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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Handelsgeographische Gesellschaften; Handelsgerichte

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Handelsgeographische Gesellschaften - Handelsgerichte.

denen Teile der Erde als ebenso viele Absatz- oder Bezugsgebiete vorführt. Somit deckt die Bezeichnung H. nicht ganz den Begriff; die Bezeichnung wirtschaftliche Geographie ist in neuester Zeit mehr an ihre Stelle getreten, wie denn naturgemäß die H. zum nicht geringen Teil auf das Gebiet der Nationalökonomie hinübergreift. Es ist daher klar, daß eine jede allgemeine oder spezielle Geographie auch die Fragen, welche die H. insbesondere angehen, wird behandeln müssen, daß die H. sich nur auf ein engeres Feld beschränkt, dieses Feld aber intensiver ausbaut. Das Bedürfnis nach Leitfäden, in welchen diese Richtung verfolgt wird, machte sich namentlich seit Errichtung von Handels- und Realschulen geltend. Gerade für diese ist eine Anzahl der nachstehenden Publikationen verfaßt. Als die wichtigsten erscheinen: K. Andree, Geographie des Welthandels (2. Aufl., Stuttg. 1877, 2 Bde.); Glogau und Haushofer, H. der europäischen Staaten (das. 1877, 2 Bde.); die kleinern Lehrbücher von Büchele (das. 1869, 2 Bde.), Ruge (8. Aufl., Dresd. 1881), Egli (3. Aufl., Leipz. 1883), Deckert (Stuttg. 1882), Zehden (5. Aufl., Wien 1886), Schiller (4. Aufl., das. 1885). Vgl. ferner Kohl, Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche (Dresd. u. Leipz. 1841); Derselbe, Die natürlichen Lockmittel des Völkerverkehrs (Brem. 1878); Scherzer, Statistisch-kommerzieller Teil der Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde (2. Aufl., Leipz. 1867); Derselbe, Das wirtschaftliche Leben der Völker (das. 1885); Jung, Lexikon der H. (das. 1882).

Handelsgeographische Gesellschaften, in neuester Zeit entstandene Vereinigungen, welche gleich den Geographischen Gesellschaften die Erweiterung und Verbreitung geographischer Kenntnisse anstreben, aber dabei praktische Ziele verfolgen, indem sie den Export zu heben, die Auswanderung in geeignete Gebiete zu lenken und die Kolonisation zu fördern suchen. Die erste derartige Gesellschaft wurde in Frankreich und zwar 1873 zu Paris gegründet, welcher schon im nächsten Jahr eine zweite zu Bordeaux folgte. In der neuesten Zeit schlossen sich Nantes (1882) und Havre (1884) an. In Deutschland hatte zwar bereits 1873 die damals gegründete Geographische Gesellschaft in Hamburg die Erweiterung des Handels als eine ihrer Aufgaben hingestellt; deutlicher ausgesprochen und bestimmter begrenzt war indes das Programm, mit welchem 1878 der Zentralverein für Handelsgeographie vor die Öffentlichkeit trat. Derselbe wollte einen regen Verkehr zwischen den im Ausland lebenden Deutschen und dem Mutterland anbahnen sowie über die natürlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Länder, wo Deutsche angesiedelt sind, Aufklärung verbreiten. Die Auswanderung sollte nach solchen Ländern gefördert werden, welche der Ansiedelung Deutscher günstig sind, und in welchen das deutsche Volksbewußtsein sich zu erhalten vermag. Auf diese Weise dachte der Verein die Anlage von Handels- und Schiffahrtsstationen und die Begründung deutscher Kolonien bewirken zu können. Der Verein besitzt jetzt Zweigvereine in Leipzig, Jena, Barmen, Stuttgart und in Brasilien (8), von denen die zu Barmen und Leipzig sich eine selbständigere Stellung bewahrt haben. Sein Organ ist die Wochenschrift "Export"; auch erschienen in zwanglosen Heften die "Geographischen Nachrichten für Welthandel und Volkswirtschaft". Ähnliche Zwecke verfolgt der am 6. Dez. 1882 zu Frankfurt a. M. begründete, später nach Berlin übergesiedelte Deutsche Kolonialverein, welchem eine große Zahl von Sektionen in allen Teilen Deutschlands angehören. Sein Organ ist die "Deutsche Kolonialzeitung". In Österreich besteht seit 1874 das Orientalische Museum in Wien, welches sein Augenmerk vornehmlich auf den Orient richtet und außer der "Österreichischen Monatsschrift für den Orient" seit Februar 1886 auch eine Wochenschrift: "Das Handels-Museum", herausgibt. In der Schweiz bestehen die Ostschweizerische Geographisch-kommerzielle Gesellschaft zu St. Gallen (1878) und die Mittelschweizerische Geographisch-kommerzielle Gesellschaft zu Aarau (1884), in Italien die Società d'esplorazione commerciale in Africa zu Mailand (1879), in Spanien die Sociedad española de geografia comercial zu Madrid (1885) und in Portugal die Sociedade de geografia comercial zu Porto (1880). Sie geben fast sämtlich Jahresberichte mit Abhandlungen heraus.

