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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Evangelische Gesellschaft; Evangelische Kirchenkonferenz; Evangelische Räte; Evangelist

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Evangelische Gesellschaft - Evangelist.

misch-katholischen Angriffe. Der erste Impuls war ein Rundschreiben von Mitgliedern der freien Kirche von Schottland 1845, in welchem aufgefordert wurde, "die Kräfte eines erleuchteten Protestantismus gegen die Übergriffe des Papsttums und Puseyismus zu vereinigen und die Interessen eines biblischen Christentums zu fördern". Auf der Versammlung vom 1. bis 3. Okt. 1845 in Liverpool erweiterte man den ursprünglichen Zweck, die Angriffe des Romanismus zurückzuweisen, insofern, als man in dem religiösen Indifferentismus einen ebenso gefährlichen Gegner erkannte. Es folgte die erste Generalversammlung des Evangelischen Bundes zu London vom 19. Aug. bis 2. Sept. 1846, welcher 921 christliche Männer aus allen Teilen der Erde beiwohnten. Zum Präsidenten (chairman) erwählte man den Baronet Sir Culling Eardley. Man vereinbarte sich zunächst darüber, daß die E. A. keineswegs auf eine Union der einzelnen Konfessionen hinarbeiten, sondern lediglich durch freie Vereinigung von Individuen ein friedliches und freundliches Verhältnis zwischen ihnen anbahnen wolle. Als die Grundprinzipien der evangelischen Kirche, von deren Anerkennung die Mitgliedschaft abhängig sein sollte, wurden folgende neun Glaubenssätze (Societatis evangelicae constitutionis et statutorum expositio brevis) zusammengefaßt: "1) Die göttliche Eingebung, Autorität und Zulänglichkeit der Heiligen Schrift; 2) das Recht und die Pflicht des eignen Urteils in Erklärung der Heiligen Schrift; 3) die Einheit der Gottheit und die Dreiheit der Personen in derselben; 4) die gänzliche Verderbtheit der menschlichen Natur infolge des Sündenfalles; 5) die Menschwerdung des Sohns Gottes, sein Erlösungswerk für die sündige Menschheit und sein Mittleramt als Fürsprecher und König; 6) die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben allein; 7) das Werk des Geistes in der Bekehrung und Heiligung des Sünders; 8) die göttliche Einsetzung des christlichen Predigtamtes und die Verbindlichkeit und Dauer der Stiftungen der heiligen Taufe und des heiligen Abendmahls; 9) die Unsterblichkeit der Seele, die Auferstehung des Leibes, das Weltgericht durch unsern Herrn Jesus Christus mit der ewigen Seligkeit der Gerechten und der ewigen Verdammnis der Ungerechten". Am wenigsten Teilnahme fand die E. A. längere Zeit in Deutschland, da die orthodoxe Partei die rechte christliche Lehrfülle vermißte, die gemäßigte Partei dagegen an den aufgestellten Formeln Anstoß nahm. 1851 hielt der Bund seine Versammlung in London, 1855 in Paris bei Gelegenheit der großen Industrieausstellung. Den Kulminationspunkt bildet die 1857 in Berlin abgehaltene Versammlung. Hier waren 1254 Mitglieder anwesend, darunter 867 aus Preußen, 103 aus andern deutschen Ländern. Nicht weniger besucht war die 1861 in Genf abgehaltene Versammlung. Aber wie schon zu Berlin ein Streit zwischen Bunsen und Krummacher die innern Differenzen hervortreten ließ, so zog sich seit der Genfer Versammlung, in welcher das englisch-methodistische Wesen überwog, die freisinnige Theologie Deutschlands, Frankreichs, Hollands und der Schweiz gänzlich von dem Bund zurück, welcher auf den seither stattgehabten Versammlungen zu Amsterdam 1867, New York 1873, Basel 1879 und Kopenhagen 1885 allerdings einen Bund der Orthodoxen in den verschiedenen evangelischen Kirchen, nicht aber einen Bund aller evangelischen Christen darstellte.

