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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Herdbuch; Herdecke; Herder

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Herdbuch - Herder.

im Atrium, an der hintern Seite des Impluviums. Unter der Aufsicht des Thürhüters wurde auf diesem H. ein brennendes Feuer erhalten, und um ihn herum standen die Bilder der Laren und der Penaten. Bei Familientrauer wurde kein Feuer aus dem H. unterhalten. - In der Rechtssprache bedeutet H., namentlich in Ostfriesland, s. v. w. Anwesen. Es werden dort nach der Größe der Gehöfte (Hofraiten) ganze und halbe Herde unterschieden. - In der Technik versteht man bei der mechanischen Aufbereitung der Erze unter H. eine mehr oder weniger geneigte Fläche, über welche das zerkleinerte Erz unter Zuführung von Wasser fließt (Kehrherd, Rotierherd, Stoßherd); im Hüttenwesen den Raum, in welchem eine Feuerarbeit vor sich geht, dann den Schmelzraum der Schachtöfen zur Gewinnung von Blei, Kupfer etc., endlich die von Bleioxyd durchdrungene Mergelmasse, welche zum Überkleiden der Sohle der Treiböfen gedient hat. Herdguß heißt das Eingießen des flüssigen Roheisens in Formen, welche vor dem Schmelzapparat in einem Sandbett hervorgebracht sind.

Herdbuch (Zuchtstammbuch), geordnete Zusammenstellung beglaubigter Abstammungsnachweise von Zuchttieren, Tierfamilien oder Stämmen. Die Viehzucht hat ein großes Interesse, die Abstammung der Zuchttiere zu kennen, weil deren Nachkommenschaft die verlangten Eigenschaften um so sicherer besitzen wird, je reiner Eltern und Voreltern des betreffenden Tiers in der bestimmten Rasse fortgezüchtet sind, und je ausgeprägter diese die schätzbaren Rasseeigentümlichkeiten besaßen. In England legte man schon 1808 ein General stud book an, welches bis zur Gegenwart fortgeführt worden ist und die Abstammungsnachweise der englischen Vollblutpferde enthält. 1822 wurde das Shorthorn-Herdbook begründet, und auch in andern Staaten ist man dem englischen Vorgehen gefolgt. Bei Vollblutpferden wird in Deutschland die Abstammung im Gestütbuch nachgewiesen, welches vielfach unter der Kontrolle der Staatsbehörden steht. 1865 begründete Settegast ein "Deutsches H." (bis 1875: 4 Bde.; fortgesetzt von der Deutschen Viehzucht- und H.-Gesellschaft, Bd. 5, 1882), welches indes von den deutschen Züchtern noch nicht so allgemein benutzt wird, wie es im Interesse der guten Sache wünschenswert erscheint. Vgl. außerdem "Stammzuchtbuch deutscher Zuchtherden" (hrsg. von Janke, Bresl. 1864); Martiny, Die Zuchtstammbücher aller Länder (Brem. 1883); Martiny u. Biernatzki, Die Zuchtbuchführung für Rindvieh an einem Beispiel aus der Praxis erläutert (das. 1883).

Herdecke, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Arnsberg, Kreis Hagen, 104 m ü. M., an der hier schiffbaren Ruhr und den Linien Hagen-Witten, H.-Dahlhausen und Schwelm-Dortmund der Preußischen Staatsbahn, hat eine alte evangelische und eine kath. Kirche, große Sandsteinbrüche, Fabriken für Tuch, Tabak, Leder, Papier und Eisenwaren, Färberei, Bierbrauerei und (1885) 4124 meist evang. Einwohner. Über der Stadt liegt der Kaisberg mit einem Turm zur Erinnerung an den Freiherrn vom Stein; entfernter die Trümmer der Hohensyburg; der neue Aussichtsturm daselbst wurde dem Oberpräsidenten v. Vincke zu Ehren errichtet. Unterhalb H. liegt der Sonnenstein, ein 200 m hohes Plateau, auf welchem alljährlich im Juni der Rheinisch-Westfälische Turngauverband das bekannte Sonnensteinfest feiert. H. gegenüber liegt die Gemeinde Vorhalle mit Eisen- und Messingwarenfabrik.

