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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Rechtswohlthat - Recitativ.

gesetzbuch (Code de commerce) insbesondere war das Vorbild der meisten neuern Handelsgesetzbücher, und der Code pénal (Strafgesetzbuch) beeinflußte auch die deutsche Strafgesetzgebung in erheblicher Weise. Durch Kant und Hegel wurde das wissenschaftliche Studium des Strafrechts (s. d.) mächtig angeregt, und die ausgezeichneten Arbeiten des großen Kriminalisten Feuerbach gaben der Strafrechtswissenschaft einen gewaltigen Aufschwung, der zuerst in dem von Feuerbach selbst redigierten bayrischen Strafgesetzbuch von 1813 praktische Bedeutung gewann. Zahlreiche Strafgesetzbücher der einzelnen deutschen Staaten folgten, während gleichzeitig auf dem Gebiet des Strafprozesses (s. d.) das englische Vorbild vielfache Nachahmung in dem öffentlichen und mündlichen Verfahren und in der Heranziehung des Laienelements im Schwurgerichtsprozeß fand. Jetzt ist nicht nur auf dem Gebiet des Strafprozesses, sondern auch auf dem des Zivilprozesses (s. d.) in Deutschland die Rechtseinheit hergestellt, wie dies schon zuvor in Ansehung des Strafrechts durch den Erlaß des norddeutschen, jetzt deutschen Strafgesetzbuchs geschehen war. Ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch ist in der Vorbereitung begriffen, und das einheitliche Reichsrecht hat bereits eine reichhaltige Litteratur hervorgerufen, welche durch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des gemeinsamen Reichsgerichts wesentlich gefördert worden ist. Auf dem Gebiet des Staatsrechts (s. d.) sind namentlich die englischen Rechtsschriftsteller von großem Einfluß gewesen, und das konstitutionelle Verfassungsleben des Kontinents hat durch dieselben vielfache Anregung erhalten. Das deutsche Reichsstaatsrecht der Gegenwart hat bereits viele Bearbeiter gefunden. Die moderne R. ist aber nicht bei der Bearbeitung des positiven Staatsrechts stehen geblieben, sie hat vielmehr auch die allgemeinen Merkmale staatlicher Wirksamkeit und die Grundbedingungen zu entwickeln gesucht, welche in dem besondern Staatsrecht der einzelnen Staaten zur Erscheinung kommen. So ist die Wissenschaft des allgemeinen Staatsrechts ins Leben gerufen, welche in Deutschland an Karl Salomo Zachariä, Bluntschli, Robert v. Mohl und Held namhafte Bearbeiter fand. Auch die kirchenrechtliche Litteratur gewann in neuerer Zeit infolge des in Deutschland zwischen Staat und Kirche bestehenden Konflikts an Bedeutung (s. Kirchenrecht). Eine wichtige Disziplin ist ferner das Völkerrecht (s. d.) geworden, ein Gebiet, auf welchem wissenschaftliche Forschung vielfach den Mangel positiver Rechtsvorschriften auszugleichen wußte. Eine noch junge Wissenschaft ist die vergleichende R., welche sich eine systematische Vergleichung der Rechtsinstitute verschiedener Völkerschaften zur Aufgabe stellt, eine wissenschaftliche Thätigkeit, an welcher Juristen aller Kulturvölker Anteil nehmen. An encyklopädischen Darstellungen und Übersichten der gesamten R. ist in Deutschland kein Mangel. Neben den Werken von Ahrens, Arndts, Bluhme, Goldschmidt, Walter und Warnkönig ist namentlich des "Rechtslexikons" von Weiske (Leipz. 1839-61, 15 Bde.) und der "Encyklopädie der R." von Holtzendorff (4. Aufl., das. 1882), verbunden mit einem Rechtslexikon (3. Aufl. 1880 ff., 3 Bde.), zu gedenken. Vgl. Arndts, Juristische Encyklopädie und Methodologie (7. Aufl., Stuttg. 1880); Merkel, Juristische Encyklopädie (Berl. 1885); Gareis, Encyklopädie und Methodologie der R. (Gieß. 1887); Stintzing, Geschichte der deutschen R. (Münch. 1880-85).

