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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Enfant terrible - Engadin

bürgten Tradition eine in den letzten Jahren des 14. Jahrh. entstandene Gesellschaft von Pariser Bürgersöhnen, die an den Bühnenspielen der Basoche (s. d.) teilzunehmen wünschten. Vielleicht waren die «Sorgenlosen» zuerst eine Karnevalsgesellschaft zur Veranstaltung von Narrenspielen; später gehörten zu ihr Spielleute, Possenreißer und Luftspringer von Beruf. Ihre Vorstände hießen Prince de Sots (Narrenfürst) und Mère sotte (Narrenmutter). Sie spielten in den Pariser Markthallen und erfanden eine besondere Spielgattung, die Sottie (Narrenspiel). Ein berühmter Vorsteher und Dichter der Gesellschaft war Pierre Gringore (s. d.). Sie unterstützten auch die Passionsbrüder (Confrérie de la passion, s. d.) und die Basoche bei ihren Aufführungen und bestanden bis Mitte des 16. Jahrh. Während der Bürgerkriege hörten sie auf zu spielen und die Gesellschaft ging ein. Prince des Sots nannte sich zuletzt noch Nicolas Joubert (gest. 1615). – Vgl. Petit de Julleville, Les comédiens en France au moyen âge (Par. 1885)

Enfant terrible (frz., spr. angfáng terrihbl, «Schreckenskind»), eigentlich ein plauderhaftes Kind, das durch Wiedererzählung gehörter oder gesehener Dinge Verlegenheiten bereitet; dann jemand, der seine Partei oder Sache durch zu große Offenherzigkeit kompromittiert. Der Ausdruck soll von dem Satirenzeichner Gavarni (gest. 1866) erfunden worden sein, der einen seiner komischen Bilderbogen mit dem Titel «Les enfants terribles» bezeichnete.

Enfield (spr. énnfihld), Stadt in der engl. Grafschaft Middlesex, links am Themsezufluß New-River, 18 km im N. von London, hat (1891) 31532 E., eine Lateinschule, ein litterar. und wissenschaftliches Institut und eine großartige königl. Gewehrfabrik, die wöchentlich 5000 Büchsen liefern kann. Der wildreiche Wald (E. Chafe) ist längst verschwunden.

Enfilade (frz., spr. angfilahd), Reihe; im Bauwesen eine Reihe von Zimmern, deren Thüren womöglich in einer Achse liegen, sodaß man die ganze Flucht auf einmal übersehen kann. Während das Mittelalter die E. auch ihrem Wesen nach im Wohnhausbau nicht kannte, hat der Barockstil sie zur höchsten Entwicklung gebracht (Palazzo Borghese in Rom, wo die E. in stumpfem Winkel die Quermauern schneidet; Schloß zu Versailles). Die Etikette des franz. Hofs stellte auch die Reihenfolge der in E. liegenden Räume fest, indem sie an den von der Treppe zugänglichen Salon das Antichambre (s. d.), das Chambre d‘alcove (s. Alkoven) oder Chambre de lit und endlich die Garderobe angereiht wünscht. Auch im neuern höhern Wohnhausbau und in öffentlichen Gebäuden liebt man es, die E. einzuführen. Durch Aufstellen von großen Spiegeln am Ende der Achse erweitern sich die Räume scheinbar ins Unendliche. – In militärischer Beziehung ist E. die Bestreichung einer Stellung, Befestigungslinie, Marschrichtung mit Längsfeuer, d. h. der Länge nach. (S. Enfilierbatterien.) – Über die E. als hinterind. Geldgröße s. Dong.

Enfilierbatterien (spr. angf-), Batterien, die im förmlichen Festungsangriff die Aufgabe haben, die angegriffene Front ihrer Länge nach unter Seitenfeuer zu nehmen. Im Vaubanschen Angriffssystem liegen die E. ganz seitwärts, unter Umständen außerhalb des Bereiches der ersten Parallele in der Verlängerung der Kurtine der Angriffsfront und haben die Bestimmung, diese der Länge nach mit voller Ladung und schwacher Elevation zu beschießen.

