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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Provisionsreisender - Prozeßfähigkeit.

Provisionsreisender, s. Handlungsreisender.

Provisor (lat.), allgemein s. v. w. Verwalter, Verweser, Vorsteher (z. B. P. imperii, Reichsverweser); in Apotheken früher Titel des ersten Gehilfen.

Provisorium (lat.), einstweilige Verfügung oder vorläufiger Zustand bis zur bleibenden Regulierung; provisorisch, einstweilen geltend, vorläufig, z. B. provisorische Befestigungen (s. Feldbefestigung).

Provo, Stadt im nordamerikan. Territorium Utah, am Utahsee, mit (1880) 3432 Einw.

Provokation (lat.), Herausforderung; im alten Rom die Berufung an die Volksversammlung gegen Verfügungen der Magistrate; endlich die Aufforderung zur Klagerhebung (provocatio ad agendum). Die Regel nämlich, daß niemand gezwungen werden soll, sein Recht im Weg der Klage geltend zu machen ("nemo invitus agere cogatur"), erlitt früher insofern eine Ausnahme, als nach gemeinem deutschen Prozeßrecht eine Partei (Provokant) in gewissen Fällen eine andre (den Provokaten) zur Klagerhebung gegen erstere bei Vermeidung ewigen Stillschweigens auffordern (provozieren) konnte, und zwar im Weg der Klage (Provokationsklage), über welche in einem besondern Verfahren (Provokationsprozeß) verhandelt und entschieden wurde. Der deutschen Zivilprozeßordnung ist jedoch, ebenso wie dem französischen Prozeßrecht, ein solches Verfahren fremd, indem sie den Grundsatz des letztern adoptiert hat (§ 231), daß jederzeit auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden kann, wofern nur der Kläger an dieser Feststellung ein rechtliches Interesse hat (s. Feststellungsklage).

Provokationsprozeß, s. Provokation.

Provost (engl., spr. prowwöst), in England Titel von höhern Geistlichen, auch von Vorstehern der Stadtverwaltungen gewisser Kollegien etc.; Lord-P. heißen die Bürgermeister schottischer Städte.

Provozieren (lat.), etwas hervorrufen, veranlassen, jemand zu etwas anreizen; s. Provokation.

Provveditore (ital., "Verweser"), in der ehemaligen Republik Venedig Titel hoher Würdenträger, namentlich der ersten Verwaltungsbeamten der einzelnen Provinzen oder Territorien. In der Stadt Venedig hieß der Polizeiminister P. commune, der Zahlmeister der Flotte P. del mare.

Proxenet (griech.), Mittelsperson, Vermittler (meist in üblem Sinn); Proxeneticum, Maklergebühr.

Proxenie (griech.), Staatsgastfreundschaft, Recht und Schutz der Gesandten etc.

Proximus (lat.), der Nächste.

Proz., Abkürzung für Prozent.

Prozedieren (lat.), vorgehen, ein Verfahren einschlagen; Prozedur, Verfahrungsart; Rechtsgang.

Prozelten, s. Stadt-Prozelten.

Prozent (v. lat. pro centum, in Österreich Perzent, franz. pour cent, ital. per cento, engl. per cent), von, für oder auf je 100, gibt die Zahl von Dingen an, welche auf je 100 andre entfallen, z. B. Zins vom Kapital (Rabatt, Wechseldiskont), Männer, Frauen auf je 100 Kopfe der Bevölkerung, Steuer vom Einkommen etc. Das Zeichen dafür ist %. Man unterscheidet dreierlei Prozente:

1) wenn 100 Mk. reines Kapital 4 (oder allgemein p) Mk. Zinsen geben, so nennt man dies 4 (allgemein p) P. vom Hundert;

2) sind in 104 (allgemein 100+p) Mk. um die Zinsen vermehrten Kapitals 4 (allgemein p) Mk. Zinsen enthalten, und betrachtet man das Verhältnis 104:4 (100+p:p), so nennt man dies 4 (p) P. auf Hundert;

3) kommen endlich auf 96 (allgemein 100-p) Mk. um den Diskont verminderten Kapitals 4 (p) Mk. Diskont, so daß das Verhältnis beider 96:4 (allgemein 100-p:p) ist, so hat man 4 (p) P. im Hundert.

