank-^[folgende Seite]