Handelsgerichte, von den gewöhnlichen Tribunalen verschiedene Gerichte zur Entscheidung der Handelssachen. Ursprünglich Standes- und Korporationsgerichte, wurden sie später als von Laien besetzte Spezialgerichte in vielen Staaten beibehalten. Dem Bedürfnis nach rascher Erledigung von Rechtsstreitigkeiten in Handelssachen sollte durch Auswahl sach- und personalkundiger Mitglieder entsprochen werden. Name und Sache stammen aus Frankreich. Hier hatte sich im Mittelalter der Handel eine besondere Gerichtsbarkeit geschaffen, die in Wirksamkeit trat, bevor sie von den Staatsbehörden anerkannt wurde. Das erste Handelsgericht wurde zu Toulouse 1549, das von Paris 14 Jahre später durch den Kanzler de l'Hôpital errichtet. Einer vom Prevost der Kaufleute und den Schöffen von Paris bezeichneten Versammlung von 100 notabeln Parisern wurde durch ein Edikt von 1563 das Recht erteilt, fünf konsularische Richter auf ein Jahr zu ernennen, deren Funktionen unentgeltlich waren, und welche über alle Streitigkeiten zwischen Kaufleuten urteilen sollten. Diese Einrichtung wurde durch das die Zünfte und Handwerksinnungen aufhebende Edikt vom Februar 1776 bestätigt und dauerte bis zur Revolution. Die Befugnisse der so eingerichteten Korporationen bestanden darin: 1) als gütliche Schiedsgerichte über von den Parteien freiwillig vor sie gebrachte Handelsstreitigkeiten zu urteilen; 2) in schwierigen Fragen, und wo ihr Rat nachgesucht wurde, den Verwaltungsgerichten gewissermaßen als Experten zu dienen; 3) im allgemeinen über Handel und Schiffahrt zu wachen und deren Nutzen zu fördern. Die Revolution ließ diese Zustände im Wesen bestehen; das Gesetz vom 24. Aug. 1791 ordnete die H., und der Code de commerce behielt sie bei. H. werden dort errichtet, wo die Lebhaftigkeit des Verkehrs ein Bedürfnis dafür begründet; wo dies nicht der Fall ist, entscheiden die gewöhnlichen Tribunale "commercialement". Zur Zeit bestehen in Frankreich 389 Handelstribunale, wovon 216 ausschließlich aus Vertretern des Handelsstandes zusammengesetzt sind. Letztere werden durch die Notabeln des Handelsstandes auf zwei Jahre gewählt und von der Regierung bestätigt (Gesetz vom 10. Jan. 1872). Für den einzelnen Fall besteht das Gericht aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Ein Greffier (Gerichtsschreiber) ist jenem beigeordnet. Diese Einrichtung verbreitete sich über Belgien, Spanien, Portugal, Italien, die damals der französischen Herrschaft unterworfenen Teile Deutschlands und die Niederlande. In den letztern schaffte man sie indessen wieder ab. Dänemark errichtete 1861 ein eignes See- und Handelsgericht zu Kopenhagen.