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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Desertoria sententia; Deservieren; Deservīten; Deservītenjahr; Desèze

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Desertoria sententia - Desèze.

zwischen der unerlaubten Entfernung und der Fahnenflucht. Erstere, das Wegbleiben vom Dienst, Verlassen der Truppe ohne Urlaub oder Überschreitung des Urlaubs, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten bestraft, in leichten Fällen nur disziplinarisch mit Arrest, z. B., wie es öfters vorkommt, bei Rekruten, die aus Heimweh nach Hause gehen und nach einigen Tagen wiederkommen oder vom Vater zurückgebracht werden. Nur bei verschuldeter Abwesenheit über 7 Tage, im Feld über 3 Tage, tritt Gefängnis oder Festungshaft bis zu 2 Jahren ein. Dauert dieselbe im Feld länger als 7 Tage, so ist Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren verwirkt. Die Fahnenflucht schließt die Absicht dauernder Entziehung vom Dienst ein, wie z. B. das Beseitigen der Uniform, Reise ins Ausland etc. sie darthun, und sie wird mindestens mit Gefängnis von 6 Monaten bis zu 2 Jahren, im Wiederholungsfall mit Gefängnis von 1-5 Jahren, im zweiten Rückfall mit Zuchthaus von 5-10 Jahren bestraft; im Feld ist die mildeste zulässige Strafe für Fahnenflucht 5 Jahre Gefängnis, in schweren Fällen tritt selbst Todesstrafe ein. Bei jeder Fahnenflucht muß auch auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erkannt werden. Straferhöhend wirkt es, wenn mehrere eine Fahnenflucht verabreden und gemeinschaftlich ausführen. Schon der Versuch zur Fahnenflucht ist strafbar. Gegen abwesende Deserteure wird in contumaciam eine Geldstrafe von 150-3000 Mk. verhängt; kehren sie später zurück, oder werden sie ergriffen, so wird ein neues Verfahren eingeleitet. Die Verleitung und der Versuch einer Verleitung eines Soldaten zur D. und die Beförderung einer solchen werden nicht nur an Soldaten, sondern auch an Personen bestraft, welche dem Soldatenstand nicht angehören. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 141) setzt für letztere Gefängnisstrafe von 3 Monaten bis zu 3 Jahren fest. Schon bei den Griechen wurde der Deserteur meist am Leben gestraft. Bei den Römern galt in Kriegszeiten jeder für einen Deserteur, der ohne Erlaubnis sich von seinem Korps weiter entfernte, als der Schall der Tuba reichte. Er wurde im Krieg meist zum Tod verurteilt; in Friedenszeiten verlor ein Ritter sein Pferd, und wer kein Ritter war, wurde zu einer niedrigern Klasse der Soldaten herabgesetzt. Bei den Heeren des Mittelalters waren die Strafen für D. sehr verschieden und richteten sich meist nach den Ansichten des Heerführers sowie nach den Schwierigkeiten, welche derselbe im Anwerben von Truppen fand. In Frankreich wurde 1550 unter Heinrich II. die Todesstrafe auf D. gesetzt; Karl V. erklärte die Ausreißer für vogelfrei; wer sie traf, konnte sie töten. In Italien, wo durch die Parteimietlinge (Kondottieri) die Mannszucht ganz in Verfall kam, war die D. etwas Allgemeines. Die Schweizer und Deutschen waren noch die zuverlässigsten Truppen. Das Werbesystem Deutschlands im 18. Jahrh. hatte unter vielen andern Nachteilen auch den der häufigen D. zur Folge, und selbst Friedrich d. Gr. vermochte dieses Übel nicht aus seinen Heeren zu verbannen. Eine Folge dieses Systems war die Errichtung von Auslieferungsverträgen, sogen. Kartellkonventionen, zwischen befreundeten Staaten. In unsrer Zeit kommt bei den europäischen Armeen die D. nur noch selten vor, was von der kürzern Dienstzeit, vorzüglich aber von der volkstümlichern Bildung der Heere herrührt. Am häufigsten ist sie und in hohem Grad bedenklich im englischen Heer, wo noch Werbung gesetzlich ist und die Soldaten oft desertieren, um sich sofort wieder gegen neues Handgeld bei einem andern Truppenteil anwerben zu lassen. - Übrigens finden die Bestimmungen des deutschen Militärstrafgesetzbuches über die D. auch auf die Angehörigen der Kriegsmarine Anwendung. Für die Schiffsleute auf Kauffahrteischiffen gilt die Bestimmung des Strafgesetzbuches (§ 298), wonach ein Schiffsmann, der mit der Heuer entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienst zu entziehen, mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft wird, gleichviel, ob das Vergehen im Inland oder im Ausland begangen worden ist. Aber auch in solchen Fällen, in denen ein strafbarer Eigennutz des Schiffsmannes nicht vorliegt, wird das Entlaufen eines solchen, auch wenn er nicht mit der Heuer entweicht oder sich verborgen hält, nach der deutschen Seemannsordnung (§ 81 ff.) auf Antrag mit Strafe belegt. Zwischen den verschiedenen Seestaaten bestehen wegen Auslieferung desertierender Schiffsleute besondere Kartellverträge.

