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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eisenbahn (Konzessionierung).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Eisenbahn'

Anmerkung: Fortsetzung von [Systemfrage: Staats- oder Privatbahnen.]

stems ohne weiteres verschwinden. Denn dieselben liegen oft tiefer und hängen mit dem Umstand, ob die Bahnen eines Landes Staats- oder Privatbahnen sind, oft wenig oder gar nicht zusammen. Die wirtschaftlichen Gesetze, welchen die Privatunternehmungen und Privatwirtschaften im allgemeinen folgen, lassen sich auf die Eisenbahnunternehmungen nicht ohne weiteres anwenden, und so ist auch die Bezeichnung "Privatbahnen" nicht durchaus sinnentsprechend. Die Privatbahnen sind nicht eigentliche Privatunternehmungen im gewöhnlichen Sinn, d. h. im Eigentum und in der Verwaltung eines oder weniger Privaten, sondern sie stehen im Besitz großer kapitalistischer Genossenschaften und Erwerbsgesellschaften und werden von diesen verwaltet. Die Fragestellung ist also nicht: ob Staats- oder Privatbahnen, sondern ob Staats- oder Aktiengesellschaftsbahnen. Wie sich hiernach der Entwickelungsgang der E. bestimmt hat, ist wesentlich durch die Besonderheit der Zustände und Verhältnisse des einzelnen Landes, durch die Eigentümlichkeiten des Nationalcharakters des Volkes und seiner staatlichen Institutionen bestimmt gewesen. In England und Nordamerika haben die gesamten Verhältnisse des staatlichen Lehens der ausschließlichen Privatinitiative im Eisenbahnwesen Raum gegeben. Die geographische Lage von England und Nordamerika läßt die Rücksichten der Landesverteidigung bei Verwaltung und Betrieb der E. weit zurücktreten gegenüber den Rücksichten des Verkehrs, das kaufmännische Element ist in beiden Ländern das überwiegende, die größere Selbständigkeit und Aktionsfähigkeit der Einzelnen hat der Privatthätigkeit den weitesten Spielraum gelassen und die Intervention des Staats überflüssig gemacht. Nichtsdestoweniger ist bei der zunehmenden Verdichtung des Verkehrsnetzes, welche manche Übelstände des Privatbetriebs bloßstellte, dieser Betrieb auch hier in neuerer Zeit mancher Anfechtung ausgesetzt. In den kontinentalen Staaten haben die veränderten Verhältnisse: die geringere Leistungsfähigkeit des Einzelnen und die dadurch in größerm Maß bedingte Fürsorge des Staats auf allen Gebieten der öffentlichen Wohlfahrtspflege, vielfach von vornherein zu gunsten des reinen Staatsbetriebs den Ausschlag gegeben. Daneben hat sich aber auch in vielen Staaten der Privatbetrieb im Eisenbahnwesen kräftig entwickelt und für die Volkswohlfahrt durch Überziehung des Landes mit zahlreichen Eisenbahnlinien segensreiche Erfolge erzielt. Das Nebeneinanderbestehen des Staats- neben dem Privatbetrieb im Eisenbahnwesen, wie es in neuerer Zeit fast in allen europäischen Staaten stattfindet, pflegt man als "gemischtes System" zu bezeichnen. Die neueste Entwickelung drängt aber hier immer mehr von dem Übergang aus dem gemischten zu dem reinen Staatsbahnsystem hin. Ausschlaggebend ist hierbei neben den ökonomischen Vorteilen, welche sich aus der Zentralisierung des Verwaltungswesens und der Beseitigung der den Eisenbahnverkehr verteuernden Zersplitterung des Betriebs ergeben, der Gesichtspunkt, daß die Summe der materiellen Interessen und daher auch die soziale Macht, welche das Eisenbahnwesen in sich vereinigt, zu groß ist, als daß die bürgerliche Gesellschaft diese Institution den Händen einiger Aktiengesellschaften überlassen kann, deren Tendenz naturgemäß darauf hinausgeht, die Rücksichten auf Ausbeutung des Betriebs im Interesse der Unternehmer in den Vordergrund zu stellen und daneben die Rücksichten auf das Gesamtinteresse zu vernachlässigen. Man stand daher meist vor dem Dilemma: ein vom Staat ↔ beaufsichtigtes und geregeltes Privatbahnwesen, dem im Gesamtinteresse wenig Selbständigkeit, ein ungemein wertvolles Eigentumsobjekt, bei dem aber dem Eigentümer wenig Rechte bleiben durften, oder ein reines Staatsbahnwesen, bei welchem diese Konflikte zwischen dem Privatinteresse und dem öffentlichen Interesse fortfallen. In Deutschland hatten Hannover, Württemberg und Baden frühzeitig das reine Staatsbahnsystem, Bayern und Sachsen das gemischte System angenommen, während in Preußen anfänglich das Privatbahnwesen überwog. Bayern und Sachsen gingen in den Jahren 1869-76 ebenfalls zum reinen Staatsbahnsystem über. In Preußen begann der Staat zuerst 1850 für eigne Rechnung E. zu bauen, als die Privatinitiative zur Fortführung des Eisenbahnnetzes in die östlichen Provinzen den Dienst versagte. Nach drei Jahrzehnten des gemischten Systems, in welchem der Staatsbahnbesitz immer mehr die Oberhand gewann, wurde 1880 der prinzipielle Entschluß zur Annahme des reinen Staatsbahnsystems gezeitigt, welches nach dem Übergang der wenigen noch in den Händen größerer Gesellschaften vereinigten E. inzwischen für alle Hauptverkehrslinien seinen Abschluß gefunden hat. Die Staatseisenbahnpolitik hat namentlich in Preußen große Erfolge erzielt. Die Tarife wurden ermäßigt und für den Verkehr umfassende Erleichterungen herbeigeführt. Ungeachtet dessen steigerten sich infolge der Ersparnisse, welche durch die Einheitlichkeit der Verwaltung erzielt wurden, die Erträgnisse derart, daß durch dieselben nicht nur die gesamte Staatsschuld Preußens verzinst werden konnte, sondern 1884 nach erfolgter Verzinsung dieser Schuld noch ein Reinertrag von 35,200,000 Mk. abgeführt werden konnte.

