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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Geschmack; Geschütze

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Geschmack - Geschütze.

die harmonistische Auffassung, welche v. Öttingen verficht, zu sprechen vermag. Öttingen nennt heiratsfähiges Alter jenes, das zwischen dem 20. und 50. Jahre liegt. Dem kann man auch entgegnen, daß es auf das bloße heiratsfähige Alter nicht ankommt, sondern auf jenes, in dem die Heirat erfolgen muß, um dem geschlechtlichen Bedürfnis des Menschen genug zu thun. Und dieses Alter dürfte zwischen dem 20. und 30. Jahre liegen. Hier zeigt sich aber nach einer von Wappäus mitgeteilten, von Öttingen benutzten Tabelle ein Frauenüberschuß von etwa 55 auf 1000 Männer. Indes auch für jene 20-50 Jahre, welche mehr theoretische als hervorragend praktische Bedeutung haben, von denen Öttingen spricht, also in diesem über die Grenzen der Heiratsbedürftigkeit sich weit hinaus erstreckenden Alter ist nach den Öttingenschen Tabellen ein Überschuß von 30-40 Frauen auf 1000 Männer vorhanden. Und da mag man wieder fragen: Ist das Gleichgewicht? Eher könnte man daraus schließen, daß auf je 1000 Männer naturgesetzlich 4 oder 2 oder einer kommen müssen, denen je 2 oder 3 oder 5 Frauen gestattet seien.

Eine vorurteilslose Betrachtung der Ziffern kann offenbar nur zu folgenden Ergebnissen führen: Wäre jeder Mann mit dem Eintritt in die Heiratsfähigkeit auch erstens mit den materiellen Mitteln für die Gründung einer Familie ausgestattet, zweitens von dem Willen beseelt, eine Ehe einzugehen, drittens jederzeit fertig zur Wahl hinsichtlich der Lebensgefährtin, dann würde sich aus der Verteilung der beiden Geschlechter zur Zeit der Geschlechtsreife in den europäischen Kulturländern ohne Italien die Nötigung des Eheverzichts für einen Teil des weiblichen Geschlechts, oder die Berechtigung der Polygamie für eine kleine Anzahl Männer ergeben. In den Ländern der Balkanhalbinsel und in den andern Weltteilen würde umgekehrt ein Teil der Männer entweder zum Cölibat genötigt oder zur Polyandrie berufen sein. Da nun aber thatsächlich im Alter der eben eingetretenen Heiratsfähigkeit die Mittel, um eine Ehe einzugehen, nur einzelnen und wenigen zur Verfügung stehen, wird sich der geschlechtliche Verkehr in der Ehe nicht erschöpfen, und schon aus diesem Grunde, ganz abgesehen von allen andern, die sittliche Ordnung sich thatsächlich in Widerspruch setzen mit jener, die die monogamische Ehe als Bedingung des geschlechtlichen Verkehrs hinstellt. Die Berechtigung der monogamischen Ehe ist damit übrigens nicht angefochten. Und auch ihre Möglichkeit ist durch den Überschuß auf seiten des einen oder des andern Geschlechts nicht verneint. Nur das ist nachgewiesen, daß nicht die statistischen Ziffern der Bevölkerungsverteilung nach Geschlechtern sie als einzig berechtigte und einzig mögliche Form dauernder Geschlechtervereinigung rechtfertigen, sondern daß diese Rechtfertigung durchaus und allein von andrer Seite herkommen muß.

