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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gerichtsordnung; Gerichtsorganisation; Gerichtspersonen; Gerichtsschreiber; Gerichtssprache; Gerichtsstab

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Gerichtsordnung - Gerichtsstab.

Justizsachen, welche nach der Konkurs-, Zivil- und Strafprozeßordnung vor den ordentlichen Gerichten verhandelt werden. Hiernach werden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die G. nach Pauschalsätzen erhoben, welche sich nach dem Werte des Streitgegenstands bestimmen. Der einheitliche Grundpauschalsatz heißt die volle Gebühr. Diese kommt zur Erhebung 1) für die kontradiktorische mündliche Verhandlung (Verhandlungsgebühr), 2) für die Anordnung einer Beweisaufnahme (Beweisgebühr), 3) für eine andre Entscheidung (Entscheidungsgebühr). Hat der Prozeß diese drei Stadien durchlaufen, so ergibt die Verbindung dieser drei Sätze die G. für die Instanz. In gewissen Fällen kommen nur bestimmte Bruchteile (Zehntel) der vollen Gebühr in Ansatz. Stempel oder andre Abgaben dürfen neben den Gebühren nicht erhoben werden; doch kommen die baren Auslagen (Schreibgebühren, Porti, Tagegelder der Richter, Gebühren der Zeugen und Sachverständigen, Insertionskosten u. dgl.) zur Erstattung. Die Kosten sind endgültig von demjenigen streitenden Teil zu tragen, welchem sie in der gerichtlichen Entscheidung auferlegt werden. Dies ist regelmäßig der unterliegende Teil, welchem die Prozeßkosten ganz oder teilweise, je nachdem es sich um ein gänzliches oder teilweises Unterliegen handelt, zur Last gelegt werden. Die Kosten werden durch Vorschuß sichergestellt. Unbemittelten kann das Armenrecht (s. d.) erteilt werden. Im Strafprozeß wird der Pauschalsatz für das ganze Verfahren erhoben. Der Kostenbetrag richtet sich nach der Höhe der erkannten Strafe. Die G. sind im Fall der Verurteilung vom Angeklagten, im Fall der Freisprechung von der Staatskasse, resp. vom Privatkläger zu tragen. Bei Antragsdelikten sind die durch Zurücknahme des Antrags erwachsenden Kosten dem Antragsteller zur Last zu legen. Der Privatankläger hat in Strafsachen, welche nicht von Amts wegen verfolgt werden, einen Kostenvorschuß zu erlegen. Auch die deutsche Strafprozeßgesetzgebung unterscheidet zwischen Gebühren und Auslagen, zu welch letztern auch die Haftkosten gehören. Da die G. nach dem deutschen Gerichtskostengesetz unverhältnismäßig hoch gegriffen zu sein schienen, wurde durch ein Nachtragsgesetz (Novelle) vom 29. Juni 1881 eine Ermäßigung statuiert, namentlich in Ansehung der sogen. Nebenkosten (Schreib-, Zustellungs- und Vollstreckungsgebühren); indessen wird noch eine weitere Ermäßigung vielfach angestrebt, namentlich auch in Ansehung der Gebühren der Gerichtsvollzieher (s. d.). Die Gebühren der Rechtsanwalte sind durch die Gebührenordnung vom 7. Juli 1879 normiert (s. Rechtsanwalt), diejenigen der Zeugen und Sachverständigen durch die Gebührenordnung vom 30. Juni 1878. Vgl. die erläuternden Ausgaben des Gerichtskostengesetzes von Becker und Groch (4. Aufl., Berl. 1883), Pfafferoth (4. Aufl., das. 1886) u. a.; Förster, Tabellen zur Berechnung der G. (Düsseld. 1878); Reinecke, Ansatz der G. (Berl. 1883).

