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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Belgien (Geschichte 1830-65)

bildet, der sich am 26. Graf Felix de Mérode, Gendebien, van de Weyer, Nicolai (als Sekretär), dann am 28. der eben im Triumphzuge aus Frankreich zurückgekehrte de Potter beigesellten. Am 4. Okt. erklärte diese Regierung die Unabhängigkeit der belg. Provinzen und kündigte die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs sowie die Zusammenberufung eines Nationalkongresses von 200 Deputierten an.

Jetzt war das Band zwischen Holland und B. zerrissen, und erfolglos blieb der Versuch des Prinzen von Oranien, B. dadurch seinem Hause zu erhalten, daß er sich bereit erklärte, es als unabhängiges Reich zu regieren und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen (16. Okt.). Der König von Holland selbst erklärte diesen Schritt des Prinzen für ungültig und die provisorische Regierung antwortete (19. Okt.) in einer Proklamation, daß die Unabhängigkeit der Nation, durch die Waffen erkämpft, keiner Anerkennung mehr bedürfe. Indessen rückten (27. Okt.) belg. Truppen in Antwerpen ein und brachen die früher mit dem Kommandanten der Citadelle, General Chassé, abgeschlossene Kapitulation, worauf dieser die Stadt bombardieren ließ. Dies erweiterte die Kluft zwischen B. und Holland noch mehr und rief zugleich lebhafte Reklamationen der beteiligten Kaufleute des Auslandes gegen Holland hervor. In B. selbst kam es hier und da zu anarchischen Pöbelscenen. Doch erhielt allmählich die für die Einführung einer unabhängigen konstitutionellen Monarchie gestimmte Mehrheit des Klerus, des Adels, der reichen Grundbesitzer und Kaufleute das Übergewicht, so daß ebensowohl die republikanische Partei, mit de Potter an der Spitze, als die einer Vereinigung B.s mit Frankreich Geneigten in den Hintergrund traten. Der 10. Nov. versammelte und von de Potter eröffnete Nationalkongreß proklamierte abermals die Unabhängigkeit B.s, mit Vorbehalt der wegen Luxemburgs mit dem Deutschen Bunde einzugehenden Beziehungen, und, unter Ausschließung des Hauses Oranien vom belg. Throne, die konstitutionelle Monarchie nach dem Zweikammersystem. Unter 187 Stimmen lauteten nur 13 für republikanische Verfassung.

