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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtsfähigkeit; Rechtsfall; Rechtsgalopp; Rechtsgebiet

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Rechtsfähigkeit - Rechtsgebiet

schen Civilsenaten einerseits und Strafsenaten andererseits. Hier soll das Plenum des ganzen Reichsgerichts entscheiden.

Rechtsfähigkeit, die Fähigkeit, Inhaber von Rechten und Träger rechtlicher Pflichten zu sein und dadurch den Rechtsschutz zu genießen, auch soweit er durch die Strafgesetze zugesichert wird. Die allgemeine R. steht heute jedem Menschen, d. h. jeder Person (s. d.) zu. Insoweit den Juristischen Personen (s. d.) Rechte und Pflichten zugeschrieben werden, spricht man auch von deren R. Von einem Grade der R. darf man insoweit reden, als nicht allen Personen alle Rechte zugänglich sind. Die öffentlichen Rechte, wie sie in den Wahlen, der Mitgliedschaft des Reichstags, der Landtage, der Gemeindevertretung, u. s. w. ausgeübt werden, stehen den Frauen nicht, bezüglich der öffentlichen Ämter nur sehr beschränkt, den Männern nur von einem bestimmten Lebensalter zu, nicht, wenn ihnen die Ehrenrechte (s. d.) abgesprochen sind, den Ausländern, auch wenn sie unter uns wohnen, solange sie nicht naturalisiert sind, gar nicht zu. Auf dem Gebiete des Privatrechts ergiebt sich der Ausschluß der Juristischen Person von dem Familienrecht von selbst. Der Staat oder eine Stadt können nicht adoptieren. Die Römer unterschieden drei Stufen der R. (status). Auf der ersten Stufe gab es nur die Freiheit (libertas), welche die allgemeine R. gab, die den Sklaven nicht zustand. Auf der zweiten Stufe sind die röm. Bürger unterschieden von den Latinern und den Peregrinen. Die civitas gab das commercium, d. h. die Fähigkeit, Vermögensrechte zu haben und zu erwerben, welche auf dem eigentümlichen Recht des röm. Rechts, dem jus civile, beruhten, und das connubium, d. h. die Fähigkeit, eine röm. Ehe einzugehen. Die Latini hatten das commercium, aber nicht das connubium; die Peregrini schlossen ihre Ehen und erwarben Vermögen nach dem jus gentium. Auf der dritten Stufe wurden unterschieden die Hausväter (pater familias) und die von ihm Abhängigen. Der Haussohn konnte eine röm. Ehe eingehen und selbst Konsul werden; aber er hatte keine aktiven Vermögensrechte, weil er alles dem Vater erwarb. Der Verlust eines dieser Status war Capitis deminutio (s. d.).

Die verschwindenden Verschiedenheiten der R. auf dem Gebiete des heutigen Privatrechts beruhen auf deutscher Grundlage, wie die Beschränkung der Frauen bezüglich der Nachfolge in Fideïkommisse und Stammgüter; bezüglich der Ausländer s. d., des Adels s. Ebenbürtigkeit. Ein durch religiöses Bekenntnis bedingter Unterschied in der R. besteht innerhalb des Deutschen Reichs nicht mehr.

Verschieden von der R. ist die Handlungsfähigkeit (s. d.).

