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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Progressiv - Pröhle

Progressīv (lat.), fortschreitend, allmählich zunehmend.

Progressīvdrall, ein Drall (s. d.), der beim Beginn der Züge am Geschoßraum sehr klein ist und von hier ab nach und nach größer wird, bis er in der Nähe der Mündung sein Maximum (Enddrall) erreicht. Er ist zweckmäßiger als der gleichbleibende Drall, weil bei ihm das Geschoß allmählich und daher sicherer in Drehung versetzt, auch Rohr und Führungsteile des Geschosses weniger angestrengt werden. Über die Kurve, nach der die Züge beim P. am besten konstruiert werden, ist viel geschrieben worden; es wird der Kreisbogen, die Ellipse, die Parabel (parabolische Züge) und neuerdings die semikubische Parabel angewandt; auch zusammengesetzte Kurven verschiedener Form sind vorgeschlagen; der P. endigt meist mit nicht mehr als 12°, der Anfangsdrall wechselt zwischen 2 und 6°.

Progressive Paralyse der Irren (Dementia paralytica), von den Laien fälschlich auch Gehirnerweichung genannt, eine der häufigsten und wichtigsten Geisteskrankheiten. Trotz der Thatsache, daß bei derselben fast ausnahmslos an der Leiche deutliche Veränderungen des Gehirns und seiner Hüllen gefunden werden, ist man über das eigentliche Wesen des Krankheitsprozesses noch nicht ganz klar. Es stehen sich zwei Hauptansichten gegenüber, nach der einen handelt es sich um eine Entzündung der Rinden- und Marksubstanz der Großhirnhemisphären und ihrer Häute, nach der andern um einen einfachen Schwund der Nervenfasern und Ganglienzellen daselbst. Wahrscheinlich kommt beides in Betracht, bald mehr das eine, bald das andere. Schließlich tritt stets hochgradiger Schwund der Großhirnlappen ein, besonders der vordern Teile (Stirn- und Scheitellappen). Die Symptome der Krankheit sind ungemein zahlreich, besonders auch deshalb, weil sich mit den Leiden des Gehirns auch Rückenmarkserkrankungen (besonders Rückenmarksschwindsucht, Tabes dorsalis) verbinden können. Man unterscheidet die Prodromalerscheinungen und die Erscheinungen der ausgebildeten Krankheit; letztere bestehen teils in geistigen, teils in körperlichen Störungen: in einer fortschreitenden Abnahme der geistigen Kräfte und der Präcision und Energie der Bewegungen. Die Abnahme der geistigen Kräfte betrifft bald mehr das Gedächtnis, bald mehr die Urteilskraft und vollzieht sich oft unter dem gleichzeitigen Auftreten von Reizungserscheinungen des Gehirns (maniakalischer Erregung), meist mit Größenwahn (s. d.); auch in Form schwerer Hypochondrie, Melancholie, Verfolgungswahn u. s. w. kann sich das Gehirnleiden psychisch äußern. Von den Bewegungs- (motorischen) Störungen ist ganz besonders eine Form von Sprachstörung (Silbenstolpern) charakteristisch, die Kranken versprechen und verschreiben sich u. s. w. Von Prodromalerscheinungen sind wichtig Anfälle von Bewußtlosigkeit, vorübergehende Sprachlosigkeit u. s. w. Die Krankheit dauert meist nicht länger als 2‒3 Jahre und endet mit dem Tode; oft zeigen sich trügerische Besserungen bis scheinbar zur Norm von kürzerer oder auch jahrelanger Dauer; nur in ganz vereinzelten Fällen ist bisher dauernde Heilung beobachtet. Die Krankheit befällt ausschließlich Personen im kräftigen Alter (besonders zwischen 30 und 45 Jahren), Männer weit zahlreicher als Frauen. Die großen Städte liefern eine viel größere Zahl von Erkrankungen als die ländlichen Distrikte. Die Ursachen der P. P. sind noch nicht festgestellt. Syphilis spielt als vorbereitende Ursache eine große Rolle; auch Alkoholexcesse haben oft einen Anteil, desgleichen eine unregelmäßige aufregende Thätigkeit mit mangelhaftem Schlaf. Doch werden auch Personen von der P. P. befallen, bei denen sich nichts von alledem nachweisen läßt; hier ist öfters eine gewisse erbliche Anlage vorhanden. Die Behandlung läßt sich auch in den Anfängen nur in einer Irrenanstalt zweckmäßig durchführen und ist, wenn früh begonnen, nicht völlig aussichtslos. Die baldige Verbringung der Kranken in eine Anstalt ist notwendig, wenn dieselben zu unsinnigen Spekulationen, unsittlichen Handlungen u. dgl. neigen und so Vermögen und Ruf aufs Spiel stellen. Ruhige, teilnahmslose Kranke kann man in Privatpflege belassen; für sie genügen geistige und körperliche Ruhe und Sorge für die Hygieine. – Vgl. Mendel, Die P. P. d. I. (Berl. 1880).

