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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Parricidium; Verwandlungen; Verwandtenmord; Verwandtschaft

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Verwandlungen - Verwandtschaft

locierten Truppenteile des Reichsheers überlassen. Die Requisition erfolgt nur durch die Civilbehörde; der Vollzug aber liegt ausschließlich in den Händen der Militärorgane; selbständiges militär. Einschreiten ist nur dann zulässig, wenn der Kriegszustand verkündigt oder (in Preußen) Art. 36 der Verfassungsurkunde durch Erlaß des Staatsministeriums suspendiert ist (Gesetz vom 4. Juni 1851, §. 5), sonst absolut unzulässig.

Hinsichtlich des V. im engsten Sinne des Wortes (erste positiv gesetzliche Ordnung des bis dahin ungeschriebenen «Gemeinen Rechts» in der preuß. Verordnung vom 26. Dez. 1808 [Bezirksregierungen]) ist zu unterscheiden zwischen der Zwangsvollstreckung in Geldforderungen administrativer Art und derjenigen zum Zweck persönlicher Leistungen oder Unterlassungen. Erstere erfolgt nach Analogie der Eintreibung von Geldforderungen im civilprozessualischen Wege und ist nach Erlaß der Reichscivilprozeßordnung und im Anschluß an diese fast in allen Einzelstaaten neu geordnet worden (Preußen: Verordnung vom 7. Sept. 1879; Bayern: Ausführungsgesetz zur Civilprozeßordnung vom 23. Febr. 1879, Art. 4‒9; Sachsen: Gesetz vom 8. März 1879; Württemberg: Gesetz vom 18. Aug. 1879; Baden: Gesetz vom 20. Febr. 1879; Hessen: Gesetz vom 2. Febr. 1881). Die Form ist die nämliche für rückständige Steuerforderungen wie für polizeilich verhängte Geldbußen; nur in Elsaß-Lothringen giebt es besondere Steuerexekutoren. Der V. in Bezug auf persönliche Leistungen oder Unterlassungen kann in folgenden Formen vorkommen: 1) die Behörde kann die Handlung auf Kosten des Verpflichteten von einem Dritten vornehmen lassen; 2) es kann physischer Zwang gegen den Verpflichteten geübt werden (Verhaftung, Vorführung, Wegnahme von Sachen, Schließung einer Anlage u. dgl.); 3) die Behörde kann mit Straf- event. Haftandrohung die Handlung oder Unterlassung befehlen (in Preußen Geldstrafen bis 5 M. ländliche Gemeinde- und Gutsvorsteher, bis 60 M. Amtsvorsteher und städtische Polizeivorstände, bis 150 M. Landräte, Polizei- und Gemeindevorstände in Stadtkreisen, bis 300 M. Regierungspräsident); analoge Vorschriften gelten in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, während das in Elsaß-Lothringen geltende franz. Recht diese Zwangsbefugnis der Verwaltung nicht kennt. Die durch Reichsgesetze der Verwaltung der indirekten Steuern eingeräumte Befugnis der Kontrolle vermittelst Strafandrohungen bis zu 500 M. gilt im ganzen Reichsgebiete. Rechtsmittel gegen derartige Anordnungen des V. können gegeben sein in der Form der Verwaltungsbeschwerde an die vorgesetzte Instanz oder im Wege der Klage beim Verwaltungsgericht; jede andere Klage ist ausgeschlossen; die Rechtsmittel können sich richten gegen die Exekutionsmaßregel selbst oder gegen die derselben zu Grunde liegende materielle Verwaltungsvorschrift. In Preußen ist der verwaltungsgerichtliche Weg nur eröffnet gegen letztere und gegen Androhung einer Strafe, nicht aber gegen die Exekution selbst, welche nur mit Beschwerde im Instanzenzug angegriffen werden darf.