Inzwischen konstituierte sich in London eine Konferenz der Großmächte, entwarf 4. Nov. 1830 in einem ersten Protokoll den von beiden Teilen angenommenen Waffenstillstand, und erkannte 20. Dez. die Auflösung des bisherigen Königreichs der Vereinigten Niederlande an. Weitere Protokolle vom 20. und 27. Jan. 1831 setzten die allgemeinen Bedingungen der Auseinandersetzung fest; aber diese vom Haager Kabinett angenommenen Trennungsgrundlagen (ungefähr die Grenzverhältnisse aus der Zeit der Republik und der österr. Herrschaft mit Belassung Luxemburgs unter holländ. Scepter und im Verbande mit Deutschland; die größere Hälfte der Nationalschuld des Königreichs der Niederlande wurde B. aufgebürdet) wurden vom belg. Nationalkongreß verworfen und hierauf von der Konferenz zu Gunsten B.s bedeutend modifiziert. In dieser veränderten Gestalt sind sie unter dem Namen der 18 Artikel bekannt geworden. Im belg. Kongreß wurde 3. Febr. zur Wahl eines Königs geschritten, bei welcher der Herzog von Nemours mit 97 Stimmen unter 192 den Sieg über die Kandidatur des Herzogs von Leuchtenberg davontrug; aber Ludwig Philipp lehnte entschieden die Wahl seines Sohnes ab, und schon 7. Febr. erklärte die Konferenz zu London, daß auch der Herzog von Leuchtenberg niemals von den Großmächten würde anerkannt werden. Dies veranlaßte die Ernennung des Präsidenten des Kongresses, Baron Surlet de Cholier, zum provisorischen Regenten des Landes (24. Febr.), an Stelle der bisherigen provisorischen Regierung. Die Konstitution war seit dem 7. Febr. zum Abschluß gebracht. Auf Empfehlung Englands trat das belg. Ministerium mit dem Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg wegen Übernahme der Krone in Unterhandlung, und 4. Juni wurde er mit 152 unter 196 Stimmen vom Kongreß als Leopold I. (s. d.) zum König der Belgier erwählt. Der Prinz willigte ein unter der Bedingung einer Annahme jener 18 Artikel durch den belg. Kongreß, und als diese Annahme 9. Juli 1831 erfolgt war, hielt er am 21. seinen Einzug in Brüssel und leistete den Eid auf die Verfassung. Jetzt verwarf aber Holland die 18 Artikel und ließ zu Anfang des Aug. 1831 eine Armee unter dem Prinzen von Oranien in B. einrücken, welche die noch dürftig organisierten belg. Trnppen bei Hasselt und Löwen schlug und zersprengte, selbst die Eroberung Brüssels wurde nur durch das schnelle Einrücken einer franz. Hilfsarmee unter Marschall Gerard verhindert, worauf sich, auf Andringen der Gesandten Englands und Frankreichs, die holländ. Truppen wieder über die Grenze zurückzogen. Nach neuen Unterbandlungen erhielt zwar Holland viel vorteilhaftere Bedingungen durch die nun von der Konferenz (6. Okt.) beschlossenen und für unumstößlich erklärten 21 Artikel, nach welchen Luxemburg und Limburg teilweise zu B., teilweise zu Holland geschlagen wurden, und B. jährlich 8 400 000 Fl. als Zinsen seines Anteils an der holländ. Staatsschunld bezahlen sollte; auch wurde die Neutralität B.s festgesetzt. Da jedoch Holland diese Bestimmungen gleichfalls zurückwies, während B. sie annahm, erfolgte von seiten Englands und Frankreichs der Beschluß von Zwangsmaßregeln gegen Holland, Embargo auf die niederländ. Handelsschiffe, Blockade der niederländ. Küste durch eine engl.-franz. Flotte, sowie das abermalige Einrücken eines franz. Heers (15. Nov. 1832) unter Marschall Gerard. Dasselbe eroberte nach 24tägiger Belagerung die von den Holländern noch besetzte Citadelle von Antwerpen, die B. 23. Dez. 1832 übergeben wurde. Ein Präliminarvertrag vom 21. Mai 1833 zwischen England, Frankreich und Holland machte sodann den Zwangsmaßregeln ein Ende. Bis zum Definitivtraktat sollte Holland im einstweiligen Besitze der die Schelde beherrschenden Forts Lillo und Liefkenshoek, B. in dem von Luxemburg und Limburg, außer den Hauptstädten Luxemburg und Maastricht, bleiben.

Am 9. Aug. 1832 hatte sich König Leopold mit der ältesten Tochter Ludwig Philipps, der Prinzessin Luise von Orléans, vermählt. Der erstgeborene Sohn aus dieser Ehe starb, doch die spätere Geburt zweier Prinzen (1835 und 1837) sicherte der coburg. Dynastie die Succession auf dem belg. Throne. Durch die Verheiratung des Königs war die Stellung des neugegründeten Königreichs im europ. Staatensysteme noch mehr befestigt worden. Um so leichter konnte nach der Übergabe der Citadelle von Antwerpen (23. Dez. 1832) die auf den Wiederbeginn des Krieges gegen Holland dringende Partei niedergehalten werden. Schon nach Auflösung der Repräsentantenkammer im April 1833 zeigte sich die Mehrheit derselben dem Friedenssystem der Regierung geneigter. Es folgte eine Zeit der Ruhe, in welcher die Industrie einen raschen Aufschwung nahm.

Sofort arbeitete B. unter der umsichtigen Leitung seines Königs mit gutem Geschick an der Vollendung