Evangelische Gesellschaft, Gesellschaft in Frankreich mit dem Zweck, die evangelische Lehre mit allen erlaubten Mitteln zu verbreiten. Sie entstand bald nach der Julirevolution 1830 in Genf, von wo aus man besonders die protestantischen Bewohner der Cevennen durch Reiseprediger unterstützte, in Toulouse, wo man für Verbreitung von Bibeln und Erbauungsschriften sorgte, und in Paris, wo man eine Zentralstelle für die evangelisierende Thätigkeit der Protestanten in Frankreich errichtete. Ihre Bestrebungen wenden sich vornehmlich den unter einer katholischen Bevölkerung lebenden Protestanten zu, die sie zu einem Gemeindeverband sammelt und mit Bethäusern, Schulen, Bibeln versieht; zugleich aber trat sie der freisinnigen Richtung des Protestantismus immer feindseliger entgegen. Sie wirkte zugleich im Sinn der Trennung der Kirche von dem Staate, die sich in der 1848 gegründeten "freien Kirche" bereits verwirklicht hat, während die von ihr getrennte, ebenfalls kirchlich gesinnte E. G. des Nordens die Interessen der Staatskirche zu fördern sucht. - E. G. nennt sich auch die Sekte der Albrechtsleute (s. d.).

Evangelische Kirchenkonferenz, eine periodische Konferenz von Abgeordneten deutsch-evangelischer oberster Kirchenbehörden, um "auf Grundlage des Bekenntnisses wichtigere Fragen des kirchlichen Lebens in freiem Austausch zu besprechen und unbeschadet der Selbständigkeit jeder einzelnen Landeskirche ein Band ihres Zusammengehörens darzustellen und die einheitliche Entwickelung ihrer Zustände zu fördern". Berlin und Stuttgart gaben durch die Theologen Snethlage und Grüneisen 1845 die erste Anregung, und schon 1846 trat die erste, jedoch erfolglose Konferenz von 30 Abgeordneten der meisten obersten Kirchenbehörden des evangelischen Deutschland in Berlin zusammen. Auf Grundlage eines zu Frankfurt a. M. im Juni 1851 entworfenen Programms verfaßten während des Elberfelder Kirchentags 1851 zwölf Mitglieder deutsch-evangelischer Kirchenbehörden bezüglich der Realisierung des Projekts geeignete Vorlagen, welche von fast sämtlichen Kirchenregimenten gebilligt wurden. Demgemäß trat im Juni 1852 in Eisenach die deutsche evangelische Konferenz zusammen und ward das "Allgemeine Kirchenblatt für das evangelische Deutschland" unter der Redaktion des Prälaten v. Moser gegründet, welches die Verhandlungen der Konferenz veröffentlicht. In Eisenach wurde ein allgemeines Gesangbuch (s. d.) geplant und Anträge über die liturgischen Einrichtungen, Behandlung der Sekten, Beaufsichtigung der Geistlichen, Kirchenvisitationen, Berichtigung der Lutherschen Bibelübersetzung etc. gestellt. Seit 1854 finden die Versammlungen nur alle zwei Jahre statt. Die evangelische Kirche Österreichs beteiligte sich auch noch nach 1866 an denselben.

Evangelische Räte (d. h. Ratschläge), s. Consilia evangelica.

Evangelist (Evangelista), der Überbringer einer frohen Botschaft, besonders ein Verkündiger der Ankunft Jesu als des Messias; im Neuen Testament ein mit lehrhaftem Auftrag versehener Apostelgehilfe, wie Philippus und Timotheus (Apostelgesch. 21, 8; Eph. 4, 11; 2. Tim. 4, 5); in der Kirchensprache ein Aufzeichner der Lehre, Thaten und Schicksale Jesu, Verfasser eines Evangeliums; in der alten und griechischen Kirche auch der beim Gottesdienst den bestimmten evangelischen Abschnitt lesende Diakonus (vgl. Evangeliarium). Da das Evangelium (s. d.) selbst als ein einheitliches, aber vielgestaltiges galt, verteilte man unter die Evangelisten des Neuen Testaments als Sinnbilder die vier Elemente der Cherubim, weshalb Matthäus mit dem Engel, Markus mit dem Löwen, Lukas mit dem Ochsen, Johannes