Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

770

Kirchenreformation - Kirchenstaat.

heute beanspruchten Weise als dem Staat koordinierte und auch ihrerseits staatsartige Macht betrachtet wird, mehr völkerrechtlicher, soweit sie nach heutigen staatsrechtlichen Gesichtspunkten als innerhalb des Staats stehende Korporation behandelt wird, mehr staatsrechtlicher Natur sind. - Den Unterschied zwischen gemeinem und partikularem K. (jus ecclesiasticum commune und particulare) machen die vorreformatorische, die heutige katholische und die lutherische Kirche wesentlich so, wie er im bürgerlichen Recht gemacht wird, nur daß erstere beide Kirchen dem gemeinen Rechte den Vorrang vor dem partikularen einräumen wollen. Die lutherische Kirche hingegen, welche das gemeine protestantische K. teils aus ihrem Dogma und dessen Konsequenzen, teils aus dem kanonischen Recht, soweit sie dasselbe nicht verworfen hat, schöpft, betrachtet es nach bürgerlich-rechtlicher Art als bloße Ergänzung des partikularen. Die reformierte Kirche erkennt im allgemeinen kein Fortgelten des vorreformatorischen Rechts an. - Vom kanonischen Recht (s. oben) unterscheidet sich das K., indem es einerseits weniger, anderseits mehr umfaßt als jenes. Denn vieles im kanonischen Recht Enthaltene ist heutzutage nicht mehr K., weil es Gegenstände betrifft, die zwar in vorreformatorischer Zeit zur Kompetenz der Kirche gehörten, heute jedoch nicht mehr zu derselben gehörig sind. Mehr aber als das kanonische umfaßt das K., weil vieles, was gegenwärtig kirchenrechtliche Norm ist, aus andern als kanonischen Quellen fließt (s. Kirchengesetze). Vgl. Maaßen, Geschichte der Quellen und der Litteratur des kanonischen Rechts (Graz 1870, Bd. 1); v. Schulte, Die Geschichte der Quellen der Litteratur des kanonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart (Stuttg. 1875-80, 3 Bde.); Richter, Lehrbuch des Kirchenrechts (8. Aufl., Leipz. 1886); Mejer, Lehrbuch des Kirchenrechts (3. Aufl., Götting. 1869); Hinschius, K. der Katholiken und Protestanten in Deutschland (Berl. 1869-86, Bd. 1-4); Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts (2. Aufl., Leipz. 1884); v. Schulte, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts (3. Aufl., Gieß. 1873); Löning, Geschichte des deutschen Kirchenrechts (Straßb. 1878, 2 Bde.); Trusen, Das preußische K. (Berl. 1883); Frantz, Lehrbuch des Kirchenrechts (Götting. 1887).

Kirchenreformation, s. Reformation.

Kirchenregiment, s. v. w. Kirchengewalt.

Kirchensachen (Res ecclesiasticae) heißen zunächst die Gegenstände, welche zum Kirchenvermögen (s. d.) gehören. Ist die kirchliche Stiftung, deren Eigentum sie sind, ein Kloster, so heißen sie spezieller Res religiosae. Die zum gottesdienstlichen Gebrauch geweihten K.: Kirche, Altar, Kelch, Patene (die der Bischof konsekriert), sonstiges Altargerät, geweihtes Öl, Weihwasser, Amtskleidung etc. (welche benediziert werden), nennt man Res sacrae. Auf protestantischer Seite werden Kirchengebäude, Kirchhöfe und Kirchengeräte dem gottesdienstlichen Gebrauch feierlich gewidmet. Alle Res sacrae sollen vom Lärm des Geschäfts und des Vergnügens möglichst unberührt bleiben; ein an ihnen begangenes Delikt gilt für qualifiziert (s. Kirchenraub). - Der ältere Sprachgebrauch bezeichnete als Res ecclesiasticae auch die kirchlichen Kompetenzgegenstände, z. B. Ehe, Taufe, Beichte etc. Sie wurden zum Unterschied von den Vermögensgegenständen Res spirituales genannt.

