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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Politiker; Politische Ökonomie; Politischer Vers; Politisches Gleichgewicht

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Politiker - Politisches Gleichgewicht.

trachtet ihn die P. in der flüssigen Bewegung. Diese beschäftigt sich mit dem Leben, jenes mit der Gestalt des Staats; es sucht die Frage zu beantworten, wie der Staat ist, während die P. die Frage zu lösen hat, wie der Staat sein soll. Die rechtliche Untersuchung und Prüfung einer Frage, z. B. der, ob ein Straffall vor das Schwurgericht gehöre oder nicht, beschäftigt sich mit der Rechtmäßigkeit; die rechtspolitische Untersuchung, also z. B. die Prüfung der Frage, ob gewisse Verbrechen vom gesetzgeberischen Standpunkt aus den Schwurgerichten zu überweisen seien oder nicht, hat die Zweckmäßigkeit zu erwägen. Hiernach ist also die P. als Wissenschaft die Lehre vom Staatsleben. Die Anwendung ihrer Grundsätze auf gegebene staatliche Verhältnisse führt zur praktischen P. (Staatspraxis); jene, die theoretische P., ist Staatswissenschaft, diese Staatskunst. Derjenige, welcher sich nach einer von beiden oder nach beiden Richtungen hin mit dem Staatsleben beschäftigt, wird Politiker und, wer sich auf diesem Gebiet, namentlich aber auf dem der praktischen P., zu besonderer Bedeutung emporschwingt, Staatsmann genannt. Dabei stehen aber die theoretische und die praktische P. im innigsten Zusammenhang; denn der theoretische Politiker darf sich ebensowenig über die thatsächlichen Verhältnisse des Lebens der Staaten und der Individuen hinwegsetzen, wie der praktische Politiker der wissenschaftlichen Prinzipien der P. entraten kann. Mit dieser Unterscheidung fällt der Gegensatz zwischen Real- und Idealpolitik nicht zusammen, letzterer tritt vielmehr sowohl in der praktischen als auch in der theoretischen P. hervor. Man bezeichnet nämlich mit Realpolitik diejenige P., welche sich streng an das praktische Bedürfnis hält, und stellt ihr die Idealpolitik gegenüber, die sich lediglich durch die Macht der Idee beherrschen läßt. Beide sind in ihrer Einseitigkeit verwerflich. Denn die Realpolitik wird sich, wenn sie des idealen Zugs völlig entbehrt, in kleinlicher Weise lediglich auf die Förderung materieller Interessen (Interessenpolitik) beschränken, während die Idealpolitik, welche den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verliert (Phantasiepolitik, Gefühlspolitik), unfruchtbar, wenn nicht verderblich sein wird, wie es z. B. stets die Idee eines Weltreichs für den danach Strebenden gewesen ist. Dagegen kann man die P. weiter in innere und äußere P. einteilen. Jene beschäftigt sich mit den Verhältnissen, in welchen der Staat zu seinen eignen Angehörigen steht, während die letztere die Beziehungen des Staats zu andern Staaten und die Stellung desselben im Staatensystem überhaupt behandelt. Den Gegenstand der innern P. bilden hiernach vor allem die Verfassung und die organische Einrichtung des Staatswesens selbst (Verfassungspolitik), dann die Vorbereitung der Gesetze, welche die öffentlichen und privaten Lebensverhältnisse der Staatsangehörigen normieren sollen (Gesetzgebungs-, Rechtspolitik). Aber auch die übrigen Zweige der Staatsverwaltung, namentlich das Finanzwesen (Finanzpolitik, Steuerpolitik) und die staatliche Fürsorge für die Kulturverhältnisse des Volkes (Wirtschaftspolitik, politische Ökonomie, Nationalökonomie, Agrarpolitik, Sozialpolitik, Kirchenpolitik), gehören in den Bereich der innern P. Die äußere P. (P. im engern Sinn, hohe P.) beschäftigt sich dagegen mit den Verhältnissen der Staaten untereinander im Zustand des Friedens sowohl als in dem des Unfriedens, also namentlich mit dem Handelsverkehr (Handels- und Zollpolitik), mit den diplomatischen Beziehungen, mit der Wehrkraft des Volkes und mit dem Heer- und Marinewesen. Die P. als Wissenschaft hat sich aber außerdem mit der Feststellung des Begriffs der P., mit der Einwirkung der äußern Natur auf das politische Leben, insbesondere mit der Größe, Gestaltung und Produktionskraft des Staatsgebiets, der Dichtigkeit der Kultur, dem Reichtum und dem Charakter seiner Bevölkerung, zu beschäftigen, wobei ihr die Statistik als wichtigste Hilfswissenschaft zur Seite steht. Ferner ist der Einfluß der Menschennatur auf die P. und im Zusammenhang damit das Wesen der politischen Parteien zu erörtern, und endlich bildet die Lehre vom Staatszweck überhaupt und von den Mitteln zur Erreichung desselben den Gegenstand der theoretischen P. Was die wissenschaftliche Behandlung der P. anlangt, so sind aus dem Altertum die philosophischen Werke des Aristoteles, namentlich die "P." desselben, von größter Bedeutung, während sich die "P." des Platon zu sehr in idealen Sphären bewegt. Von den Werken römischer Publizisten bieten die Schriften Ciceros und die des Tacitus manches Interessante. Eine neue Entwickelung der theoretischen P. beginnt erst gegen Ende des Mittelalters mit Machiavelli und dem Franzosen Bodin, denen sich der Holländer Hugo Grotius, der Begründer der modernen Völkerrechtstheorie, anschließt. Aus neuerer Zeit heben wir hervor Constant, Cours de politique constitutionnelle (Par. 1817-20, 4 Bde.; hrsg. von Laboulaye, 2. Aufl. 1872, 2 Bde.); Dahlmann, Politik (nur Bd. 1 erschienen, Götting. 1835; 3. Aufl., Berl. 1847); K. F. Zachariä, Vierzig Bücher vom Staat (2. Aufl., Heidelb. 1839-43, 7 Bde.); Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und P., Abteil. 2 (Tübing. 1862-69, 2 Bde.); Waitz, Grundzüge der P. (Kiel 1862); Holtzendorff, Prinzipien der P. (2. Aufl., Berl. 1879); Bluntschli, P. als Wissenschaft (Stuttg. 1876); L. H. Schmidt, Repetitorium der praktischen P. (Leipz. 1881); Parieu, Principes de la science politique (2. Aufl., Par. 1875); Posada, Principios de derecho politico (Madr. 1884).

