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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gaumenbein - Gauner.

schließt. Am freien Rande des Gaumensegels springt bei Affen und Menschen in der Mitte das sogen. Zäpfchen (uvula) kegelförmig vor, während auf jeder Seite zwischen den beiden Blättern der Doppelfalte (sogen. Gaumenbogen) die Mandel (s. d.) liegt. Im Innern jeder Falte der Schleimhaut befindet sich eine Muskelschicht, so daß das Segel bewegt (gehoben, gespannt) werden kann (beim Sprechen, Schlucken etc.), nebst vielen Nerven, Gefäßen etc. Auch das Zäpfchen hat einen besondern unpaaren Muskel zu seiner Hebung, der bei Entzündung der Mund- und Rachenhöhle manchmal gelähmt wird, so daß alsdann das an den Kehldeckel fortwährend anstoßende Zäpfchen zum Husten reizt. Künstlicher G. (obturator palati, palatum artificiale, Gaumenobturator, Gaumenstopfer) heißt eine mechanisch Vorrichtung zum Verschließen von Öffnungen am Gaumengewölbe. Solche Defekte sind zuweilen angeboren, wie beim Gaumenspalt und Wolfsrachen, zuweilen entstehen sie durch Verletzungen, meistens aber durch geschwürige Entzündungen (Lupus, Syphilis). Früher suchte man dergleichen Öffnungen mittels Baumwolle oder Wachs zu verschließen; später schlug Petronius (1563) hierzu goldene oder silberne Platten vor, und Paré (1582) gab mehrere Gaumenobturatoren an, welche in neuester Zeit durch Anwendung des vulkanisierten Kautschuks ihren Wert fast ganz verloren haben. Besonders gut sitzende und praktisch verschließende Obturatoren werden vom Zahnarzt Süersen in Berlin angefertigt. Der Gebrauch aller dieser Vorrichtungen ist seit Erfindung der Gaumennaht (s. Gaumenspalte) sehr eingeschränkt und nur in den Fällen geblieben, wo infolge syphilitischer Geschwüre etc. Löcher im harten G. sich gebildet hatten.

Gaumenbein, s. Schädel.

Gaumenbildung (griechisch Uranoplastik), eine von Bernh. v. Langenbeck angegebene plastische Operation zur Bildung eines Gaumens, welche bei angeborner Gaumenspalte ausgeführt wird, sobald die Kinder etwa zehn Jahre alt geworden sind. Sie hat den großen Vorteil, daß der aus der Beinhaut der Gaumenhälften gebildete Verschluß später verknöchert und ein höchst vollkommenes Resultat liefert, das aber nicht selten durch unruhiges Benehmen der kleinen Patienten während der schmerzhaften, oft stundenlangen Operation beeinträchtigt wird.

Gaumenbogen, s. Gaumen.

Gaumenlaute (Palatale), s. Lautlehre.

Gaumennaht, s. Gaumenspalte.

Gaumenobturator, -segel, s. Gaumen.

