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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Rätselkanon; Ratskammer; Ratspensionär; Rattans; Rattazzi

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Rätselkanon - Rattazzi.

Versen geschrieben haben. Fast alle bei uns jetzt üblichen Formen des Rätsels finden sich schon im hellenischen Altertum, und selbst die Epiker, die dramatischen Dichter und Lyriker mischten gern rätselartige Aussprache in ihre Dichtungen ein. Bekannt ist das von Ödipus gelöste R. der Sphinx (vgl. Ohlert, R. und Gesellschaftsspiele der alten Griechen, Berl. 1886). Die Römer fanden weniger Geschmack an dergleichen Denkübungen. Besonders häufig war dagegen der Gebrauch der R. bei den germanischen Völkern. Schon die Eddalieder sind voll solcher Fragen, womit man seine gegenseitige Kenntnisse prüfte. Aus dem spätern deutschen Altertum sind besonders zwei Gedichte von Rätselform zu erwähnen: das sogen. "Tragemundeslied" und der "Wartburgkrieg", außerdem zahlreiche im Volksmund und in Volksbüchern erhaltene Überreste von Rätseln. Eine weitere Ausbildung hat das R. im 18. und 19. Jahrh. erhalten, wo man ihm durch die poetische Form größern Reiz zu geben suchte. Durch poetischen Gehalt und Formenschönheit ragen Schillers bekannte R. in der "Turandot" hervor; mehr durch Humor oder durch Witz und Scharfsinn ausgezeichnet sind die R. von Hebel und Schleiermacher, ferner von Mises, Thiersch, Hauff, Schmidlin, Brentano u. a. Die erste deutsche Rätselsammlung wurde 1505 in Straßburg gedruckt (neu hrsg. von Butsch, das. 1875). Eine Sammlung alter Volksrätsel enthält auch Simrocks "Deutsches Rätselbuch" (3. Aufl., Frankf. 1874). Von den zahlreichen neuern Sammlungen empfehlen sich durch Reichhaltigkeit Ohnesorges Rätselalmanach "Sphinx" (Berl. 1833-35, 6 Bde.) und Hoffmanns "Großer deutscher Rätselschatz" (Stuttg. 1874, 2 Bde.). Vgl. Friedreich, Geschichte des Rätsels (Dresd. 1860).

Rätselkanon (Canon aenigmaticus), s. Kanon.

Ratskammer, in Österreich ein bei den Landes- und Kreisgerichten für die Strafsachen bestehender und aus drei Richtern für die Dauer eines Jahrs zusammengesetzter Senat, welchem die Aufsicht über die Voruntersuchung obliegt, und welcher die im Lauf des Verfahrens nötigen Zwischenentscheidungen erteilt.

Ratspensionär (holländ. Raadpensionaris, fälschlich Großpensionär), der Staatssekretär von Holland und Westfriesland zur Zeit der Republik der Vereinigten Niederlande, welcher zwar als besoldeter Beamter nicht zu den Regenten gehörte, aber thatsächlich nicht bloß die Geschäfte seiner Provinz, sondern infolge des Übergewicht von Holland die der ganzen Republik leitete und besonders die auswärtige Politik führte. Die berühmtesten Ratspensionäre in der Blütezeit der Niederlande sind: Oldenbarneveldt, Johan de Witt, Fagel, Heinsius.

Rattans, s. v. w. Spanisches Rohr.

