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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Entwickelungskrankheiten; Entwöhnen; Entwurf; Entziehungskur; Entzücken; Entzündung

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Entwickelungskrankheiten - Entzündung.

nötigen Vorsicht angewendet, die wichtigsten Aufschlüsse darüber, warum sich viele Tiere, statt direkt, auf so vielen Umwegen entwickeln, und warum sie zuerst die Kennzeichen der höhern Abteilungen und dann erst die der niedern und der Art erkennen lassen, denn die Art ist ja das jüngst entstandene Glied dieser Formenkette; es erklärt ferner die Erscheinungen des Atavismus, vieler Mißbildungen und vor allem die natürliche Verwandtschaft der Wesen. Daher der ungeheure Aufschwung, den das Studium der E. in der Neuzeit genommen hat.

Nach dieser geschichtlichen Einleitung bleibt uns noch übrig, kurz den allgemeinen Gang der tierischen Entwickelung anzudeuten. Die Entdeckung von Schwann und Schleiden, daß die Zelle das Elementarorgan ist, aus welchem sich jeder zusammengesetzte organische Körper aufbaut, führte bald zu genauern mikroskopischen Studien über den Aufbau der Gewebe, und es zeigte sich, daß jedes tierische (oder pflanzliche) Wesen seine Entwickelung als einfache Zelle beginnt. Auch bei den höhern Wirbeltieren ist das weibliche Ei, wie es aus dem Eierstock kommt, eine solche einfache Zelle. Dieselbe unterliegt dann nach der Befruchtung zunächst dem von Prevorst und Dumas (1824) entdeckten Furchungsprozeß oder der Segmentation, d. h. sie teilt sich zuerst in 2 Zellen und diese durch wiederholte Doppelteilung in 4, 8, 16, 32 etc. Zellen (Fig. A, B, C, D), die zuletzt einen kugeligen Klumpen, die sogen. Maulbeerlarve (Morula, Fig. E), bilden. Hierauf treten die einzelnen Zellen auseinander und bilden einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum, die Flimmerlarve, auch Blasenkeim (Planula oder Blastula) genannt (Fig. F, G). Indem sich diese aus einer einzigen Lage von Wimperzellen bestehende Hohlblase durch Einstülpung (Invagination, Fig. H) oder, wie es in einzelnen Fällen geschehen soll, durch Teilung ihrer Wandzellen in einen aus einer doppelten Zelllage bestehenden Hohlsack mit Mundöffnung verwandelt, entsteht die sogen. Darmlarve oder Gastrula (Fig. I, K), auch Becherkeim, welche nach Häckel die letzte, allen echten, vielzelligen Tieren (Metazoen) gemeinsame Grundform darstellt. In der That ist der bis hierher beschriebene Entwickelungsgang bei den Tieren der verschiedensten Klassen derselbe, obwohl die Gastrula-Larve unter mancherlei abgeleiteten Formen auftritt, und Häckel schloß daraus nach seinem oben erwähnten "biogenetischen Grundgesetz", daß die Gastrula-Larue das Nachbild einer gemeinsamen Ahnenstufe aller höhern Tiere sei, der sogen. Gasträa, von der noch heute zu den Pflanzentieren gerechnete Verwandte ("Gasträaden der Gegenwart") leben, deren Körper zeitlebens nur aus einer doppelten Zellenschicht besteht. Es ist dies die vielgenannte Häckelsche Gasträatheorie, die von mehreren Zoologen verworfen wird, indem sie annehmen, es seien einzig tektonische Ursachen, welche einen derartigen Verlauf der ersten Entwickelung aller Tiere bedingen.