Gaumenspalte (Palatoschisis), ein angeborner, ziemlich häufig vorkommender Bildungsfehler des Gaumens, stellt sich im allgemeinen als eine in der Mittellinie des Gaumens hinziehende, etwa 3-10 mm breite Spalte dar, welche bald nur den weichen Gaumen, bald diesen zusammen mit dem harten Gaumen in zwei seitliche Hälften trennt. Ist der harte Gaumen gespalten, so wird dieser Zustand als Wolfsrachen (Rictus lupinus) bezeichnet. Der Wolfsrachen ist regelmäßig kombiniert mit Spaltung des die Zähne tragenden Knochenwalles des Oberkiefers; allein diese sogen. Kieferspalte liegt nicht in der Mittellinie, sondern etwas seitlich von derselben und meist so, daß sie zwischen dem äußern Schneidezahn und dem Augenzahn durchgeht. Manchmal ist die Kieferspalte eine doppelte, so daß das die Schneidezähne tragende Mittelstück des Oberkiefers beiderseits außer Verbindung mit den seitlichen Abschnitten des Oberkiefers steht. Die einfache mittlere Spalte am harten Gaumen verlängert sich dann nach vorn in zwei kurze Schenkel, die beiden Kieferspalten. Neben den letztern kommt regelmäßig noch eine einfache oder doppelte Hasenscharte (s. d.) vor. Durch die G. wird eine abnorme Kommunikation zwischen Mund- und Nasenhöhle hergestellt, welche, weil sie den Abschluß der einen von der andern Höhle unmöglich macht, schon dem neugebornen Kinde das Saugen außerordentlich erschwert, durch direkte Kommunikation der äußern Luft mit dem Kehlkopf zu Katarrhen der Luftwege disponiert und später der Stimme einen widerwärtigen, näselnden Klang gibt, die Sprache aber erschwert und höchst undeutlich macht. Selbst die niedern Grade der G., wo nur der weiche Gaumen mehr oder minder tief gespalten erscheint, beeinträchtigen die Sprache sehr erheblich und geben ihr einen näselnden Charakter. Die G. gehört in die Kategorie der sogen. Hemmungsbildungen und beruht darauf, daß die Vereinigung der beiden den Gaumen bildenden Oberkieferfortsätze, bez. die Verschmelzung dieser mit den vom Stirnfortsatz ausgehenden Zwischenkiefern überhaupt nicht oder doch nicht vollständig erfolgt ist.

Man kann die G. auf operativem Weg durch die Gaumennaht oder Staphylorrhaphie beseitigen, indem man die Ränder der G. mit dem Messer abträgt und die blutenden Schnittflächen durch Nähte miteinander verbindet. Bei dem Wolfsrachen muß, um die Naht der Gaumenschleimhaut vornehmen zu können, diese Schleimhaut vorher von ihrer knöchernen Unterlage abgetrennt und gegen die Mittellinie des Gaumens hin verschoben werden. Eventuell ist diese sehr schwierige und umständliche Operation mit derjenigen der Hasenscharte zu verbinden; wenn es gelingt, die Schleimhaut des Gaumens über der Spalte zu vereinigen, pflegt später von selbst auch eine Verschmelzung der knöchernen Grundlage des harten Gaumens stattzufinden. Spalten und Löcher im harten wie im weichen Gaumen können auch erworben werden durch Verschwärungsprozesse, welche namentlich bei konstitutioneller Syphilis, seltener bei Skrofulose etc. bald in der Schleimhaut des harten oder weichen Gaumens, bald in derjenigen der Nasenhöhle beginnen und den darunter gelegenen Knochen mit zerstören oder durchbrechen können. Nach der Ausheilung solcher Geschwüre bleiben rundliche Löcher oder Spalten im Gaumen zurück, durch welche die Nasen- und Mundhöhle miteinander in abnorme Verbindung treten, so daß Speisen und Getränke leicht aus der Mund- in die Nasenhöhle gelangen und die Sprache ähnlich wie bei der angebornen G. erschwert und in ihrem Charakter verändert ist.

Gaumenstopfer, s. Gaumen.

Gaumenton (gaumiger Ansatz), beim Gesang eine mangelhafte Art der Tonbildung, welche darin besteht, daß dem Vokal die Hauptresonanz zu weit hinten nach dem Gaumen zu gegeben wird.

Gauner, Bezeichnung einer Klasse von Menschen, welche Betrug und Diebstahl gewerbsmäßig nach bestimmten Prinzipien und Regeln, unter Anwendung eines besondern Sprachidioms (s. Kochemer-Loschen ^[richtig: Kochemer Loschen]) und geheimer Erkennungszeichen sowie in mehr oder minder regelmäßig organisierter Verbindung und Wechselwirkung betreiben. Die Spuren organisierter und gewerbsmäßig betriebener Dieberei und Gaunerei reichen in den einzelnen deutschen Ländern wie anderwärts weit zurück. Im Lauf des 17. Jahrh. suchte man dem Übel durch strenge Gesetze abzuhelfen. Nach württembergischen Gesetzen vom Anfang des 18. Jahrh. sollten G. "sine strepitu