Politiker (les Politiques), Name einer Mittelpartei, welche sich in Frankreich während der Hugenottenkriege aus den gemäßigten Elementen der Katholiken und Protestanten bildete und gegenüber dem religiösen Fanatismus vor allem die Selbständigkeit und das Wohl Frankreichs erstrebte. Ihr geistiges Haupt war der Kanzler L'Hôpital (s. d.), ihre Führer der Herzog Franz von Alençon, Heinrich von Navarra, die Montmorencys u. a. Ihre Politik siegte nach dem Erlöschen der Valois 1593, als die Mehrheit der Katholiken die Thronkandidatur Philipps von Spanien zurückwies und Heinrich IV. zum Katholizismus übertrat.

Politische Ökonomie, s. v. w. Volkswirtschaftslehre.

Politischer Vers (Stichos politikos), eine Versart der Neugriechen, bestehend aus einem katalektischen iambischen Tetrameter oder aus 15 Silben, in welcher statt der frühern Quantität der Accent als Maß dient, und worin die meisten ältern Dichtungen der Neugriechen abgefaßt sind (nicht von Politik, sondern von polis, "Stadt", d. h. Konstantinopolis, abzuleiten, wo diese Versart zuerst aufkam).

Politisches Gleichgewicht, ein derartiges Machtverhältnis nebeneinander bestehender Staaten, vermöge dessen kein einzelner von ihnen die Selbständigkeit oder die wesentlichen Rechte des andern, ohne wirksamen Widerstand zu finden und mithin Gefahr für sich selbst befürchten zu müssen, auf die Dauer zu beeinträchtigen im stande ist. Der Gedanke eines politischen Gleichgewichts im Gegensatz zu der Idee