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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Erodieren; Erodium; Eröffnung; Eröffnung des Hauptverfahrens

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Erodieren - Eröffnung des Hauptverfahrens.

einer E., d. h. zwischen einer vorübergehenden Besetzung eines Teils des Staatsgebiets durch die feindliche Macht und der dauernden Unterwerfung des ganzen Landes unter die obliegende Staatsgewalt. Ebenso ist die Okkupation (in diesem Sinn) eines Teils des Staatsgebiets, welche als Exekutionsmittel behufs Beitreibung von Kriegskontributionen und als Pfand der Erfüllung von Waffenstillstands- und Friedensbedingungen vorkommt, von der E. verschieden. Endlich handelt es sich bei der E. auch nicht um die Annexion (s. d.) eines Teils des feindlichen Staatsgebiets, sondern um die vollständige Aufhebung der bisherigen Selbständigkeit des feindlichen Staatsganzen. Man spricht in dem letztern Fall, in dem also eine eigentliche E. vorliegt, im Völkerrecht auch wohl von einer Debellation (debellatio, plena victoria). Eine solche trat z. B. 1866 gegenüber den besiegten Staaten Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt a. M. ein, während es sich 1871 bei der Abtretung von Elsaß-Lothringen an Deutschland um eine eigentliche E. im völkerrechtlichen Sinn nicht handelte. Indessen pflegt man im gewöhnlichen Sprachgebrauch so streng nicht zu unterscheiden. Insbesondere wird der Ausdruck E. wohl auch von der Aneignung von Staatsgut gebraucht, welches der Sieger für sich in Beschlag nimmt, sowie vom Beutemachen im Krieg überhaupt (s. Beute). Vgl. Holtzendorff, E. und Eroberungsrecht (Berl. 1872).

Erodieren (lat.), wegnagen, wegbeizen; Erodentia, s. v. w. Caustica, Ätzmittel, s. Erosion.

Erodium Hérit. (Reiherschnabel), Gattung aus der Familie der Geraniaceen, der Gattung Geranium sehr nahe stehend und dadurch charakterisiert, daß sich die Fruchtschnäbel bei der Reife spiralig zusammendrehen, einjährige oder ausdauernde Kräuter und Halbsträucher in allen Weltteilen, besonders in den Mittelmeerländern, von denen manche als Zierpflanzen in Gärten vorkommen. E. cicutarium Sm., in Europa, Nordafrika und dem Orient, riecht möhrenartig und wird in einigen Gegenden als Volksmittel auf Wunden und Geschwüre zerquetscht aufgelegt. E. moschatum Hérit., in Deutschland, ganz Südeuropa, Nordafrika und dem Orient, auch am Kap und in Peru, riecht besonders bei trocknem Wetter moschus- oder bisamähnlich und war sonst als Bisam-Storchschnabelkraut offizinell. Die Fruchtschnäbel der Erodien sind sehr hygroskopisch und eignen sich deshalb (besonders die sehr langen von E. ciconium Willd. aus Südeuropa) zu Zimmerhygrometern.

Eröffnung, der Akt, wodurch die Verfügung einer Gerichts- oder sonstigen Behörde zur Kenntnis der Beteiligten gebracht wird. Dieselbe geschieht entweder durch Vorlesung (Publikation) an die anwesenden Interessenten, oder durch schriftliche Zufertigung (Insinuation), oder endlich auch öffentlich, durch öffentlichen Anschlag, Ausrufen oder Einrücken in öffentliche Blätter (s. Aufgebot). Bei Entscheidungen, gegen welche den Beteiligten ein Rechtsmittel zusteht, wird die zur Einwendung desselben geordnete Frist von der E. der betreffenden Verfügung an gerechnet.

