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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Berserkerwut; Bert; Bertagnolli

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Berserkerwut - Bertagnolli

Kinder geboren. Vgl. Imbert de Saint-Amand, La duchesse deB. (Par. 1888).

Berserkerwut. In seinem Werk über die Flora Norwegens hat Schübeler gezeigt, daß jene in der nordischen Sagengeschichte oft erwähnte Raserei, die periodisch Wikinger und andre Leute aus Skandinavien befiel und sie veranlaßte, einen sogen. Berserkergang zu thun, höchst wahrscheinlich durch den Genuß von Fliegenschwamm (Amanita muscaria) erzeugt wurde, eine Ansicht, die schon vor 100 Jahren durch Ödmann aufgestellt wurde. Ohne diesen Vorgänger zu kennen, ist Schübeler durch die genaue Vergleichung der Symptome der Fliegeschwammvergiftung mit dem von den alten Schriftstellern geschilderten Gebaren der Berserker zu demselben Schluß gelangt. Dieser Zustand hat danach angeblich mit Zittern, Zähneklappern und Kältegefühl begonnen, worauf das Antlitz sich rötete und anschwoll. Sie fingen darauf an zu heulen, bissen in den Rand der Schilde, rissen sich die Kleider vom Leibe und schlugen, ohne zwischen Freunden und Feinden zu unterscheiden, alle nieder, die ihnen in den Weg kamen, wobei man sie so leicht nicht überwältigen konnte, denn ihre Kräfte schienen verdoppelt, sie selbst aber unempfindlich gegen Schmerzen geworden zusein. Nachher folgte eine mehrere Tage andauernde große Kraftlosigkeit und Erschöpfung. Von dem Abreißen der Kleider leiten neuere Forscher auch wohl richtiger den Namen her, der von dem skandinavischen sarkr, dem Namen des wattierten Panzerhemdes, welches die nordischen Krieger unter der Rüstung trugen, herrührt, so daß Berserkir nach Bergmann so viel heißt wie barhemd, hemdenlos, mit entblößtem Oberkörper. Wahrscheinlich war die Erscheinung schon seit sehr alten Zeiten bekannt, und es mögen sich darauf wenigstens teilweise die Angaben griechischer und römischer Schriftsteller vom furor teutoniens beziehen. Man sieht auf den ersten Blick, eine wie große Ähnlichkeit der geschilderte Zustand mit demjenigen des durch Opiumgenuß erzeugten Amok- oder Amucklaufens (s. d., Bd. 1) besitzt; da aber Opium vor 1531 in Norwegen unbekannt war, darf man nicht daran denken, daß es sich um Opiumuergiftung handelte. Verschiedene skandinavische Geschichtsforscher, wie z. B. P. A. Munch, haben gemeint, daß es sich bei der B. um einen bei den Nordvölkern »periodisch austretenden Wahnsinn«, um eine Art von Besessenheit gehandelt habe, weshalb der Isländer Thorstein Ingemundsön den Göttern Gelübde leistete, damit sein Sohn Thorer von diesem Unglück befreit werde. Aus mancherlei skandinavischen Gesetzesverordnungen, die bis ins 11. Jahrh, zurückreichen, geht nun deutlich hervor, daß man die B. als einen anormalen, selbstverschuldeten Zustand anerkannte und die Befallenen außerhalb der Gesetze stellte. Als Erik Jarl 1015 Norwegen verließ, rief er die Landesvorsteher und angesehensten Bauern zusammen, um mit ihnen über die Gesetzgebung und Reichsverwaltung zu beraten. Bei dieser Zusammenkunft wurden die Berserker gerade so wie später die Amuckläufer in Indien für vogelfrei erklärt, d. h. jedermann sollte berechtigt sein, sie im Notfall zu erschlagen.

In Thorlaks und Ketils isländischem Christenrecht, welches im J. 1123 als Gesetz für Island angenommen wurde, heißt es: Wenn einer auf Berserkergang geht, wird er mit dreijähriger Verweisung von der Insel bestraft und ebenso diejenigen, welche zugegen sind und nicht Hand anlegen, um ihn zu binden und zu bewachen, bis die Erregung vorüber ist.

