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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Interessen; Interessenharmonie; Interessenpolitik; Interessenvertretung

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Interessen - Interessenpolitik und Interessenvertretung.

ches Klagerecht zustehen, wenn mir mein Freund für jeden Tag, an welchem er den Spaziergang unterläßt, die Zahlung von 10 Mk. Konventionalstrafe versprochen hat. Vgl. außer den Lehrbüchern des Privatrechts und des Handelsrechts: Fr. Mommsen, Zur Lehre vom I. (2. Abt. der "Beiträge zum Obligationenrecht", Braunschw. 1853 ff.). - Über I. in der Politik s. Interessenpolitik etc.

Interessen, im gewöhnlichen Leben Bezeichnung für die Zinsen eines Kapitals; daher Interessenrechnung, s. v. w. Zinsrechnung.

Interessenharmonie, die Übereinstimmung zwischen dem Wohlergehen der Einzelnen und demjenigen der Gesamtheit. Während Vertreter der englischen Schule der Nationalökonomie, namentlich Ricardo und Malthus, die wirtschaftlichen Zustände pessimistisch auffaßten und von Gesetzen sprachen, nach denen das Elend der Welt ein unausrottbares sein soll, haben, nachdem schon früher der Physiokrat Gournay u. a. die Ansicht ausgesprochen hatten, das vernünftige Interesse des Einzelnen sei immer mit dem allgemeinen verbündet, in der neuern Zeit besonders Carey und Bastiat die I. zum Kernpunkt ihrer Lehren gemacht. Nach Bastiat besteht eine I. zwischen Moral und Volkswirtschaft; der Einzelne fördert durch sein tugendhaftes Verhalten zugleich sein wirtschaftliches Interesse und das der Gesamtheit. Zwischen den richtig verstandenen Gesetzen der Moral und der Wirtschaftslehre findet ein Widerspruch nicht statt. Es besteht aber auch ferner I. zwischen den einzelnen wirtschaftlichen Klassen, zwischen Grundbesitz, Handel und Industrie, zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Zins und Unternehmergewinn wachsen nicht auf Kosten des Arbeitslohns, sondern zugleich mit dem letztern. Als Bedingung einer vollständigen I. wird Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs genannt, während dieselbe nach Carey nicht ohne Pflege und Schutz durch den Staat zu verwirklichen ist. In Wirklichkeit kann die I. nur als ein Ideal betrachtet werden, welches bei keiner gesellschaftlichen Verfassungsform, von der sozialistischen bis zur extrem freihändlerischen, vollständig zu erreichen ist.

Interessenpolitik und Interessenvertretung. In der Politik ist das Interesse (s. d.) das bewegende Element, und insofern es sich bei der politischen Thätigkeit um die Vertretung der Interessen des Staats, der Dynastie, der Regierung, der Gemeinden oder um die Interessen des Nationalwohlstands, des Handels und Verkehrs, der Machtstellung und der Ehre der Nation u. dgl. handelt, ist alle Politik eine Interessenpolitik. Man pflegt jedoch diesen Ausdruck regelmäßig anzuwenden, um eine einseitige Interessenpolitik, d. h. ein einseitiges Verfolgen spezieller Interessen ohne Rücksicht, ja vielleicht sogar im Widerspruch mit den Interessen der Gesamtheit, zu bezeichnen. Daß jemand für ein rechtlich erlaubtes und zulässiges Interesse eintritt und dasselbe zu fördern sucht, ist gewiß nichts Unrechtes; es ist unter Umständen sogar mehr oder weniger verdienstlich. Darum ist es auch durchaus nicht tadelnswert, wenn zur Erreichung solcher Zwecke die einzelnen Interessentengruppen sich fester zusammenschließen, wenn sie eine planmäßige Interessenvertretung organisieren, und wenn sie für ihre Interessen eine Agitation unterhalten. Tadelnswert kann eine solche Interessenvertretung aber dann sein, wenn sie einseitig da vorherrscht, wo das allgemeine Interesse entscheiden sollte. Das moderne Staatsleben stellt das letztere in den Vordergrund.

