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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Rätien - Rationalismus

derselben verpflichtend. Indes auch hier erfüllte er die Erwartungen, die er hervorgerufen, nicht und erregte außerdem durch seine Ansprüche, seine Streitsucht und Reizbarkeit den Zorn seines Gönners in dem Maße, daß dieser ihn acht Monate lang gefangen setzte. Auch der Versuch, in Magdeburg eine Lehranstalt zu gründen, mißlang. Eine letzte Zuflucht fand er in Rudolstadt bei der Gräfin Anna Sophie und in Jena. R. starb 1635 in Erfurt. Seine Wirkung auf seine Zeit ist trotz seiner praktischen Mißerfolge eine bedeutende gewesen. Namentlich hat er den Grundsätzen, von der Anschauung auszugehen, die Muttersprache zur Grundlage des Unterrichts zu machen, das Verständnis statt des Auswendiglernens anzustreben und den Unterricht auf Weniges zu konzentrieren, wirksamen Ausdruck verliehen. – Vgl. über R. fünf Programm-Abhandlungen Herm. Agathon Niemeyers in Halle aus den J. 1840‒43 und 1846, ferner die Schriften von Krause (Lpz. 1872), Störl (Programm der Realschule, ebd. 1876), Schumann (Hannov. 1876), Vogt (vier Programme des königl. Gymnasiums zu Cassel von 1878 bis 1881) und Israel in Schmids «Geschichte der Erziehung», Bd. 3, Abteil. 2 (Stuttg. 1892).

Rätien, s. Rhätien.

Ratifikation (neulat.), Bestätigung, Genehmigung, früher üblich für das von dem Angeschuldigten auf der Folter abgegebene, nachher wiederholte Geständnis, namentlich aber auch heute noch für die durch ernannte Bevollmächtigte abgeschlossene Staatsverträge. Die Verträge werden in der Regel unter Vorbehalt der R. abgeschlossen, ja sie gelten im Zweifel als unter diesem Vorbehalt geschlossen, auch wenn das nicht besonders gesagt ist. Die R. erfolgt (in konstitutionellen Staaten nach Genehmigung der Verträge durch die Volksvertretung) unter Austausch der von den Staatsoberhäuptern vollzogenen Ratifikationsurkunden mit rückwirkender Kraft, wenn nichts anderes bestimmt ist.

Ratifizieren, genehmigen, s. Ratifikation.

Ratiger, german. Heerführer, s. Radagaisus.

Ratihabition (lat.), soviel wie Genehmigung (s. d.), insonderheit die Genehmigung des Geschäftsherrn, wenn ein Geschäftsführer ohne Auftrag (s. Geschäftsführung) namens desselben gehandelt hat oder die Genehmigung des Verfügungsberechtigten, wenn ein Nichtberechtigter ohne dessen Ermächtigung verfügt hat.

Rätĭkon (Rhätikon), s. Ostalpen (Bd. 12, S. 697 a).

Ratiné, s. Ratiniermaschine.

Ratingen, Stadt im preuß. Reg.-Bez. und Landkreis Düsseldorf, am Angerbach und an den Linien Essen-Düsseldorf und Köln-Dortmund der Preuß. Staatsbahnen, Sitz eines Amtsgerichts (Landgericht Düsseldorf), hat (1890) 6766 E., darunter 1271 Evangelische und 23 Israeliten, Post zweiter Klasse, Telegraph, alte Mauern und Türme, kath. und evang. Kirche, Wasserleitung; Fabrikation von Papier, Watte, Maschinen und Röhrenkesseln, Strumpfwirkereien, Kalkbrennerei, Ziegeleien, Dampfmühlen und -Sägewerk. In der Nähe die wohlerhaltenen Burgen am Gräfgenstein und Haus zum Haus.

Ratiniermaschine oder Frisiermühle, mechan. Vorrichtung zum Ratinieren (frz.), d. h. zum Zusammenknoten der Härchen bei tuchartigen Stoffen, welche als Ratiné bezeichnet werden.

