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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Entase; Entassieren; Entbehrungslohn; Entbindung; Entdeckung; Ente; Entehrung

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Entase - Entehrung.

Ernährungsweise aufgeben und als Schmarotzer auf Kosten andrer Pflanzen und Tiere zu leben beginnen. Solche Pflanzen verlieren mehr oder weniger das Assimilationsvermögen im Licht und mit demselben das Chlorophyll, und an die Stelle der grünen Blätter treten mißfarbige Schuppen. Die Schmarotzertiere verlieren durch Nichtgebrauch ihrer Bewegungsorgane ihre Freß- und Kauwerkzeuge, welche durch einen Saugapparat ersetzt werden, und manchmal wird das ganze Tier auf einen bloßen in oder auf dem Körper seines Wirtes festgesogenen oder -gewurzelten Klumpen oder Sack, ohne jegliche Gliederung der äußern Gestalt, reduziert, wie z. B. bei den Wurzelkrebsen. Einer ähnlichen E. oder rückschreitenden Metamorphose unterliegen auch die meisten Tiere, welche, ohne eigentliche Schmarotzer zu sein, auf irgend einem Gegenstand im Wasser festwachsen, wie z. B. die Ascidien und die Rankenfüßer; in allen diesen Fällen ist in der Regel das junge Tier, welches die Gestalt der Ahnen wiederholt und noch mit seinen vollständigen Organen versehen ist, ein vollkommneres Wesen als das vor Anker gegangene erwachsene Tier, und in vielen Fällen, wie z. B. bei den letztgenannten drei Beispielen, konnte die Stellung des Tiers im System und seine natürliche Verwandtschaft erst aus der Beobachtung der Jugendlarve ermittelt werden. Bei manchen Tieren betrifft die E. nur einzelne Organsysteme, wie z. B. beiden in finstern Grotten lebenden Tieren, welche die Augen einbüßen, die dann nur noch bei ganz jungen Tieren auftreten. Vgl. Ray. Lankester, Degeneration (Lond. 1880).

In der Medizin bezeichnet man mit E. die rückschreitende Metamorphose der tierischen Gewebe, wobei dieselben sowohl in ihrer chemischen Konstitution als in ihren physikalischen Eigenschaften tiefgreifende Veränderungen erfahren und nicht mehr in normaler Weise oder überhaupt nicht mehr zu funktionieren im stande sind. In chemischer Beziehung beruht der wesentliche Vorgang bei der E. darauf, daß die Eiweißsubstanzen der Gewebe, namentlich der Zellen, in andre Stoffe umgewandelt oder mit gewissen dem gesunden Gewebe fremdartigen Substanzen vermischt werden. Früher unterschied man die hierher gehörigen Zustände nach einzelnen groben äußern Merkmalen in Erweichungen und Verhärtungen der Gewebe. Gegenwärtig unterscheidet man folgende Formen der E.: 1) Die fettige E. beruht auf der Umwandlung des Eiweißes der Zellen in Fett; die Zellen wandeln sich dabei in ein Häufchen von feinsten Fettkörnern um und zerfallen schließlich zu einer resorbierbaren milchähnlichen Substanz. Ihre Ursachen sind Ernährungsstörungen der verschiedensten Art. Die fettige E. ist sehr häufig, kommt fast an allen Organen und Geweben vor; letztere werden dadurch blaß, blutarm, schlaff und mürbe; schließlich verfallen sie der Atrophie (s. d.). 2). Die käsige E. beruht auf einem Wasserverlust, einem Eintrocknen der Zellen, und kommt vor an Entzündungsprodukten (käsige Lungenentzündung) oder an entzündlichen Neubildungen und Wucherungen (Tuberkulose und Skrofulose). 3) Die schleimige E. besteht in dem Auftreten von Schleim in den Zellen, der sich aus dem eiweißreichen Protoplasma der letztern entwickelt, kommt vorzugsweise an den Epithelzellen der Schleimhäute und ihrer Drüsen, gelegentlich auch an andern Geweben vor. 4) Die kolloide E. besteht in dem Auftreten einer homogenen, leimähnlichen, durchsichtigen Substanz, welche keine positive chemische Reaktion besitzt und wahrscheinlich ein modifiziertes Natronalbuminat ist. Sie wird vorzugsweise an den Zellen der Schilddrüse und beim Gallertkrebs des Magens und Darms beobachtet. 5) Die amyloide E., welche bei chronischer Auszehrung an den Gefäßen der Milz, Nieren, Leber, am Darm etc. auftritt (s. Amyloidentartung). Nicht zu verwechseln mit der E. ist die Infiltration der Gewebe, z. B. mit Fett, mit Pigment, Kalk oder harnsauren Salzen. Vgl. Virchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1871).