Die Wahl der Volksvertreter in Staat, Provinz, Kreis und Gemeinde kann nämlich entweder so geordnet sein, daß die verschiedenen Arten des Besitzes, die man als verschiedene Interessenklassen bezeichnet, abgesondert ihre Vertreter wählen, oder so, daß die Eigenschaft als Staatsbürger alle übrigen Qualitäten des Wählenden überragt und ein gleiches oder höchstens durch Vermögenszensus abgestuftes Wahlrecht gewährt wird. Im großen und ganzen war jenes das alte ständische, dieses ist das moderne Prinzip. Als Stände im alten Sinn finden wir regelmäßig Adel und Bürgerstand, häufig daneben Kirche und Bauernstand. In modernen Verfassungen unterscheidet man nicht selten den geistigen und den materiellen Besitz, bei letzterm wiederum den ländlichen und städtischen, den größern und den kleinern. So hat z. B. die österreichische Verfassung das Wahlrecht den Verbänden des großen und des kleinen Grundbesitzes und den Handelskammern übertragen. Im Deutschen Reich finden sich die verschiedensten Vertretungsarten: Mecklenburg hat seine alten Stände, Ritterschaft und Landschaft; Bremen hat eine Organisation der Interessen, indem die Gelehrten, Kaufleute, Handwerker, Landwirte und die zu keiner dieser Klassen Gehörenden für sich abgesondert wählen; der preußische Staat hat ein nach dem Zensus abgestuftes, das Deutsche Reich aber allgemeines und gleiches Wahlrecht. Unter dem Streben nach Interessenvertretung versteht man nun heutzutage nicht selten die Reaktion gegen jenen modernen Zug des Staatslebens, welcher die Berücksichtigung des Standes und seiner Sonderinteressen bei politischen Wahlen ausschließt. Diese Reaktion vollzieht sich in doppelter Form. Die Wähler beschließen, nur einen Angehörigen ihres Berufs zu wählen. Landwirte, Fabrikarbeiter, kleine Gewerbtreibende thun sich zusammen, erklären mit mehr oder weniger Grund, die Interessen ihres Standes seien bisher vernachlässigt worden, und es sei daher notwendig, einen Mann zu wählen, der diese Interessen zur Geltung zu bringen vermöge. Die andre Form der Interessenvertretung ist die, daß die durch ein gewisses Interesse Verbundenen sich associieren und sich bestreben, ihren Associationen und der Thätigkeit derselben nicht allein Einfluß, sondern auch eine gewisse äußere Autorität zu verschaffen. Teilweise ist der Staat diesen Wünschen entgegengekommen. Er hat den Handelskammern und gewissen kaufmännischen Korporationen (Börsen, Ältestenkollegien, Syndikaten), auch den Innungen, den landwirtschaftlichen Vereinen Attribute der obrigkeitlichen Autorität gegeben, das Recht zur Führung eines öffentlichen Siegels, das Recht, den Berufsgenossen Steuern aufzuerlegen, Korporationsrechte etc.

Die Frage, wie weit eine Interessenvertretung politisch und moralisch zulässig sei, wird vielfach erörtert. Vorab muß gefordert werden, daß die zur Wahrnehmung von Berufsinteressen geltend gemachten Bestrebungen sich innerhalb der Grenzen der strengsten Legalität halten. Die Bildung von Vereinen zur Wahrung gemeinsamer Berufsinteressen ist an sich durchaus zulässig; allein die Übertragung irgend eines obrigkeitlichen Attributs an sie ist nicht selten nachteilig, vielmehr sollten diese Vereine ihren Einfluß lediglich dem Gewicht der von ihnen beigebrachten Gründe verdanken. In Deutschland ist die Landwirtschaft durch ein ganzes Netz von landwirtschaftlichen Vereinen vertreten, die zum Teil staatlich subventioniert werden. Wo, wie in Preußen das Landesökonomiekollegium, ein oberster landwirtschaftlicher Beirat der Staatsbehörde besteht, pflegt der Einfluß desselben auf Fragen von technischem und wissenschaftlichem