Gerichtsordnung, ausführliches Gesetz, welches in umfassender Weise die Organisation und das Verfahren der Gerichte regelt. Die wichtigsten Gerichtsordnungen des gemeinen Rechts waren für den Zivilprozeß die Kammergerichtsordnungen von 1495 und 1555 und für den Kriminalprozeß die von Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Regensburg 1532 als Gesetz angenommene, von dem fränkischen Freiherrn v. Schwarzenberg entworfene peinliche Halsgerichtsordnung (Carolina, C. C. C., d. h. Constitutio criminalis Carolina). Für das Deutsche Reich sind jetzt die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren durch die Reichsjustizgesetze und zwar durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877, die Zivilprozeßordnung vom 30. Jan. 1877, die Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 und die Konkursordnung vom 10. Febr. 1877 geregelt, welche 1. Okt. 1879 in Kraft traten. Dazu kamen dann noch das Gerichtskostengesetz vom 18. Juni 1878, die Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher vom 24. Juni 1878, die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni 1878, die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 und die Gebührenordnung für Rechtsanwalte vom 1. Juli 1879. Vgl. Gericht.

Gerichtsorganisation (Justizorganisation, Gerichtsverfassung), die Art und Weise, wie die Gerichte zur Ausübung der Gerichtsbarkeit eingerichtet sind. Für das Gebiet des Deutschen Reichs ist die neue und gemeinschaftliche G. durch die Justizgesetze von 1877 herbeigeführt (s. Gerichtsordnung).

Gerichtspersonen, Bezeichnung für die berufsmäßig und ständig einem Gericht zugehörigen Personen. Die deutschen Justizgesetze rechnen zu den G. nicht bloß den Richter (s. d.), sondern auch den Gerichtsschreiber (s. d.), während Schöffen und Geschworne zu den G. im Sinn der Prozeßgesetze nicht gehören.

Gerichtsschreiber (Gerichtssekretär, lat. Actuarius, franz. Greffier, engl. Clerk), Gerichtsbeamter, welchem die Aufnahme der gerichtlichen Verhandlungen und die Sammlung und Aufbewahrung der Gerichtsakten obliegt. Die Justizgesetzgebung des Deutschen Reichs, welche die vordem zumeist übliche Bezeichnung Aktuar durch den Titel G. ersetzt hat, weist dem G. außer der Protokollführung die Erteilung von Abschriften und Ausfertigungen, die Bescheinigung der Rechtskraft der Erkenntnisse, die Entgegennahme von Schriftsätzen, die Ladung von Zeugen und Sachverständigen, die Aufnahme von Klagen und Privatanklagen bei den Amtsgerichten und die Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen von Urteilen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu. Dazu kommen nach den Landesgesetzgebungen noch manche andre Obliegenheiten, so z. B. in Preußen die Aufnahme von Wechselprotesten, die Führung der Grundbücher und die Vornahme von Inventuren, Siegelungen und Entsiegelungen. Von der zuletzt gedachten Verrichtung sind jedoch die Gerichtsschreibergehilfen ausgeschlossen. Dasselbe gilt von den vollstreckbaren Ausfertigungen der Urteile, indem das preußische Recht zwischen dem G. und den Gehilfen desselben, ebenso wie das französische zwischen greffier en chef und commis-greffiers, unterscheidet. Nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz (§ 154) muß bei jedem Gericht eine Gerichtsschreiberei eingerichtet werden. Die Geschäftseinrichtung ist Sache der Landesjustizverwaltung; bei dem Reichsgericht bestimmt sie der Reichskanzler. Auf die Ausschließung und Ablehnung der G. finden die Bestimmungen, welche in dieser Hinsicht bezüglich der Richter gelten, entsprechende Anwendung. Vgl. Wolfs, Die Funktionen des Gerichtsschreibers (2. Aufl., Oppeln 1879); Rapp, Leitfaden für den deutschen G. (9. Aufl., Leipz. 1879); "Handbuch für G. und Gerichtsvollzieher" (2. Aufl., Trier 1883).

Gerichtssprache, s. Geschäftssprache.

Gerichtsstab, Zeichen der richterlichen Gewalt und Würde, ward vormals insbesondere bei Hegung des peinlichen Halsgerichts gebraucht, der Richter "stabte" den Eid, indem er ihn auf den G. leisten ließ, und nach der peinlichen Gerichtsordnung von 1532 wurde der G. nach Verlesung eines Todesurteils zerbrochen; daher der Ausdruck "den Stab über jemand brechen".