Ratĭo (lat.), Vernunft, Vernunftschluß; Ursache, Grund.

Ratiōn, Einheitssatz für die tägliche Verpflegung eines Dienstpferdes, besteht aus Körnerfutter und Rauhfutter (Heu und Stroh). In Deutschland unterscheidet man schwere R. (für Generalität, Generalstab, Kürassiere, Gardeulanen, Artillerie, Leibgendarmerie, Intendantur, Train), mittlere R. (Linienulanen) und leichte R. (alle übrigen Truppenteile und Offiziere), außerdem hat die leichte Gardekavallerie besondern Rationssatz. Der Unterschied der R. liegt nur im Hafergewicht; dieses beträgt für schwere R. 5500, leichte Gardekavallerie 5250, mittlere R. 5150, leichte R. 4750 g Hafer, außerdem ohne Unterschied 2500 g Heu und 3500 g Stroh. Diese für die Garnison gültigen Sätze erhöhen sich auf Märschen und im Kriege (natürlich nach Maßgabe des Futters, das überhaupt beschafft werden kann). In verschiedenen Heeren wird R. auch für den Einheitssatz der täglichen Mannschaftsverpflegung gebraucht, wofür in Deutschland der Ausdruck Portion üblich ist. Über die eiserne R. s. Eisern.

Rationāl (vom lat. ratio, Vernunft), vernunftgemäß. Sofern man unter Vernunft überhaupt das Erkenntnisvermögen versteht, deckt sich das Rationale der Erkenntnis mit dem Apriorischen (s. Rationalismus). – In der Mathematik heißt rational, was sich durch ein bestimmtes Zahlenverhältnis ausdrücken läßt, irrational, was sich nicht so ausdrücken läßt, z. B. die Quadratwurzel von 2.

Rationāle (lat.), Pastorale, ein Prachtstück bischöfl. Meßkleidung. Ein Brust- und Rückenstück von kostbarem gesticktem Stoff ist durch Schulterstücke verbunden. Das R. ist nicht mehr in Gebrauch.

Rationalismus (von lat. ratio, Vernunft), in erkenntnistheoretischer Bedeutung die Richtung, welche den Quell der Erkenntnis nicht oder nur in zweiter Linie in den Sinnen oder der Erfahrung, sondern in der Vernunft, d. h. in der ursprünglichen Gesetzlichkeit der Erkenntnis selbst (oder in Principien «A priori», s. d.) sucht. In allgemeinerer Bedeutung versteht man darunter den Grundsatz, in allem allein der Vernunft zu folgen, so namentlich in theol. Anwendung (s. unten). In jener allgemeinern wie in dieser speciellen Anwendung deckt sich der R. ungefähr mit Aufklärung (s. d.); daher ist das Zeitalter der Aufklärung zugleich das des R.

Im theologischen Sinne ist R. die namentlich zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. verbreitete theol. Richtung, die die Vernunft als das oberste religiöse Erkenntnisvermögen betrachtete und derselben die Entscheidung über die Frage zuschrieb, welche Bestandteile der kirchlichen Glaubenslehre als wesentlicher Kern der christl. Religion, und welche nur als lokale und temporelle Zuthaten anzusehen seien. Den Gegensatz zum R. bildet der Supranaturalismus, der die Unterordnung der Vernunft unter die Autorität der heiligen Schrift fordert und die Entscheidung darüber, was als christl. Wahrheit geglaubt werden müsse, lediglich von der richtigen Ausmittelung des Schriftsinns abhängig macht. Das altorthodoxe Dogma war gegen Mitte des 18. Jahrh. durch den Pietismus und die Wolfsche Philosophie bereits vielfach abgeschwächt, als unter dem Einfluß des engl. Deïsmus und der franz. Encyklopädisten auch in Deutschland das Zeitalter der sog. Aufklärung hereinbrach, die das ganze Fundament des kirchlichen Dogmas in Frage stellte, die ganze Vorstellung von einer übernatürlichen Offenbarung samt dem Wunderglauben verwarf und die christl. Religion durch eine