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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Raffael Santi

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Raffael Santi'

sington-Museum in London (früher in Hampton-Court; im Anfang des 19. Jahrh. gestochen von Th. Holloway). Für den Altar komponierte er eine Krönung Mariä, die gleichfalls in Flandern gewebt wurde. Die ganze Folge der Tapeten, die zuerst am Stephanstage (26. Dez.) 1519 in der Sixtinischen Kapelle an den Wänden prangten, ist seit 1814 in einem besondern Zimmer (Galleria degli Arazzi) des Vatikans aufgehängt. Wiederholungen der Teppiche befinden sich unter anderm in den Museen zu Berlin (1844 angekauft; das zehnte Stück: Paulus im Gefängnis, fehlt) und in Dresden (seit 1723, jedoch nur 6 Stück).

Außer diesen monumentalen Arbeiten für die Päpste übernahm N. auch solche für Privatpersonen. Agostino Chigi, der Bankier des Papstes Julius II., hatte in zwei Kirchen Roms Kapellen bauen lassen und deren künstlerische Ausschmückung R. übertragen. In der einen, der von Sta. Maria della Pace, malte R. 1514 die Gestalten der vier Sibyllen (die persische, phrygische, von Cumä, von Tibur), in Bezug auf Schönheit der Linien eine seiner größten Leistungen. In Sta. Maria del Popolo, der andern Kirche, aber gab er selbst die Architektur der Kapelle an und fertigte die Entwürfe zu den Gemälden in der Kuppel, die die Erschaffung der sieben Planeten darstellen und von Aloisio della Pace 1516 in Mosaik ausgeführt wurden. Um dieselbe Zeit führte er (1514) in der Villa desselben Kunstfreundes, der sog. Farnesina (s. d.), in dem kleinern Hallenraum ein Wandbild: Triumph der Galatea (gestochen von Richomme, 1820) aus und schuf (1518–20) für die Decke der Haupthalle dieses Gebäudes die Entwürfe von 12 reizenden Darstellungen aus der Erzählung von Amor und Psyche (in Photographien mit Text von C. F. Waagen bei der Photographischen Gesellschaft in Berlin), von seinen Schülern G. Romano und Franc. Penni ausgeführt.