Geschmack (in psychologischer Hinsicht) scheint direkt aus dem Tastsinn sich entwickelt zu haben; denn wenn bei vielen niedern Tieren bestimmte Organe für die Geschmacksempfindung nicht nachzuweisen sind, so dürfte der Grund hierfür darin liegen, daß gewisse empfindlichere Tastwerkzeuge auch durch Geschmackseindrücke in eigentümlicher Weise erregt werden. Bei den höhern Tieren ist der G. aufs engste mit dem Geruch verbunden: beide sind chemische Sinne, welche durch Einführung und Zersetzung von Stoffen in Thätigkeit geraten. Ihre hohe Bedeutung für das Leben des psychophysischen Organismus verrät sich in ihrer Lokalisation am Körper: der Geruch hält Wacht vor den Atmungsorganen, der G. vor den Verdauungsorganen. Die innere Erfahrung unterscheidet sechs Qualitäten: bitter, salzig, süß, sauer, alkalisch, metallisch, von denen wahrscheinlich die ersten vier einfache Qualitäten sind. Die neuesten Untersuchungen von Öhrwall, Goldscheider, Schmidt haben gezeigt, daß jede von diesen vier Empfindungen an eine bestimmte Art von Nervenfasern, bez. Endorganen, gebunden ist, und daß die Papillen mit solchen differenten Fasern in verschiedenem Verhältnis ausgerüstet sind, wie sowohl die adäquate als auch die elektrische Reizung übereinstimmend lehren. Der Umstand, daß der G. sehr stark mit Lust- und Unlustgefühlen versetzt ist, hat Veranlassung gegeben, den Ausdruck auf das ästhetische Gebiet zu übertragen, was nach dem Vorgang der Spanier, Engländer, Franzosen für die deutsche Sprache zuerst 1727 durch Bodmer und J. U. ^[Johann Ulrich] König geschehen ist.

Geschütze. Die Thätigkeit der Geschützkonstrukteure ist jetzt im wesentlichen darauf gerichtet, die Verwendung rauchlosen Pulvers für die Geschützladungen und brisanter Sprengstoffe für die Sprengladung der Geschosse zur Erzielung möglichst großer Sprengwirkung auszubilden. Wenn ersteres zur Erreichung größerer Geschoßgeschwindigkeiten nur bei den Flachbahngeschützen der Feld-, Küsten- und Schiffsartillerien, weniger bei Festungs- u. Belagerungsgeschützen zur Geltung kommt, so gewinnen alle G. durch den fast gänzlichen Fortfall der Pulverrückstände. Schnellfeuerkanonen haben sich in die Schiffs- und Küstenartillerie überall, in die Festungsartillerie einstweilen nur in Verbindung mit den Panzerlafetten eingeführt. Auch ihre Verwendung in der Feldartillerie wird lebhaft besprochen und ist diese wohl nur eine Frage der Zeit. Ein Haupthindernis, der Mangel einer sichern Schußbremse, scheint in Frankreich durch die Seilbremse des Majors Lemoine befriedigend gelöst. Die Bremse wirkt durch Anziehen eines die Radnabe umschlingenden Drahtseiles selbstthätig, um so kräftiger, je heftiger der Rücklauf ist. Auch die österreichischen Feldgeschütze sind mit einer Fahr- und Schußbremse versehen worden. Das Grusonwerk hat eine kräftig wirkende Nabenbremse als Schußbremse hergestellt. In Rußland ist dem General Engelhardt die Herstellung einer leichten, fahrbaren Feldmörserlafette gelungen, es ist eine kurze Wandlafette, ähnlich den Feldlafetten. Das Zerbrechen der Achse durch den Rückstoß bei den hohen Elevationen des Mörsers wird durch zwei starke, mittels einer breiten Fußplatte verbundene Stutzen verhütet, welche unter der Achse derart befestigt sind, daß sie beim Fahren heraufgeklappt werden können. Ihre Höhe ist so bemessen, daß sie die Räder ganz entlasten. Das Grusonwerk hat eine 12 cm Schnellfeuerhaubitze, eine 15 u. 21 cm Haubitze in Panzerlafette (s. d.) von guten Schußleistungen hergestellt. Die erstere erreicht 12-15 Schuß in der Minute. In England sollen die Versuche mit den für die Feldartillerie bestimmten Hinterladungskanonen noch nicht beendet sein. Zur Einführung kommen für die Positionsbatterien ein 20-Pfünder (8,89 cm Kaliber), Granate 9 kg, Geschützladung 2,7 kg, Geschoßgeschwindigkeit 513 m; für die Feldbatterien ein 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber), Granate 5,675 kg, Geschützladung 1,815 kg, Geschoßgeschwindigkeit 521 m; für die reitenden Batterien ein leichter 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber). Die Herstellung der neuen G., auch für die Marine, soll noch sehr im Rückstand sein und sehr langsam fortschreiten. In England ist das Vertrauen zu den neuen Geschützen nicht groß. Das größte G., welches von Armstrong bis jetzt gefertigt wurde, hat 43,2 cm Kaliber, ist 42 Ka-^[folgende Seite]