Auf diese Weise sind zwei deutlich unterschiedene Zellenschichten entstanden, welche den schon von Pander entdeckten primären Keimblättern entsprechen, das die Innenwand der Gastrula auskleidende Magen- oder Innenblatt, auch unteres Keimblatt (Entoderm) genannt, und das sie bedeckende Hautblatt oder äußere Keimblatt (Exo- oder Ektoderm), welche die Grundlage aller fernern Entwickelung der Tiere bilden und zwar so, daß stets aus dem Hautblatt die Körperbedeckungen, das Nervensystem und die Sinnesorgane hervorgehen, weshalb es auch Hautsinnesblatt genannt wird, während sich aus dem Magenblatt die Schleimhaut des Magens und die Eingeweide bilden. Huxley wies 1849 die sogen. Homologie der Keimblätter, d. h. ihre Gleichwertigkeit durch alle Tierklassen, nach und zeigte, daß der Körper der meisten Pflanzentiere zeitlebens nur aus diesen beiden Zellenschichten und deren Derivaten besteht. Bei höhern Tieren bildet sich indessen zwischen beiden bald noch ein mittleres, sekundäres Keimblatt (Mesoderm) oder auch zwei sekundäre Keimblätter, woraus die verschiedenen Muskelsysteme hervorgehen. Über den Ursprung und die Beziehungen sowie die weitern Umbildungen der Keimblätter haben namentlich Remak im Beginn der 50er und Kowalewsky um die Mitte der 60er Jahre gearbeitet, und in neuester Zeit haben Häckel, van Beneden, Balfour, Ray. Lankester, die Gebrüder Hertwig u. a. darüber gearbeitet. Bei der weitern Entwickelung der Tiere krümmen und falten sich diese drei Platten in der mannigfaltigsten Weise, schließen sich an der Bauchseite röhrenförmig zusammen und bilden so die Grundlage des Embryos, über dessen weitere Entwickelung bei den höhern Wirbeltieren der Artikel "Embryo" zu vergleichen ist. Vgl. Wolff, Theoria generationis (Halle 1759); v. Baer, E. der Tiere (Königsb. 1828-37, 2 Bde.); Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbeltiere (Berl. 1850-55); Rathke, E. der Wirbeltiere (Leipz. 1861); Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie (deutsch, Jena 1880-1881, 2 Bde.); Häckel, Biologische Studien (das. 1876-77); Derselbe, Ziele und Wege der heutigen E. (das. 1875); Derselbe, Anthropogenie, E. des Menschen (4. Aufl., Leipz. 1881); Kölliker, E. des Menschen (2. Aufl., das. 1879); Derselbe, Grundriß der E. des Menschen und der höhern Tiere (2. Aufl., das. 1884); His, Unsre Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung (das. 1875).

Entwickelungskrankheiten, s. Krankheit.

Entwöhnen, s. Stillen der Kinder.

Entwurf (Konzeption), im subjektiven Sinn der Keim zu einem (wissenschaftlichen oder künstlerischen) Werk, dessen innere Entwickelung schon angefangen hat; im objektiven Sinn die allen wesentlichen, aber nur diese, Gliederungen und Teile des Werkes umfassende Skizze desselben.

Entziehungskur, s. Hungerkur.

Entzücken, höchster Grad des freudigen Affekts, welcher den davon Ergriffenen nicht bloß, wie jeder Affekt, außer sich, sondern gleichsam und plötzlich an einen weit oder vielmehr hoch über seinem bisherigen gelegenen Ort ("in den siebenten Himmel") versetzt. Steigert sich derselbe dermaßen, daß der Entzückte nicht nur für das, was ihn zunächst umgibt, sondern überhaupt für das mit Sinnen Wahrnehmbare blind und taub wird, d. h. "den Sinn verliert", so geht das E. in Entzückung (s. Ekstase), verliert er aber überdies den Verstand für dasselbe, in Verzückung über.

Entzündung (Inflammatio, Phlogosis), ohne Frage der bei weitem häufigste und wichtigste pathologische Prozeß, der daher nicht mit Unrecht als der Angelpunkt der gesamten Medizin bezeichnet worden ist. Die E. tritt unter sehr verschiedenen Formen auf und führt zu den verschiedensten Resultaten, so daß es schwierig ist, von vornherein festzustellen, was alles unter dem Begriff der E. zusammenzufassen ist. Der Ausdruck E. weist auf einen krankhaften Vorgang hin, welcher mit einer Steigerung der Temperatur verknüpft, aber lokal beschränkt ist; denn Zustände von allgemeiner Temperatursteigerung im ganzen