Progressīvsteuer, s. Einkommensteuer.

Progressīvsystem, soviel wie Irisches System, s. Gefängniswesen (Bd. 7, S. 647 b).

Progressīvzüge, Züge (s. d.) in Feuerwaffen, die von ihrem Beginn am Geschoßraum bis zur Mündung an Tiefe allmählich abnehmen. Es wurde seiner Zeit das Gleiche damit beabsichtigt, was später durch die Keilzüge erreicht wurde.

Progymnasium, eigentlich Vorschule eines Gymnasiums, so in Sachsen mit Realschulen verbunden, den drei Unterklassen eines Gymnasiums entsprechend. In Preußen, Baden und Elsaß-Lothringen ist P. ein unvollständiges (siebenklassiges) Gymnasium, dem die Prima fehlt. Es giebt in diesen Staaten auch Realprogymnasien, die sich ebenso zu den Realgymnasien verhalten.

Prohibieren (lat.), verhindern, untersagen; Prohibition, Verhinderung, Verbot, besonders Einfuhrverbot.

Prohibitīvsystem, die extreme Ausbildung des Schutzzollsystems (s. d.), bei der die Einfuhr der Waren, deren Produktion im Inlande befördert werden soll, gänzlich verboten oder durch sehr hohe Zölle thatsächlich so gut wie gänzlich verhindert wird. (S. Ausfuhrverbote, Einfuhrverbote.)

Prohibitorĭum (lat.), Verbot der Ein- und Ausfuhr gewisser Waren.

Pröhle, Heinr., Schriftsteller, geb. 4. Juni 1822 zu Satuelle im Reg.-Bez. Magdeburg, studierte in Halle und Berlin, lebte dann in Wien als Korrespondent für die Augsburger «Allgemeine Zeitung» und 1850‒56 in der Harzgegend. 1856 wurde P. Lehrer am Friedrich-Werderschen Gymnasium in Berlin, 1858‒59 war er Oberlehrer in der Rheinprovinz und wurde hierauf Oberlehrer, nachher Professor am Luisenstädtischen Realgymnasium in Berlin. Seit Ostern 1890 ist er emeritiert. P. veröffentlichte u. a.: «Harzbilder» (Lpz. 1857), «Aus dem Harze» (2. Aufl., ebd. 1857), «Gedichte» (ebd. 1859), «Harzsagen» (2 Bde., ebd. 1854; 2. Aufl. 1886), «Weltliche und geistliche Volkslieder und Volksschauspiele» (neue Ausg., Aschersl. 1863), «Deutsche Sagen» (2. Aufl., Berl. 1879), «Gottfried August Bürger» (Lpz. 1856), «Friedrich d. Gr. und die deutsche Litteratur» (Berl. 1872; 2. Aufl. 1878), «Lessing, Wieland, Heinse» (ebd. 1877), «Abhandlungen über Goethe, Schiller, Bürger und einige ihrer Freunde» (Potsd. 1889), «Friedrich Ludwig Jahns Leben» (Berl. 1855) u. a. Außerdem gab er Wielands Werke (in Kürschners «Deutscher Nationallitteratur») heraus.