Rechtswohlthat (lat. Beneficium juris), Rechtsbestimmung, wodurch gewisse Ausnahmen vom strengen Recht, z. B. für ein gewisses Alter, Geschlecht, einen Stand oder eine Klasse von Personen oder für eine gewisse Gattung von Sachen oder für alle und jede Staatsbürger, insofern sie sich in einer gewissen Lage befinden, gemacht werden. Dahin gehören: die R. der Bedenkzeit (beneficium oder jus deliberandi, s. Bedenkzeit); die R. des Nachlaßverzeichnisses (Beneficium inventarii, s. d.); die R. der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (s. d.); die dem Bürgen zustehenden Rechtswohlthaten (s. Bürgschaft); die R. der Kompetenz (Beneficium competentiae, s. d.) u. a.

Rechtszuständigkeit, s. v. w. Kompetenz (s. d.); dann die einer Person zustehenden Rechtsmittel (s. d.).

Recidiv (lat.), s. v. w. Rückfall (s. d.).

Recief, s. Recepisse.

Recife, Stadt in Brasilien, s. Pernambuco.

Recipe (lat.), nimm! auf Rezepten.

Recipisse, unrichtig für Recepisse (s. d.).

Reciproca (lat.), die "Gegenseitigkeit" ausdrückende Wörter, s. Pronomen und Verbum.

Reciprok (lat.), wechselseitig, gegenseitig; Reciprozität, Wechselseitigkeit, Gegenseitigkeit. Reciproke Begriffe und Urteile, solche, welche miteinander vertauscht werden können, z. B. die Begriffe: gleichwinkeliges und gleichseitiges Dreieck und die Urteile: ein gleichseitiges Dreieck hat gleiche Winkel, und ein gleichwinkeliges Dreieck hat gleiche Seiten; reciproke Zahlen, solche, welche, miteinander multipliziert, als Produkt die Einheit oder Eins geben, z. B. ¼ und 4, n und 1/n.

Récit (franz., spr. -ßih), Bericht.

Recital (engl., spr. rißeit'l), Vortrag, auch musikalischer und zwar (seit Liszt) besonders für Konzerte gebräuchlich, in denen nur Klaviervorträge durch einen einzigen Spieler gegeben werden.

Recitando (ital., spr. retschi-), in der Weise eines Recitativs vorzutragen.

Recitativ (ital. Recitativo, v. lat. recitare, "erzählen"), diejenige Art des Gesangs, welche zu gunsten der natürlichen Accentuation und selbst des Tonfalls der Worte das rein musikalische Element auf ein Minimum beschränkt, sowohl hinsichtlich der Melodiebildung als der rhythmischen Gliederung, sozusagen die prosaische Rede des Gesangs. Die Erfindung des Recitativs fällt zusammen mit der Entstehung der Oper (s. d.). Das Bestreben, dem durch kontrapunktische Künste von der Musik ganz überwucherte poetischen Text wieder zu seinem Recht zu verhelfen und einen natürlichen Ausdruck der Empfindung im Gesang zu ermöglichen, führte auf dem Weg ästhetischen Räsonnements zur Erfindung des Stilo rappresentativo, dessen Kern das R. ist. Die Instrumentalbegleitung, welche gleich von seinen Schöpfern Peri, Caccini, Cavalieri dem R. beigegeben wurde, war zunächst nichts weiter als eine harmonische Stütze für die Sicherheit der Intonation, ein bezifferter Baß (s. Generalbaß), welcher auf dem Klavier oder auf der Laute, Theorbe, Gambe ausgeführt wurde. Wenn es den ersten Schöpfern des neuen Stils nicht gleich gelang, der Sprache die natürlichste Art der Deklamation abzulauschen, sondern sie anfänglich in das ihnen als Sologesang so ziemlich als einziges Muster vorliegende Psalmodieren des Gregorianischen Gesangs gerieten, so ist das gewiß nicht verwunderlich. Erst die Förderer des dramatischen Stils, voran Monteverde und später Alessandro Scarlatti, gestalteten die Begleitung des Recitativs lebendiger und schufen das Accompagnato, das R. mit ausgearbeiteter, musikalisch bedeutsamerer Begleitung, während das R. mit Generalbaß als Seccorecitativ oder