Wenn man nun die Symptome der B. mit denjenigen vergleicht, welche der Genuß des Fliegenschwammes

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nach den sorgfältigsten Beobachtern (wie Langsdorf, Krascheninnikow. Erman u. a.) bei den Bewohnern Sibiriens und Kamtschatkas erzeugt, so kann man kaum an der Übereinstimmung zweifeln. Im besondern merkwürdig ist die von mehreren Beobachtern festgestellte Steigerung der Körperkraft während des Fliegenschwammrausches, die nachher natürlich in eine desto größere Erschlaffung ausläuft. Langsdorf sah einen solchen Mann während seines 12-15stündigen Rausches einen 120 Pfd. schweren Sack 15 Werst (d. h. 1 ¾ Meile) weit tragen, ebenso stellt sich die Unempfindlichkeit gegen körperliche Schmerzen ein, welche der B. eigentümlich sein soll. Die merkwürdigen Sinnestäuschungen, welche derselbe Rausch erzeugt, erinnern in ihrer Eigenart, indem z. B. der Berauschte einen großen Anlauf nimmt, um über einen Strohhalm zu springen, der ihm wie ein Balken aussieht, ungemein an jene Erzählungen von der »Augenverblendung«, die in nordischen Mythen so häufig vorkommen. Odin führte beispielsweise in diesem Sinn den Beinamen Biblindi oder Byblindi (»der Blender«).

Bei den vielfachen Beziehungen, welche die alten Skandinavier und besonders die Norweger in frühern Jahrhunderten mit Lappen und Finnen unterhielten, wäre ihre Kenntnis des sibirischen Berauschungskrauts keineswegs auffallend, und man darf mit Bezug auf das Letztgesagte daran erinnern, daß in der nordischen Litteratur das Wort Finne fast stets gleichbedeutend mit Zauberer ist. Die sibirischen Schamanen aber setzten sich früher allgemein, wie Matjuschkin berichtet, durch den Fliegenschwammtrank in ekstatische Zustände, wobei zu starke Dosen häufig den dem Säuferwahnsinn und der B. ähnlichen Zustand hervorriefen. Vielleicht war der in Skandinavien häufige Fliegenschwamm ein schon der Urbevölkerung bekanntes Berauschungsmittel, welches aber durch den schon vor Beginn unsrer Zeitrechnung im Norden bekannt gewordenen Met ebenso verdrängt wurde, wie in neuester Zeit der Branntwein in Sibirien den Muchamortrank, d.h. das Fliegenschwammgebräu, verdrängt hat, obgleich es ehemals so geschätzt war, daß man für 1-2 Schwämme ein Renntier hergab, einen Preis, den die Kamtschadalen von den nomadisierenden Korjaken, den letzten Fliegenschwammverehrern, noch heute erzielen sollen.

Bert, Paul, franz. Gelehrter und Politiker, setzte in der Kammer seine antiklerikale Thätigkeit fort und beantragte ein Gesetz, welches bestimmte, daß in den öffentlichen Schulen der Unterricht ausschließlich von weltlichen Lehrkräften erteilt werden sollte, und welches auch im Februar 1884 angenommen wurde; dagegen ward sein Antrag, alle dem Staat gehörigen Bischofspaläste und alle Kloster- und Seminargebäude zu verkaufen, 1885 abgelehnt. Anfang 1886 wurde B. zum französischen Generalresidenten in Indochina ernannt, erzielte aber nicht die gehofften Erfolge, geriet vielmehr mit den Truppenbefehlshabern in Streit, so daß diese seine Abberufung verlangten, und starb 11. Nov. 1886 in Hanoi; seine Leiche ward 15. Jan. 1887 in seiner Geburtsstadt Auxerre beigesetzt. Vgl. Bérillon, L'œuvre scientifique de Paul B. (Par. 1887).

Bertagnolli (spr. -tanjo-), Carlo, Nationalökonom, geb. 1843 zu Pergine im Trentinischen, studierte zu Innsbruck, wurde 1870-78 im italienischen Handelsministerium beschäftigt, trat dann ins Ministerium des Innern über und wurde hier Sektionschef.

Er widmete sich besonders dem Studium der landwirtschaftlichen Verhältnisse Italiens, bekämpfte das