Enfilieren (frz., spr. angf-), einfädeln; an-, aufreihen; verwickeln, verstricken (in ein Unternehmen). – E. im militärischen Sinne s. Enfilade.

Enfin (frz., spr. angfäng), endlich; kurz.

Enflammieren (frz., spr. angfl-), entflammen.

Enfle (frz., spr. angfl, von enfler, «schwellen»), ein gewöhnlich von sechs Personen mit je acht Blättern gespieltes Kartenspiel. Wer nicht Farbe zugeben kann, «schwillt», d. h. muß alle Blätter des unterbrochenen Stichs hereinnehmen. Gewonnen hat, wer sich zuerst seiner Karten entledigt.

Enfleurage (frz., spr. angflörahsch’), Verfahren der Parfümeriebereitung, wird angewandt, um die feinsten Blumendüfte, so die der Maiblumen, Tuberosen, Jasminblüte, die sich durch Destillation, Maceration u. s. w. nicht gewinnen lassen, zu erhalten. Die E. wird ausgeführt, indem die ganz frisch gesammelten Blüten in flachen, kastenförmigen Behältern, die mit einer auf der untern Seite mit einer dünnen Fettschicht überzogenen Glastafel bedeckt sind, ausgebreitet werden. Der von den Blüten ausströmende Duft wird von dem Fett absorbiert. Letzteres wird, nachdem es mehrfach derselben Operation gedient hat, entweder unmittelbar zur Darstellung feiner Pomaden verwandt oder es wird mit starkem Alkohol extrahiert, an den es die Riechstoffe abgiebt, deren alkoholische Lösung zur Darstellung der sog. Extraits dient.

Enfoncieren (frz., spr. angfongß-), in die Tiefe versenken; ein-, durchbrechen, auch einsinken; sich in etwas versenken; Enfoncement (spr. angfongßmáng), Vertiefung, Hintergrund (eines Gemäldes, der Bühne) u. s. w.

Enforcieren (frz., spr. angforß-), verstärken.

Engadda, griech.-röm. Name für Engedi (s. d.) in Palästina.

Engadīn, roman. Engiadina, ein Hochthal im schweiz. Kanton Graubünden, vom Inn durchströmt, der in 2480 m Höhe in dem Bergsee des Piz Lunghino, unweit des Septimer, entspringt und in der obern Thalstufe die Seen von Sils, Silvaplana, Campfer und St. Moritz bildet, erstreckt sich von der Querschwelle der Maloja (s. d.) in einer Länge von 91 km von SW. nach NO. bis zu der Grenzschlucht von Martinsbruck (1019 m), unterhalb welcher nur noch die linke Flußseite bis Schergenhof (bei Finstermünz) dem E. angehört. Links wird das Thal von dem Hauptstamme der nordrhätischen Alpen eingeschlossen, deren vergletscherte, 3000‒3400 m hohe Bergstöcke (Piz Lagrev 3170 m, Piz d’Err 3395 m, Piz Kesch 3417 m, Piz Linard 3416 m, Piz Buin 3327 m) das E. von den graubündischen Thalschaften Oberhalbstein, Bergün, Davos und Prättigau und von dem tirolischen Patznaunthale scheiden. Rechts erheben sich in den südrhätischen Alpen das Gletschermassiv des Piz Bernina (4052 m) und östlich vom Berninapasse niedrigere, meist felsige Bergstöcke (Piz Languard 3266 m, Piz Quatervals 3157 m, Piz Seesvenna 3221 m) der Ofenpaßalpen und trennen das Thal von den ital. Landschaften Veltlin und Bormio, dem graubündischen Münsterthale und dem tirolischen Vintschgau.

Das E. besteht aus zwei durch die Querschlucht Zernetz-Süs verbundenen Längenthälern und zahlreichen Seitenthälern, von denen die der linken Seite: Val Bever, Val Sulsanna, Val Susasca, Val Sinestra, Val Samnaun, meist kurz und schmal, zum Teil keine Winterdörfer besitzen; die der rechten Seite sind länger; so das vom Flatzbach durchflossene