Unter R.s Tafelbildern nehmen die Madonnenbilder den ersten Rang ein. (Vgl. Gruyer, Les Vierges de R. et l’iconographie de la Vierge, 3 Bde., Par. 1869.) Wenn auch von einzelnen der erhaltenen Gemälde nicht sicher ist, ob sie wirklich von R.s Hand herrühren, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß kein Maler vor ihm noch nach ihm so vielmals und in so anmutiger, tiefsinniger, künstlerisch vollendeter Weise die heil. Jungfrau und ihr Verhältnis zum Jesuskinde, das Ideal reinster Mutterliebe, dargestellt hat. Die frühesten Madonnenbilder sind: die sog. Madonna Solly (etwa 1502; Museum in Berlin), eine Madonna zwischen dem heil. Hieronymus und Franziskus (ebd.), die für Perugia gemalte Madonna Connestabile (um 1503; Eremitage in Petersburg); ebenso wie diese erinnern auch die in Florenz (um 1504) entstandenen Gemälde: Madonna del Granduca (Palast Pitti in Florenz), Madonna della Casa Diotalevi (Museum in Berlin) sowie das Rundbild der sog. Madonna des Herzogs von Terranuova (ebd.) noch an seine Lehrzeit bei Perugino. Als Gastgeschenk für Taddeo Taddei in Florenz malte er zwei Madonnenbilder, vermutlich die Madonna im Grünen (im Hofmuseum zu Wien) und die sog. Madonna mit der Fächerpalme (im Besitz des Lord Ellesmere in London); bei beiden (um 1506) sieht man die Einflüsse Peruginos und Leonardos sich verschmelzen. Dieselbe Komposition wiederholt sich in der Madonna del Cardellino, d. i. mit dem Stieglitz (Uffizien zu Florenz), und in La belle Jardinière (Louvre ↔ zu Paris; Stich von Desnoyers, danach Heliogravüre 1894). Die sog. Heilige Familie aus dem Hause Canigiani (Alte Pinakothek in München) ist ein symmetrisch komponiertes Gruppenbild, aus dessen obern Ecken einst, vor einer sog. Restauration, Engelchen herabblickten. Indessen zeigen die meisten dieser Kompositionen noch kein rechtes Verhältnis der Mutter zu dem Kinde; Maria liest andächtig in einem Buche oder hält dasselbe in Händen. In der Madonna aus dem Hause Colonna (Museum in Berlin) ist es schon die Mutter, die sich im Lesen unterbricht dem Kinde zu Liebe, das nach ihrer Zärtlichkeit verlangt. In der Madonna Tempi (Münchener Pinakothek) aber bricht die Mutterliebe mit aller Innigkeit hervor; sie herzt das Kind und drückt es an sich. Dieses Motiv tritt jetzt, von R. vielfach variiert, in den Vordergrund; man findet es in der Madonna Niccolini (1508; im Besitz des Lord Cowper in England), der Bridgewater-Madonna (1512; London, Bridgewater-House) u. a. Ein anderes öfters von R. behandeltes Motiv tritt während seiner röm. Periode in der Vierge au diadème (im Louvre zu Paris) auf: Maria hebt den Schleier, um das schlafende Jesuskind dem kleinen Johannes zu zeigen. Dieses Bild sowie die Madonna Alba (Eremitage zu Petersburg) und Madonna Aldobrandini (Nationalgalerie in London) bereiten den Übergang zu einem ungleich großartigern Stil vor, der zum erstenmal in der verklärten Erscheinung der thronenden Gottesmutter mit Heiligen, der Madonna di Foligno (1511) deutlich hervortritt. Letzteres Gemälde befand sich ursprünglich auf dem Hochaltar der Kirche Sta. Maria in Aracoeli auf dem Kapitol, kam dann nach Sta. Anna delle Contesse in Foligno und ist jetzt in der Gemäldegalerie im Vatikan (Radierung von J. L. Raab). Auch die Madonna del Pesce, d. i. mit dem Fisch, ursprünglich für die Dominikanerkirche zu Neapel gemalt, jetzt im Prado-Museum zu Madrid, ist ein solches Gnadenbild. Mehr Familienbilder sind wieder die Madonna della Tenda (Pinakothek in München; gute Kopie in der Turiner Pinakothek), die Madonna col divino amore (Nationalmuseum in Neapel) und die Madonna dell’impannata, d. i. mit dem Tuchfenster (Palast Pitti in Florenz). Auch die von R. entworfene, von Schülern ausgeführte sog. Große heilige Familie (1518; im Louvre) sowie die sog. La Perla (1518 für den Herzog von Mantua gemalt, jetzt im Prado-Museum zu Madrid) zeigen gemütvolle Familienscenen, während in der berühmten Madonna della Sedia (Palast Pitti in Florenz; gestochen u. a. von R. Morghen [1793], von J. G. von Müller [1804] von Mandel [1865] und von Burger [1882]) der reinste Ausdruck der Mütterlichkeit und Liebe zur Geltung kommt. Als die Krone R.scher Madonnenbilder, ja der Malerei steht die Madonna di San Sisto oder Sixtinische Madonna da: Maria, das Jesuskind im Arm, auf Wolken schwebend, nebst dem heil. Sixtus (II.) und der heil. Barbara, die höchste Verklärung der Jungfrau als Himmelskönigin, von unaussprechlicher Schönheit und Hoheit der Erscheinung. Das 2,65 m hohe, 1,96 m breite Bild, von R. wahrscheinlich 1515 für die Klosterkirche der Benediktiner in Piacenza gemalt, wurde 1753 für 60000 Thlr. vom sächs. Hofe angekauft und ist jetzt das Juwel der Dresdener Galerie. (Hierzu die beiden Tafeln: Sixtinische Madonna, Mittelbild und Gesamt-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 594.