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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ketzermütze; Ketzertaufe; Ketzin; Keuchhusten

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Ketzermütze - Keuchhusten.

schreibende Epiphanius zählt ihrer 80 auf. Bald erschienen Gesetze wider die K. Sie wurden von seiten der Bischöfe durch Ausschließung aus der Kirche (Exkommunikation) bestraft, und erst nach vielfachen Bußübungen wurden die Reuigen wieder aufgenommen. Vollends seit Konstantin d. Gr. standen auf das Verbrechen der Ketzerei Güterkonfiskation und Landesverweisung (Exil), Verbrennung ketzerischer Bücher und Verlust der bürgerlichen Rechte, bald sogar die Todesstrafe. Das erste Beispiel der letztern gaben 385 die spanischen Bischöfe, auf deren Betreiben Priscillianus (s. d.) enthauptet wurde. Noch schlimmer erging es den Ketzern, namentlich den Anführern derselben, als im 13. Jahrh. durch Gregor IX. auf der Kirchenversammlung zu Toulouse (1229) die Ketzergerichte (s. Inquisition) angeordnet und fast in allen Ländern der Christenheit eigne Ketzermeister mit unumschränkter Vollmacht über Freiheit, Güter und Leben von solchen, die wirklich oder angeblich vom Kirchenglauben abwichen, bestellt wurden. Zugleich fanden förmliche Kreuzzüge gegen die K. statt; ihnen erlagen im 13. Jahrh. die Albigenser und die Stedinger. Seit der Reformation werden von der römisch-katholischen Kirche vornehmlich die Protestanten und in letzter Zeit auch die Altkatholiken (s. d.) als K. bezeichnet, wiewohl nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens im Deutschen Reich die Angehörigen beider Konfessionen sich gegenseitig jenen Namen nicht beilegen sollten. Auch in der protestantischen Kirche fing man bald an, Rechtgläubige ("Orthodoxe") und Häretiker ("Heterodoxe") zu unterscheiden. Religiöse Unduldsamkeit ist noch heute der Charakterzug der herrschenden Theologie, wenngleich ihr der Staat nicht mehr den Gefallen thut, die K. von bürgerlichen Ehren, Ämtern und Würden oder gar vom Rechte der Existenz auszuschließen. Vgl. Hilgenfeld, Die Ketzergeschichte des Urchristentums (Leipz. 1883).

Ketzermütze, s. Carocha.

Ketzertaufe, s. Taufe.

Ketzin, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, Kreis Osthavelland, an der Havel, hat bedeutende Thongruben und Ziegelbrennerei und (1885) 3033 meist evang. Einwohner.