Rattazzi, 1) Urbano, ital. Staatsmann, geb. 29. Juni 1808 zu Alessandria, studierte in Turin die Rechte und ward sodann an dem Appellationsgericht zu Casale angestellt. 1848 in die Zweite Kammer gewählt, schloß er sich hier der Linken an und ward, nachdem er schon im August wenige Tage Minister gewesen, im Dezember 1848 von Gioberti mit der Leitung des Innern, später mit dem Ministerium der Justiz betraut. Nach der Schlacht bei Novara 26. März 1849 mit den übrigen Ministern zurückgetreten, wurde er 1852 Präsident der Deputiertenkammer. Im Oktober 1853 übernahm er unter Cavour das Ministerium der Justiz und ward in dieser Stellung der Urheber der Gesetze, welche die Trennung der Kirche vom Staat herbeiführten. Weil er das von Cavour geschlossene französisch-sardinische Bündnis nicht billigte, schied er Anfang 1858 aus dem Kabinett. Als Cavour im Juli 1859 nach dem Frieden von Villafranca sich zurückzog, erhielt R. den Auftrag, ein neues Ministerium zu bilden, das bis 1860 bestand. Gegen die Abtretung von Savoyen und Nizza protestierte R. anfangs, war aber dann der wärmste Fürsprecher eines engen Bündnisses mit Frankreich. Im März 1862 trat er abermals an die Spitze des Kabinetts, mußte aber wegen seiner Hinneigung zu Napoleon III., die sich durch seine Vermählung mit der Prinzessin Marie Bonaparte, verwitweten Solms (s. unten), verstärkte, und wegen seines Einschreitens gegen Garibaldi im August 1862 bei Aspromonte 1. Dez. wieder zurücktreten. Nach Ricasolis Rücktritt im April 1867 übernahm er wieder die Leitung des Kabinetts, benahm sich aber, als Garibaldi den Freischarenzug gegen Rom ins Werk setzte, so zweideutig und schwankend, daß er im Oktober, als die Franzosen wieder in den Kirchenstaat einrückten, die Regierung niederlegen mußte. Noch immer hatte er als ausgezeichneter Redner im Parlament, in dem er Führer der Linken blieb, großen Einfluß; sein Mangel an Charakterfestigkeit aber hatte seinen Ruf als Staatsmann erschüttert. Er starb 5. Juni 1873 plötzlich in Frosinone. Seine Reden gab Scovazzi (Rom 1876-80, 8 Bde.) heraus. 1885 wurde ihm ein Denkmal in Alessandria gesetzt. Vgl. Morelli, U. R., saggio politico (Pad. 1874); "R. et son temps. Documents inédits" (Par. 1881, Bd. 1).

2) Marie Studolmine, franz. Schriftstellerin, Gemahlin des vorigen, geb. 25. April 1835 als die Tochter des Iren Th. Wyse (gest. 1862 als britischer Gesandter in Athen) aus dessen Ehe mit der Prinzessin Lätitia Bonaparte, der ältesten Tochter von Lucian Bonaparte, wuchs, da die Eltern getrennt lebten, in dürftigen Verhältnissen auf, bildete sich in Paris zur Lehrerin aus und heiratete 1850 einen reichen Elsässer, Friedrich v. Solms, der sich infolge ihrer Extravaganzen aber bald von ihr scheiden ließ. Sie führte darauf in Nizza, Aix und später in Paris ein abenteuerliches Leben, schriftstellerte dabei und verheiratete sich 1862 mit Urbano R., den sie auf ihren Reisen hatte kennen lernen. Nach dem Tode desselben (1873) nahm sie ihr abenteuerliches Leben wieder auf, irrte in den Hauptstädten Europas umher und vermählte sich 1880 in dritter Ehe mit dem noch blutjungen spanischen Cortesmitglied de Rute. Als Schriftstellerin trat sie in verschiedenen Formen und Stoffen, unter eignem und fremdem Namen auf. Von ihren dramatischen Versuchen nennen wir: "Quand on n'aime plus trop, on n'aime plus assez", "L'épreuve", "Un livre de chair", "Les suites d'un ménage de garçon", "Amour et cymbales" etc. Tragen diese schon einen eigentümlichen, keineswegs weiblichen Charakter, so tritt ihre Emanzipationslust und Ungeniertheit noch mehr in ihren Romanen hervor, besonders in "Les mariages de la Créole" (1864, 3. Aufl. 1882), der bei seinem Erscheinen verboten wurde. Von den übrigen werden am meisten genannt: "La réputation d'une femme" (1861); "Mademoiselle Million" (1862); "Les débuts de la forgeronne" (1866); "La Mexicaine" (1866); "Le chemin du Paradis" (1867) u. a. Eine Art Selbstbiographie enthalten ihre Bücher: "Rêve d'une ambitieuse" (1868, 2 Bde.) und "Florence; portraits, chronique, confidences" (1870). Außerdem veröffentlichte sie die Dichtungen: "Cara patria; échos italiens" (1873), "L'ombre de la mort" (1875) etc., eine Biographie Rattazzis: "R. et son temps" (1881, Bd. 1), und die Reisebilder: "L'Espagne moderne" (1879), "Le Portugal à vol d'oiseau" (1883).