Konzessionierung.

Bei dem in vorstehendem erörterten Charakter der für den allgemeinen Verkehr dienenden E. als öffentlicher Anstalt, welche den Bedürfnissen des Verkehrs gemäß gegründet und verwaltet wird, haben sich alle Regierungen, in deren Landen der Privatbahnbau überhaupt für zulässig erachtet ist, stets und überall, ohne Rücksicht auf die sonst in ihrer Gesetzgebung über Gewerbefreiheit geltenden Grundsätze, für Herstellung und Betrieb einer E. spezielle Beeinflussung vorbehalten. Das deshalb von der beteiligten Staatsregierung zu erwirkende Zugeständnis für die Herstellung und den Betrieb einer Eisenbahn nennt man eine Konzession. Der Natur der Sache nach geht ein so bedeutenden Kapitalaufwand beanspruchendes Unternehmen nur schrittweise vorwärts. Die Unternehmer werden daher zunächst nur um die Erlaubnis dafür einkommen, die notwendigen Vorarbeiten, die sogen. Tracierung und Vermessung, vornehmen zu dürfen. Diese erste Konzession ist die Vorkonzession; sie begreift in der Regel die vorbereitenden Maßregeln für die Bildung der Gesellschaft selbst in sich, durch welche das Unternehmen ausgeführt werden soll. Sie erlischt mit dem Ablauf des vorgeschriebenen Zeitraums und bei Nichterfüllung der daran geknüpften Bedingungen. Den nächsten Schritt bildet der Akt, durch welchen die Gesellschaft von der Regierung zur Anlage der Bahn selbst berechtigt wird, die eigentliche Konzession. Diese setzt voraus: 1) den Nachweis der erlangten Vor- oder Projektierungskonzession; 2) die Darlegung der Vorteile der projektierten Bahn für das öffentliche Interesse; 3) den gehörig ausgearbeiteten Plan des ganzen Unternehmens sowie das Projekt nebst Kostenanschlag und Zeitangabe für den Beginn und die Vollendung des Baues; 4) die Darlegung der Art und Weise der Beschaffung

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 437.