Keuchhusten (blauer Schafs-, Stick-, Krampfhusten, Tussis convulsiva, Pertussis, franz. Coqueluche), eine epidemische Kinderkrankheit, welche aus periodisch wiederkehrenden krampfhaften Hustenanfällen besteht. Als Vorstadium der Erkrankung zeigen die meisten Kinder die Symptome eines Schnupfens, zu welchem sich bald Kehlkopf-, Luftröhren- und Bronchialkatarrh gesellen. Sie haben dabei leichtes Fieber, thränende Augen, eine etwas heisere Stimme, leichten, trocknen Husten, der besonders des Nachts sich einstellt, unruhigen Schlaf und leiden an gestörter Verdauung, daher die Zunge belegt, der Stuhl erschwert oder durchfällig ist. Dieser Zustand kann schon nach 6-8 Tagen in den eigentlichen Krampfhusten übergehen, aber auch mehrere Wochen anhalten. Der eigentliche Krampfhusten ist charakterisiert durch Hustenanfälle von eigentümlicher Art, die sich anfangs nur dadurch bemerklich machen, daß der Husten einen gewissen scharfen, trocknen Ton annimmt, in gehäuftern Stößen erfolgt und den Kranken mehr erschüttert als der gewöhnliche Husten etwa beim Katarrh, bald aber ihre charakteristische Form annehmen. Die erste Inspiration geht gewöhnlich noch mit Leichtigkeit in die Hustenstöße über; aber schon nach der zweiten Inspiration tritt oft ein heftiger Krampf der Stimmritze ein, der unter unsäglicher Angst und bei sichtlicher Erstickungsnot nur mühsam durch Anstrengung aller Brustmuskeln überwunden wird. Es erfolgen zahlreiche Hustenstöße, oft wird gleichzeitig der Inhalt des Magens erbrochen, zuweilen werden auch Urin und Stuhl entleert. So folgen sich Hustenstöße und gewaltsame Atemzüge noch einigemal, bis endlich die Gewalt nachläßt, die Inspirationen ruhiger geschehen und mit dem Husten eine meist nicht beträchtliche Menge zähen Schleims entleert wird. Das Kind ist im höchsten Grad erschöpft und erholt sich erst nach einigen Minuten allmählich wieder. Zuweilen treten in einem heftigen Anfall auch Blutungen aus Mund, Nase und Lungen ein. Die Dauer eines solchen Anfalls ist ½-2 Minuten, selten länger. Die Zahl der Anfälle innerhalb eines Tags ist gleichfalls sehr verschieden; auf der Höhe der Krankheit kommen gewöhnlich 20-40 Paroxysmen auf 24 Stunden. Die Anfälle sind nicht an eine bestimmte Zeit gebunden, doch abends und nachts häufiger, besonders auf der Höhe der Krankheit. Die Dauer der heftigen Anfälle und des Höhestadiums der Krankheit währt von 14 Tagen bis zu 2 Monaten und noch länger. Meist werden 10-14 Tage lang die Anfälle immer heftiger und häufiger, dann aber erhält sich die Heftigkeit derselben eine Zeitlang auf der gleichen Höhe. Schon nach den ersten Wochen sind die katarrhalischen Erscheinungen gewöhnlich vollständig zurückgetreten; das Kind fiebert nicht mehr, befindet sich, solange es keinen Anfall hat, vollständig wohl oder ist nur müde und angegriffen. Die Anfälle treten meist ohne alle Veranlassung ein; doch kann jede kleine Veranlassung, namentlich aber Weinen und Ärger, sie hervorrufen. Zu schnelles Schlingen, kalte Luft, Rauch und ein Hustenanfall bei einem andern Kind bringt sie gleichfalls leicht hervor. Nachdem die Anfälle längere oder kürzere Zeit sich auf der Höhe erhalten haben, fangen sie unmerklich an, sowohl seltener zu werden, als von ihrer krampfhaften Art und Heftigkeit zu verlieren. So löst sich die Krankheit allmählich und geht nach ca. 8-12 Wochen unter immer leichter vor sich gehendem Auswurf in den Normalzustand über. Am häufigsten wird der K. vom zweiten bis fünften, seltener im ersten Lebensjahr sowie vom fünften bis siebenten beobachtet. Erwachsene befällt er nur ausnahmsweise. Mädchen oder krankhaft reizbare, zarte Kinder sind demselben mehr unterworfen als Knaben und kräftige Kinder. Höchst selten befällt der K. zum zweitenmal dasselbe Individuum. Meist herrscht der K. in wahren Epidemien; auch wo er sporadisch vorkommt, sind immer mehrere Kinder zu gleicher Zeit befallen. Die Epidemien treten am häufigsten am Ende des Winters und im ersten Frühjahr, etwas seltener im Herbst und Winter, am seltensten im Sommer auf. Viele unleugbare Thatsachen machen eine kontagiöse Verbreitung in hohem Grad wahrscheinlich, wenn nicht gewiß; doch scheint die Ansteckung meist nur in der Nähe stattzufinden. Die höchste Intensität der Ansteckungsfähigkeit fällt mit der Höhe der Krankheit zusammen. Obwohl der K. an sich meist wenig gefährlich ist, wird er es in hohem Grade durch gewisse Komplikationen und Nachkrankheiten. Die häufigsten Komplikationen sind entzündliche Affektionen der feinern Bronchien und des Lungengewebes (katarrhalische Lungenentzündung), welche häufig zur Lungenschwindsucht führen. Bei sehr langer Dauer des Keuchhustens verfallen schwächliche Kinder zuletzt nicht selten in einen Zustand von Abzehrung und Marasmus, aus dem sie sich schwer oder gar nicht wieder erholen. Oft wird