Eröffnung des Hauptverfahrens (Verweisungsbeschluß, Verweisungserkenntnis, Versetzung in den Anklagestand), der Gerichtsbeschluß, daß in einer Strafsache die mündliche Hauptverhandlung stattfinden soll. Die Notwendigkeit, unter öffentlicher Klage vor Gericht erscheinen zu müssen, ist für den Angeschuldigten unter allen Umständen ein Nachteil, oft sogar ein erhebliches Unglück, welches selbst durch eine in der mündlichen Verhandlung erfolgende Freisprechung nicht wieder völlig gutgemacht werden kann. Darum ist die moderne Strafprozeßgesetzgebung darauf bedacht, dem Bürger die möglichste Garantie zu geben, daß willkürliche Anklagen gegen ihn vermieden werden, und ebendarum setzt sie wenigstens in den schwereren Anklagefällen einen Richterspruch voraus, wenn die Hauptverhandlung gegen den Angeschuldigten überhaupt stattfinden soll. Nur bei Übertretungen und geringfügigen Vergehen kann in dem Verfahren vor den Schöffengerichten ohne schriftliche Anklage und ohne eine richterliche Entscheidung über die E. nach der deutschen Strafprozeßordnung zur Hauptverhandlung geschritten werden. Im übrigen ist die Erhebung der Klage (s. d.) die Voraussetzung der E., gleichviel, ob eine gerichtliche Voruntersuchung stattgefunden hat oder nicht. Die Anklageschrift soll den Angeschuldigten zugleich in den Stand setzen, sich auf seine Verteidigung gehörig vorzubereiten. Die Anklageschrift wird dem Angeschuldigten durch den Vorsitzenden des Gerichts mitgeteilt. Der Angeschuldigte hat sich binnen einer ihm gesetzten Frist zu erklären, ob er noch die Vornahme einzelner Beweiserhebungen oder, falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden, die Einleitung einer solchen beantragen, oder ob er Einwendungen gegen die E. vorbringen wolle. Der Beschluß des Gerichts über die E. kann sodann folgenden Inhalt haben: 1) Das Gericht kann zunächst noch einzelne Beweiserhebungen oder die Eröffnung einer Voruntersuchung oder die Vervollständigung einer solchen anordnen. 2) Das Gericht beschließt, daß das Verfahren vorläufig einzustellen sei. Dies geschieht dann, wenn der Angeschuldigte nach der That geisteskrank geworden, oder wenn er abwesend ist und es sich um eine That handelt, bei welcher die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeschuldigten nicht stattfinden kann. 3) Der Gerichtsbeschluß geht dahin, daß das Hauptverfahren nicht zu eröffnen sei, aus thatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen. In diesem Fall ist ein etwa erlassener Haftbefehl aufzuheben, auch ist der Angeschuldigte, wenn eine Voruntersuchung stattgefunden hat, außer Verfolgung zu setzen. 4) Es wird auf E. erkannt. Dies geschieht dann, wenn der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung "hinreichend verdächtig" ist. Der Beschluß muß ebendiese Handlung unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale, das anzuwendende Strafverfahren und das Gericht bezeichnen, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Dieser Beschluß kann von dem Angeschuldigten nicht angefochten werden, während die Staatsanwaltschaft den ablehnenden Beschluß (3) vermittelst sofortiger Beschwerde anfechten kann. Der Beschluß über die E. erfolgt in Schöffengerichtssachen durch den Amtsrichter, in Land- und Schwurgerichtssachen durch die zuständige Strafkammer und in Reichsgerichtssachen durch den ersten Strafsenat des Reichsgerichts. Nach der österreichischen Strafprozeßordnung findet eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Anklage nur auf Verlangen des Angeschuldigten statt. Das Gericht, welches diese Entscheidung fällt, ist verschieden von demjenigen, welches die Hauptverhandlung abhält. Nach englischem Recht entscheidet über die E. in Schwurgerichtssachen die Anklagejury (s. d.). Nach französischem Recht hat die Anklagekammer des Appellhofs (Chambre des mises en accusation) diese Funktion. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 196 ff, 451, 456, 462; Heinze, Strafprozessualische Erörterungen (Stuttg. 1875); Glaser, Schriften über Strafrecht und Strafprozeß (2. Aufl., Wien 1883).