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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gnomiker; Gnomon; Gnoseologie; Gnosis

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Gnomiker - Gnosis etc.

ten und sie so von früher Jugend an den Gemütern als dauerndes Eigentum einzuprägen suchten. Auch Sittenlehren und Lebensregeln wurden von den Weisen jener Zeit (z. B. den "sieben Weisen") in dieser Form unter das Volk gestreut. Etwas später brachte Theognis aus Megara, der eigentliche Meister der Gattung, die gnomische Poesie zu ihrer höchsten Ausbildung. Bei den Römern verdienen Erwähnung die unter dem Namen "Cato" (s. d.) bekannte Spruchsammlung und die Sentenzen des Publius Syrus. Die besten Sammlungen der griechischen Gnomendichter lieferten Brunck (Straßb. 1784; hrsg. von Schäfer, Leipz. 1817) und Gaisford (Oxf. 1814-20; neuer Abdruck, Leipz. 1823, 5 Bde.). Zu den G. gehören auch die deutschen Priameln (s. d.) des 14. und 15. Jahrh. sowie aus der modernen Litteratur die aphoristischen Offenbarungen in Rückerts "Weisheit des Brahmanen", Schefers "Laienbrevier" und ähnlichen Dichtungen.

Gnomiker, Gnomendichter; Gnomolog, Gnomensammler.

Gnomon (griech., "Anzeiger"), uraltes astronomisches Instrument zur Bestimmung der Sonnenhöhe und der Zeit des Mittags (der größten Sonnenhöhe); ursprünglich eine vertikale Säule, die ihren Schatten auf eine horizontale Ebene warf; durch das Verhältnis der Schattenlänge zur Höhe des G. war die Sonnenhöhe bestimmt. Vgl. Astronomische Instrumente und Sonnenuhr. Gnomonik, die Kunst, Sonnenuhren zu verfertigen.

Gnoseologie (griech.), Erkenntnislehre (s. d.).