Eigentliche Prozente sind nur die ersten.

Prozent-Tara, s. v. w. Gutgewicht (s. d.).

Prozentualgebühren, in Prozenten vom Werte des Gegenstandes bemessene Gebühren (s. d.).

Prozeß (lat.), in der Rechtswissenschaft das Verfahren vor Gericht, wodurch eine Rechtssache zur endgültigen Entscheidung gebracht wird; dann der Inbegriff der gesetzlichen Regeln, nach welchen dieses Verfahren eingerichtet werden muß, und die wissenschaftliche Entwickelung derselben (s. Zivilprozeß, Strafprozeß); in der Chemie (chemischer P.) eine Operation der Natur oder Kunst, wodurch das Wesen eines chemischen Körpers verändert wird, also Auflösung, Niederschlag (Fällung), Verdampfung, Schmelzung, Destillation, Sublimation etc. Dann allgemein s. v. w. Vorgang, Verlauf.

Prozeßbetrieb, die Fürsorge für den Fortgang eines Rechtsstreits und die Anregung der richterlichen Urteilsthätigkeit in demselben. Das französische Recht überläßt diese Sorge lediglich den Parteien, indem jeder Spruch des Gerichts die Verbindung des letztern mit dem Streitgegenstand und dem Streitverfahren aufhebt, so daß es den Parteien überlassen bleibt, diese Verbindung nun durch erneute Anträge wiederherzustellen (sogen. Passivität des Gerichts, auch Desaisierungssystem genannt). Die deutsche Zivilprozeßordnung dagegen hat dies System nicht adoptiert, wohl aber den Parteien die Vornahme gewisser Prozeßhandlungen unter ihrer eignen Verantwortung zugewiesen, um die gerichtliche Thätigkeit insoweit zu entlasten. Dies gilt namentlich von der Zustellung der Parteischriftsätze; ebenso ist die Vorladung der Gegenpartei zur mündlichen Verhandlung im Prinzip Sache der Partei. In der mündlichen Verhandlung dagegen ist von einem Parteibetrieb nicht mehr die Rede; die Prozeßleitung (s. d.) des Gerichts tritt hier in volle Wirksamkeit.

Prozeßbevollmächtigter, nach dem Sprachgebrauch der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 76 ff., 143) im Gegensatz zum Rechtsanwalt der sonstige Bevollmächtigte und Vertreter einer Partei in einem bürgerlichen Rechtsstreit. Während nämlich vor den Landgerichten und vor allen Gerichten höherer Instanz die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten sein müssen (Anwaltszwang), können sie vor dem Amtsgericht den Rechtsstreit selbst oder durch jede prozeßfähige Person als Bevollmächtigten führen. Ein P. muß sich durch schriftliche Vollmacht legitimieren. Dieselbe muß, wenn es sich um eine Privaturkunde handelt, auf Verlangen des Gegners gerichtlich oder notariell beglaubigt werden. Durch das Gericht kann ein P., welcher das mündliche Verhandeln vor Gericht vorschriftsmäßig betreibt, also namentlich ein sogen. Rechtskonsulent oder Winkeladvokat, zurückgewiesen werden, ohne daß eine Anfechtung dieser Anordnung zulässig wäre.

Prozeßfähigkeit (Prozeßselbständigkeit), die Fähigkeit einer Prozeßpartei, selbständig und ohne einen gesetzlichen Vertreter oder Beistand einen Rechtsstreit zu führen oder durch einen Bevollmächtigten (im Anwaltsprozeß durch einen Rechtsanwalt) führen zu lassen. Die P. ist nicht zu verwechseln mit der Parteifähigkeit, d. h. der Fähigkeit, in einem Rechtsstreit Kläger oder Beklagter zu sein. Diese letztere Fähigkeit hat z. B. der Minderjährige, während ihm die P. fehlt. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 50-55) ist die P. lediglich ein Aus-^[folgende Seite]