Litteratur. Die Artikel Verwaltungszwangsverfahren, Waffengebrauch, Zwangsgewalt in Stengels «Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts»; Gneist, Artikel Verwaltungsexekution in Holtzendorffs «Rechtslexikon»; L. von Stein, Verwaltungslehre, Bd. 1 u. 4 (Stuttg. 1867 u. 1869); von Sarwey, Öffentliches Recht und Verwaltungsrechtspflege (Tüb. 1880); Anschütz im «Verwaltungsarchiv», Bd. 1 (Berl. 1893); O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Tl. 1 (Lpz. 1895), und die Hand- und Lehrbücher des Verwaltungsrechts.

Verwandlungen, s. Metamorphose.

Verwandtenmord, s. Parricidium.

Verwandtschaft, das Verhältnis, in welchem Personen dadurch zu einander stehen, daß die eine von der andern abstammt, oder daß sie gemeinschaftliche Stammeltern haben. Die V. hat eheliche Abstammung zur Grundlage, aber die Blutsgemeinschaft mit der Mutter oder deren Verwandten ist bei dem unehelichen Kinde die gleiche wie bei dem ehelichen Kinde. Den Gegensatz zur V. (natürliche V., Blutsverwandtschaft, Konsanguinität) bildet die Schwägerschaft (s. d.).

Es wird von V. in der geraden Linie, d. h. zwischen Eltern und Vorfahren einerseits und Abkömmlingen andererseits, und von V. in aufsteigender oder absteigender Linie je nach dem Ausgangspunkte, sowie von V. in der Seitenlinie (s. Seitenverwandte) gesprochen, ferner von Agnaten (s. d.) und Kognaten (s. d.). Die Nähe der V. wird nach Graden gezählt (s. Computatio). Die V. kann eine mehrfache sein, insbesondere wenn Verwandte sich heiraten (z. B. der Onkel die Nichte heiratet), wenn jemand sich nacheinander mit unter sich Verwandten verheiratet (z. B. der Witwer die Schwester oder Nichte seiner verstorbenen Frau heiratet), wenn unter sich Verwandte sich mit Personen verheiraten, die gleichfalls unter sich verwandt sind (z. B. zwei Brüder heiraten zwei Schwestern).

Auf Grund der Erfahrungen, die man in der Tierzucht durch die sog. Inzucht (s. d.) gemacht hat, ist mit Bestimmtheit die Schädlichkeit der Verwandtenehen für die Nachkommenschaft erwiesen, wenn dieselbe auch von einzelnen Autoren bestritten wird. Die unbestrittenen Folgen der elterlichen Blutsverwandtschaft äußern sich bei den Nachkommen in allerlei körperlichen und geistigen Gebrechen: Kropf, Taubstummheit, Augenkrankheiten, Blindheit, Nervosität, Veitstanz, Disposition zu Krankheiten aller Art, geringere Lebensenergie, Unfruchtbarkeit u. s. w. Weiterhin ist eine Entartung des geistigen Lebens, Kretinismus, Idiotismus, eine entschiedene Folge fortgesetzter Ehen unter Blutsverwandten. Die Schädlichkeitstheorie ist heute von allen Kulturvölkern anerkannt, weshalb bestimmte Gesetzesvorschriften über die Ehen unter Verwandten bestehen. Über die betreffenden Bestimmungen im Deutschen Reiche s. Ehehindernis.

In rechtlicher Beziehung erstrecken sich die Wirkungen der V. auf das ganze Gebiet des Rechts, insbesondere aber auf das Familienrecht und Erbrecht. Die Wirkungen der ehelichen V. treten teilweise nach dem geltenden Rechte ein bei Kindern, welche aus einer in gehöriger Form geschlossenen, aber ungültigen Ehe hervorgehen. (S. Putativehe.) Gegenüber der natürlichen V. spricht man von einer künstlichen V. und versteht darunter dasjenige Verhältnis, welches entsteht infolge von Legitimation (s. d.), oder Annahme (s. d.) an Kindesstatt, aber auch durch Einkindschaft (s. d.). Weiter spricht man von einer Geistlichen Verwandtschaft (s. d.). Auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts hat diese V. keine Wirkungen. – Vgl. Schiller-Tietz, Inzucht und Konsanguinität (Osterwieck 1887);