Gnosis, Gnostizismus und Gnostiker. Der Name Gnosis (griech., "Kenntnis, Erkenntnis") bezeichnete zur neutestamentlichen Zeit im jüdisch-alexandrinischen sowie auch im christlichen (vgl. z. B. 1. Kor. 8, 1) Sprachgebrauch die tiefere Einsicht in den innern Zusammenhang einer religiösen Gedankenwelt und infolgedessen zuletzt geradezu eine esoterische Religionslehre im Gegensatz zu dem Autoritätsglauben der nur die symbolische Hülle der Ideen festhaltenden Menge. Das war im wesentlichen schon der Charakter der heidnischen Mysterien, und so stellt das, was in der Kirchengeschichte Gnosis heißt, im Grund auch nichts andres dar als den Versuch, das Christentum umzugestalten nach der Form der antiken Mysterien und es in einem neuen Mysterienkultus als die Vollendung und tiefere Wahrheit der allen gnostischen Systemen zu Grunde liegenden Naturreligionen erscheinen zu lassen. Dieser Tendenz zufolge machte sie die Probleme der Kosmologie zur Basis der Religionslehre und gefährdete durch eine phantastisch-spekulative Gottes- und Weltanschauung die wesentlich praktische Aufgabe des Evangeliums. Um sich den Aufbau dieser gnostischen Systeme anschaulich zu machen, muß man sich in jene gärungsvolle Zeit hinein versetzen, in welcher zwischen den Völkern des Orients und Occidents, wie sie das römische Weltreich noch alle umschloß, der regsamste Ideenaustausch statthatte und die entlegensten Religionselemente miteinander in Berührung traten. Die Zeit der großen Invasion orientalischer Kulte unter Hadrian und den Antoninen war auch die Blütezeit der Gnostiker. Da aber auch jüdische Religionslehren, namentlich in Alexandria, in diesen Religionseklektizismus hereingezogen wurden, so lassen sich in den gnostischen Systemen die allenthalben ineinander überfließenden Elemente altorientalischer (besonders syrischer und persischer, wohl auch indischer) Religionssysteme, jüdischer Theologie und Platonischer wie stoischer und Pythagoreischer Philosophie nachweisen. Diese gnostischen Systeme sind zwar nicht mit den philosophischen Produkten des Hellenentums zu vergleichen, da sie sich mehr in phantasievollen Anschauungen und symbolischen Bildern als in abstrakten Begriffen bewegen, beschäftigen sich aber schließlich doch mit der Lösung derselben Probleme, als da sind: der Übergang vom Unendlichen zum Endlichen, die Schöpfung; Gott als Urheber der seinem geistigen Wesen so fremdartigen materiellen Welt; das Mangelhafte darin, das der Vollkommenheit, und das Böse darin, das der Heiligkeit des Schöpfers nicht entspreche; die Verschiedenheit der sittlichen Naturen von den göttlich gesinnten Menschen bis herab zu den Sklaven der sinnlichen Begierde etc. Während demnach das Christentum sich darauf gewiesen sah, den religiösen Glauben von Metaphysik und Philosophie möglichst unabhängig zu stellen, und daher spekulative Kosmogonien zurückwies, wollte der Gnostizismus im gesamten Verlauf des Weltlebens eine Geschichte Gottes finden. Im Widerspruch mit der jüdischen Idee der Schöpfung aus nichts stellte er in seinen mehr griechischen Formen die Vorstellung von einem Ausfließen alles Seins aus dem höchsten Sein der Gottheit aus. Diese Idee der Emanation ließ sich unter den mannigfaltigsten Bildern darstellen, so unter dem Bild einer Zahlenentwickelung aus einer Ureinheit, eines Ausströmens des Lichts von einem Urlicht u. dgl. Gott selbst erschien dabei als der in sich verschlossene, unnahbare und unerkennbare Urquell aller Vollkommenheit und zwischen ihm und dem Endlichen kein unmittelbarer Übergang denkbar. Wohl aber werden die mannigfachen dem Wesen der Gottheit innewohnenden Kräfte (Äonen) zu Keimen aller weitern Lebensentwickelung in der Art, daß die Stufen dieser letztern immer tiefer sinken, je mehr sich die Äonen von dem ersten Gliede der Kette entfernen. An die Stelle dieser Emanationslehre tritt in den orientalisch beeinflußten Schulen ein dualistischer Gegensatz: Gott als dem Herrn und Schöpfer der Geister steht von Ewigkeit gegenüber das Reich der Materie, welches als solches bös ist. Beide Formen gehen mannigfach ineinander über, stehen sich aber in den reinsten und durchsichtigsten Systemen doch in charakteristischem Gegensatz gegenüber.

In der alexandrinischen Gnosis herrscht der griechische Schulbegriff der Materie vor, welche als das Wesenlose, Leere (Kenoma) im Gegensatz zu der Fülle des göttlichen Lebens (Pleroma) erscheint. Indem die durch Emanation sich entwickelnden Wesen immer schwächer werden, entsteht auf der untersten Stufe ein Erzeugnis, das sich nicht mehr in dem Zusammenhang mit der göttlichen Lebenskette zu erhalten vermag und in das Chaos hinabsinkt. Dadurch wird zwar das Chaos beseelt, aber zugleich auch das Göttliche getrübt. Das Dasein vervielfältigt sich, es entsteht ein untergeordnetes, mangelhaftes Leben; es wird Boden für eine materielle Welt gewonnen. Die syrische Anschauungsweise schließt sich dagegen an die parsische Lehre von einem wild tobenden Reich des Bösen oder der Finsternis an, welches durch seinen Angriff auf das Lichtreich die Vermischung des Göttlichen und des Ungöttlichen herbeiführte. Eine nicht minder wesentliche Differenz zwischen den verschiedenen gnostischen Systemen betraf die Stellung, welche man das Christentum teils zu dem Ganzen der menschlichen Entwickelung, teils insonderheit zu dem Judentum einnehmen ließ. Zwar stimmen die gnostischen Systeme darin überein, daß sie die materielle Welt nicht sowohl auf den höchsten