Kirchensatzungen (Canones), Anordnungen, Gebräuche und Gesetze der Kirche, namentlich im Gegensatz zu den göttlichen Geboten diejenigen Normen der katholischen Kirche, welche nicht auf klaren Aussprüchen der Heiligen Schrift beruhen.

Kirchenschändung, Entweihung der Kirchengebäude, deren die katholische Kirche zwei Arten unterscheidet. Exsecratio, Entweihung der Kirche, findet statt, wenn sie ganz oder in ihren Hauptteilen zerstört ist; sie verliert ihren heiligen Charakter und kann denselben nur durch erneute Konsekration (s. d.) wieder empfangen. Pollutio, eigentliche Schändung der Kirche, ist vorhanden, wenn in ihr ein Mord, oder sonst eine blutige That, oder Unzucht begangen worden ist. Hier bedarf es nicht einer erneuten Konsekration, sondern nur einer Rekonziliation (Aussöhnung) durch den Bischof.

Kirchenschriftsteller, s. Kirchenväter.

Kirchenslawisch (Altslawisch, Altbulgarisch), die hauptsächlich im Gottesdienst gebrauchte altertümlichste und älteste der slawischen Sprachen (s. d.).

Kirchenspaltung, s. Schisma.

Kirchensprache, eine fremde, nur beim Gottesdienst in einem Land angewendete Sprache, z. B. die lateinische in der römisch-katholischen Kirche, oder ein besonderer alter Dialekt derselben Sprache, in dem die liturgischen und heiligen Bücher abgefaßt sind, z. B. das Altslawische in der griechisch-katholischen Kirche; auch die besondere religiöse Ausdrucksweise, der kirchlich-religiöse Stil der einzelnen Kirchengemeinschaften in Bezug auf Liturgie, Predigt, Unterricht, geselligen Verkehr und kirchliche Politik.

Kirchensprengel, s. Kirchspiel.

Kirchenstaat (Stato della Chiesa, Stato Pontifico, Patrimonium Sancti Petri), der ehemalige geistliche Staat in Mittelitalien (s. die Geschichtskarten bei "Italien"), über welchen dem Papst als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche die Souveränität zustand, erstreckte sich zur Zeit seines vollen Bestandes (vor 1859) von 41° 10'-44° 50' nördl. Br. und von 11° 25'-13° 50' östl. L. v. Gr., östlich vom Adriatischen, südwestlich vom Tyrrhenischen Meer bespült, im übrigen von Neapel, dem Lombardisch-Venezianischen Königreich, Toscana und Modena begrenzt, und war seit 1830 eingeteilt in die Comarca Rom, in sechs von Kardinälen regierte Legationen (Bologna, Ferrara, Forli, Ravenna, Urbino-Pesaro, Velletri) und 13 von Prälaten regierte Delegationen (Ancona, Macerata, Camerino, Fermo, Ascoli, Perugia, Spoleto, Rieti, Viterbo, Orvieto, Frosinone, Civitavecchia, Benevent) mit einem Gesamtareal von 41,187 qkm (748 QM.) und einer Bevölkerung von 3,125,000 Seelen. Vor der französischen Revolution gehörten auch die Grafschaften Avignon und Venaissin in Südfrankreich mit 2200 qkm (40 QM.) und 55,000 Einw. zum K. Infolge der Ereignisse von 1859 und der Konstituierung des Königreichs Italien 1860 schrumpfte das päpstliche Gebiet auf die Comarca Rom, die Legation Velletri und die drei Delegationen Viterbo, Civita vecchia und Frosinone mit 12,803 qkm (214,4 QM.) und 692,100 Einw., das sogen. Patrimonium Petri, zusammen, und im September 1870 wurde auch dieser Rest des ehemaligen Kirchenstaats dem Königreich Italien einverleibt (s. unten, Geschichte). Seit der Begründung der weltlichen Herrschaft des Papstes ist der K. eine Wahlmonarchie gewesen. Die Verfassung, nach welcher er während der letzten 21 Jahre seines Bestehens regiert worden ist, wurde von Pius IX. 12. Sept. 1849 gegeben. Der Papst, der von dem Kollegium der Kardinäle (sacro collegio) gewählt wurde, war als Landesfürst unumschränkter Monarch, mußte aber nach seiner Ernennung die Kapitulation beschwören, deren