Unter D. versteht man auch die bösliche Trennung des einen Ehegatten von dem andern ohne hinreichenden Grund, indem er von ihm eigenmächtig in der Absicht, die Ehe nicht fortzusetzen, wegzieht. Auch die hartnäckige Verweigerung der ehelichen Pflichten wird als D. (quasi desertio) aufgefaßt. Da in beiden Fällen der Zweck der Ehe dadurch vereitelt wird, so ist in protestantischen Ländern die D. ein Ehescheidungsgrund, sowohl, wenn der Aufenthalt des Verlassenden (desertor, der Mann, desertrix, die Frau) bekannt ist, als auch, wenn ihn der andre Teil nicht weiß. Wenn der verlassene Ehegatte wegen der D. auf Ehescheidung klagt (Desertionsklage), so wird im ersten Fall der Verlassende unter Androhung einer Strafe (Zwangsmittel), die meist in Gefängnis besteht, zur Rückkehr oder zur Pflichterfüllung aufgefordert, worauf erst bei fortgesetzter Verweigerung die Trennung erfolgt. Im zweiten Fall begründet eine längere Abwesenheit, die nach verschiedenen Eheordnungen bald auf die Zeit von einem halben Jahr, bald von 2, 4, 7 Jahren bestimmt ist, nebst dem Mangel an Nachrichten die Vermutung der D. Gegen den Abwesenden erfolgt dann ein öffentliches Aufgebot (s. d.). Dieses gerichtliche Verfahren heißt der Desertionsprozeß.

Desertoria sententia (lat.), im frühern gemeinen Prozeßrecht Bezeichnung für dasjenige Urteil, welches ein eingewendetes Rechtsmittel aus dem Grund verwarf, weil die zur Einwendung gesetzte Notfrist versäumt wurde.

Deservieren (lat.), einem dienen, Dienst leisten; deserviert, für geleistete Dienste bezahlt.

Deservīten (lat.), Gebühren für geleistete Dienste, besonders das Honorar, welches einem Rechtsanwalt (s. d.) für seine Bemühungen zukommt.

Deservītenjahr (Annus deservitus), nach gemeinem Kirchenrecht beim Tod eines Geistlichen die verdienten, wenngleich noch nicht perzipierten Früchte des letzten Jahrs, welche den Erben des in letzterm Verstorbenen zukommen; zu unterscheiden von dem Sterbequartal, d. h. der Begünstigung, nach welcher die Erben oder Gläubiger eines verstorbenen Geistlichen die ganzen Einkünfte (auch Accidenzien) des laufenden Vierteljahrs (in welchem der Geistliche gestorben ist) genießen.

Desèze (De Sèze, spr. dössähs'), Raimond, Graf, franz. Staatsmann, geb. 1748 zu Bordeaux, widmete sich der Advokatur und ward durch die Verteidigung der Marquise d'Anglure dem Minister Vergennes bekannt und durch diesen nach Paris gezogen, wo er die Töchter Helvetius' verteidigte, der Königin Marie