Entase (Entásis, griech.), Ausbauchung, Anschwellung des Säulenschafts der antiken Säulenordnungen bis zu etwa einem Drittel seiner Länge über der Basis, welche wohl weniger zur Vermehrung der Stabilität als zum Zweck eines kräftigen Aussehens der als Stütze dienenden Säule angewandt worden ist; s. Tafel "Säulenordnungen", Fig. 1-9.

Entassieren (franz., spr. ang-), aufhäufen.

Entbehrungslohn nannten Senior u. a. den Kapitalgewinn, weil sie in demselben eine Vergütung für den Verzicht (Entbehrung) auf den aus der Kapitalanwendung zu ziehenden Genuß erblickten. Die Bezeichnung wurde von Lassalle in seiner Schrift "Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch etc." mit dem Hinweis auf die "Entbehrungen" der europäischen Millionäre verspottet.

Entbindung, Lösen von etwas Gebundenem, Befreiung von einer Verbindlichkeit; E. von der Instanz (absolutio ab instantia), s. Ab instantia absolvieren; E. von Gasen, Abscheidung derselben aus chemischen Verbindungen durch Wärme oder stärkere chemische Verwandtschaft; Entbindungskunst, s. Geburt und Geburtshilfe.

Entdeckung, Auffindung dessen, was schon vorhanden, aber noch nicht bekannt war, z. B. eines neuen Landes, eines neuen Planeten, einer neuen Tier-, Pflanzen- oder Mineralart sowie auch neuer Thatsachen und Gesetze auf dem Gebiet der verschiedenen Wissenschaften. In letzterm Sinn spricht man von der E. des wahren Sonnensystems durch Kopernikus. Die E. kann, wie die Erfindung (s. d.), eine zufällige oder eine absichtliche sein. Zu der absichtlichen E. gehört immer ein ausgezeichnetes Talent zur Anstellung von Beobachtungen, Experimenten oder Spekulationen, unter Umständen auch ein großer Unternehmungsgeist (z. B. zur E. eines neuen Landes oder Weltteils). Von der Entdeckungsgeschichte der Erde, in welcher besonders seit Kolumbus eine sehr rege Thätigkeit entwickelt wurde, so daß man von einem Zeitalter der Entdeckungen spricht, ist bei dem Artikel "Erdkunde" eine allgemeine Übersicht, bei den einzelnen Erdteilen eine eingehendere Darstellung gegeben.

Ente, im übertragenen Sinn (wie auch das franz. canard) s. v. w. falsche Nachricht, besonders eine in Zeitungen verbreitete, gleichsam fortschwimmende, wieder auftauchende Fabel oder Lüge (Zeitungsente). Früher gebrauchte man den Ausdruck "blaue (d. h. nebelhafte, nichtige) E.", der sich schon bei Sebastian Brant und Luther findet. Es ist dabei an Lügende zu erinnern, eine in der Reformationszeit in Mode gekommene polemische Verdrehung des Wortes Legende, welche auch in der Form Lugente vorkommt.

Entehrung, die gänzliche oder teilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre (s. d.). Entehrende Verbrechen sind diejenigen, welche eine entehrende Strafe, d. h. eine mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (s. d.) verknüpfte, nach sich ziehen. In einem besondern Sinn bedeutet E. s. v. w. Defloration, d. h. der außereheliche Beischlaf, durch welchen der betreffenden Frauensperson die Jungfrau-^[folgende Seite]