Rechtsfall (Casus), ein thatsächliches, für die Rechtsanwendung erhebliches Verhältnis. Die R. sind nicht immer so einfach, daß man im Gesetzbuch nur die Regel aufzusuchen braucht, unter welche sie passen. Denn einerseits ist nicht jedes Gesetz so klar und geschickt gefaßt, daß die Grenze, wo es nicht mehr anzuwenden sei, und die Beantwortung der Frage, ob der individuelle Fall nach dem Sinn und der Idee der Rechtsvorschrift darunter paßt, sich von selbst ergiebt. Und dieselben Übelstände ergeben sich bei der Auslegung von Rechtsgeschäften. Andererseits verschlingen sich im R. häufig verschiedene rechtliche Gesichtspunkte, welche das Urteil leicht verwirren. Das Ansehen der Gerichtshöfe beruht auf dem Vertrauen des Volks, daß sie nicht bloß das Rechte wollen, sondern auch das Rechte finden. Zur korrekten Entscheidung schwieriger R. gehören aber drei Dinge, welche sich bei dem dazu berufenen Juristen vereinigt finden müssen: eine Kunst der Diagnose, welche unter Ausscheidung des für die Entscheidung unerheblichen Materials den springenden Punkt findet, an welchem der Hebel anzusetzen ist; der jurist. Takt (das Rechtsgefühl), welcher das dem Fall angemessene Resultat findet, und der mit umfassender Rechtskenntnis gepaarte Scharfsinn, welcher in den Entscheidungsgründen den innern Grund für die Richtigkeit des Resultats an der Individualität des Falles wie an dem Sinn und Geist des Gesetzes oder des streitigen Rechtsgeschäfts aufweist. Die gerichtlichen Entscheidungen sollen aber nicht bloß im einzelnen Fall das Richtige finden, sondern auch bei Vergleichung miteinander keine Widersprüche aufweisen. Es ist deshalb immer ein Zurückgehen auf Vorentscheidungen früherer ähnlicher Fälle erforderlich. Das wird erleichtert durch die Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidungen namentlich der höchsten Gerichtshöfe, wie sie sich bei allen Kulturvölkern finden; so die Urteile der frühern deutschen Oberappellationsgerichte (s. d.), des vormaligen Reichsoberhandelsgerichts (s. d.) und des deutschen Reichsgerichts (s. d.), wie des österr. Obersten Gerichtshofs, des franz. Kassationshofs, die engl. und amerik. Reports, die besonders für das Handelsrecht noch heute wichtigen Decisiones der Gerichtshöfe (rotae) der mittelalterlichen ital. Handelsstädte und der Rota romana, die Entscheidungen des ital. Kassationshofs, des Schweizer Bundesgerichts u. s. w. Hierher gehören ferner die Gutachten (Responsen) einzelner berühmter Juristen auf Anfragen über wirklich vorgekommene und über fingierte R., wie sie seitens der röm. Juristen ergangen, im Corpus juris (s. d.) wiedergegeben, aber auch von neuern Juristen und Juristenfakultäten erteilt und veröffentlicht sind. Die Sammlung der kriminalistischen R. und Entscheidungen dient teils demselben jurist., teils einem psychol. und kulturhistor. Bedürfnisse, so z. B. der Pitaval (s. d.).

Rechtsgalopp, s. Galopp.

Rechtsgebiet, der geogr. Bezirk, für welchen ein Gesetz erlassen ist, oder in welchem eine andere Rechtsquelle (Rechtsbuch, Gewohnheitsrechtssatz) auf Grund eines das ganze Gebiet umfassenden einheitlichen Vorgangs (gemeinsame Rechtsübung) formale Geltung hat. Man spricht aber auch von einem R., insoweit in demselben dasselbe Gesetz- oder Rechtsbuch nach seinem übereinstimmenden Inhalt gilt, wenn schon in den einzelnen Gebietsteilen auf Grund verschiedener Gesetzgebungsakte. So von einem gemeinsamen R. des franz. bürgerlichen Rechts oder des franz. Handelsrechts, des preuß. Bergrechts, des preuß. Grundbuchrechts, weil der Code civil, der Code de commerce, das Preuß. Allg. Berggesetz, die Preuß. Grundbuchgesetze unverändert oder mit einzelnen Abänderungen in andern Staaten durch besondere Gesetze recipiert sind. Endlich spricht man von einem R., insoweit in demselben ein und dasselbe Rechtsinstitut (z. B. das Allgemeine eheliche Güterrecht), wenn auch mit einzelnen Modifikationen, in wesentlich miteinander übereinstimmender Übung ist. R. und Staatsgebiet fallen also nicht immer zusammen, schon deshalb nicht, weil auch noch gegenwärtig (z. B. in Preußen,