Herder, 1) Johann Gottfried von, einer der hervorragendsten und einflußreichsten Schriftsteller und Denker Deutschlands, dem klassischen Viergestirn von Weimar von jeher hinzugezählt, aber erst in den letzten Jahrzehnten in seiner ganzen Bedeutung wieder gewürdigt, ward 25. Aug. 1744 zu Mohrungen in Ostpreußen als Sohn des Kantors, Glöckners und Schullehrers Gottfried H. und dessen zweiter Ehefrau, Anna Elisabeth Pelz, geboren. Die Verhältnisse seiner Eltern waren bescheiden und beschränkt, nicht aber so dürftig, daß sie auf eine bessere Erziehung ihrer Kinder und namentlich des Knaben, dessen Begabung früh zu Tage trat, durchaus hätten verzichten müssen. H. besuchte die Stadtschule unter Rektor Grim, erwarb in ihr gute Kenntnisse und wurde zum Studium der Theologie bestimmt. Erst die unerfreuliche Thatsache, daß eine Thränenfistel am rechten Auge sein sonst wohlgebildetes Gesicht entstellte, der Druck und die Not, welche mit dem Siebenjährigen Krieg über die Bewohner von Ostpreußen hereinbrach, vor allem aber die unfreundliche und willkürliche Einmischung des seit 1760 an der Mohrunger Stadtkirche amtierenden Diakonus S. F. Trescho, der Herders Eltern zu bestimmen suchte, den Knaben ein Handwerk lernen zu lassen, kreuzten die künftigen Lebenspläne. Trescho nahm den Knaben um seiner Brauchbarkeit willen als Famulus in sein Haus, und des Patrons litterarische Thätigkeit wie seine Bibliothek weihten denselben in mancherlei Wissen und mancherlei Mysterien der Litteratur ein. Im ganzen war es eine Lage, welche dem jungen H. unauslöschlich trübe und bittere Erinnerungen hinterließ, und aus der er zuletzt nur durch das Eingreifen eines russischen Regimentschirurgen erlöst wurde, der sich erbot, ihn zur Erlernung der Chirurgie nach Königsberg und später nach Petersburg mitzunehmen. H. langte im Hochsommer 1762 in der ostpreußischen Hauptstadt an, und da er alsbald erkannte, daß er für den von seinem Beschützer in Aussicht gestellten Beruf gänzlich ungeeignet sei, ließ er sich 10. Aug. als Studiosus der Theologie immatrikulieren. An dem Buchhändler Kanter, dem er sich schon von Mohrungen aus durch Zusendung des "Gesanges an Cyrus" empfohlen hatte, gewann er einen hilfreichen Gönner und durch seine Anstellung als Lehrer an der Elementarschule des Collegium Fridericianum ward er der drückendsten Not rasch überhoben und überließ sich rückhaltlos seinem Bildungsdrang. Bedeutenden Einfluß auf die geistige Entwickelung des Jünglings übte von den Universitätslehrern nur Kant, außerhalb der Universitätskreise aber der "Magus aus Norden", der originelle J. G. Hamann. Unter den Einwirkungen seiner mannigfaltigen und ausgebreiteten Lektüre wirkte keine tiefer, sein ganzes Wesen bestimmender als die der Schriften J. J. Rousseaus. Herders erste litterarische Versuche waren Gedichte und Rezensionen für Kanters "Königsbergische Zeitung"; daneben regten sich mannigfache litterarische Pläne. Im Herbst 1764 ward H. als Kollaborator an die Domschule nach Riga berufen, später auch als Pfarradjunkt an den Jesus- und Gertraudenkirchen angestellt, so daß er in der alten Hauptstadt Livlands, die sich damals noch fast republikanischer Selbständigkeit erfreute, einen ausgebreiteten und nicht unwichtigen Wirkungskreis fand. Die Kreise des städtischen Patriziats Erschlossen sich dem jungen vielversprechenden Mann, der sich in ihnen mancher Anregung und eines bis dahin ungekannten Lebensgenusses erfreute. Unter so günstigen Umständen eröffnete H. mit den "Fragmenten über die neuere deutsche Litteratur" (Riga 1766-67), dem Schriftchen "Über Thomas Abbts Schriften. Der Torso von einem Denkmal,