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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Tagblindheit - Tagewählerei.

genannten Kaisers (1831 errichtet), 2 Gymnasien (eins für Knaben und eins für Mädchen), ein Theater, eine Börse und (1885) 56,047 Einw. (sehr viele Griechen und Juden, aber auch Armenier, Italiener und Deutsche). T. ist einer der wichtigsten Handelsplätze Südrußlands. Die weite Reede ist flach und durch Sandbänke gefährlich. Die Ausfuhr betrug 1887: 14 Mill., die Einfuhr 2 Mill. Rubel. Ausfuhrartikel sind hauptsächlich: Weizen, Butter, Leinsaat und Talg; Gegenstände der Einfuhr: Früchte, Wein, Öl und Metallfabrikate. Die Gewerbthätigkeit ist gering. Im Hafen liefen 1887: 868 Schiffe mit 483,152 Ton. ein, außerdem im Küstenverkehr 1465 Fahrzeuge mit 282,800 Ton. Die Militär- und Zivilverwaltung liegt in den Händen eines Stadtpräfekten. T. war ursprünglich eine Festung, die 1698 von Peter I. angelegt und nach ihrer Schleifung infolge des Friedens am Pruth (1711) von Katharina II. 1769 wiederhergestellt ward. Es wurde 22. Mai 1855 von einer englisch-französischen Flotte bombardiert und teilweise zerstört.

Tagblindheit (Nachtsehen, Nyktalopie, Coecitas diurna), Mangel des Gesichts, der darin besteht, daß die Kranken bei Tag und besonders gegen Mittag schwachsichtig oder blind sind, mag sie nun Licht oder Dämmerung umgeben, während sie des Nachts, vorzüglich gegen Mitternacht, bei Kerzen- oder bei Mondlicht am besten sehen. Die Krankheit befällt fast immer beide Augen zu gleicher Zeit. Die wahre T. ist eine rein periodische Krankheit und hängt nicht von dem Grade des Lichts ab wie die symptomatische T. Beide beruhen auf einem Reizungszustand der Retina, in welchem dieselbe helles Licht nicht verträgt. Als Ursachen der T. werden genannt verschiedene Krankheiten des Auges und des Körpers überhaupt, ferner Entwöhnung vom Licht, erbliche Anlage und endemische Einflüsse. Die Prognose hängt von den Ursachen ab. Die als reines Lokalleiden der Netzhaut auftretende T. pflegt in 2-3 Monaten zu verschwinden, macht aber bisweilen, selbst zu bestimmten Jahreszeiten, Rückfälle. Die durch Entwöhnung vom Licht entstandene T. geht bei falscher Behandlung des Auges leicht in vollkommene Blindheit über. Außer der Beseitigung der Ursachen hat die ärztliche Behandlung namentlich darauf zu sehen, daß der Kranke seine Augen längere Zeit hindurch vollkommen ruhen lasse und sie erst ganz allmählich dem Lichtreiz wieder aussetze. In nordischen Ländern ist der Gebrauch einer Schneebrille als schützendes Mittel zu empfehlen.

Tagbogen, der Teil des Tagkreises, den ein Gestirn im täglichen Umschwung um die Erde oberhalb des Horizonts beschreibt, im Gegensatz zu dem unterhalb des Horizonts gelegenen Teil, dem Nachtbogen.

Tagebau, im Gegensatz zum Grubenbau Abbauanlagen über Tag; vgl. Bergbau, S. 723.

Tagebruch, Einsenkung der Erdoberfläche, entstanden durch Einsturz alter bergmännischer Anlagen.

Tagebuch, s. v. w. Journal (s. Buchhaltung, S. 565). Bei der doppelten Buchführung paßt die Bezeichnung T. nur dann, wenn die Übertragungen aus den Vorbüchern täglich erfolgen, wie dies bei der französischen Buchhaltung geschieht. Über die Tagebücher der Makler s. Makler, S. 135.

Tagegelder, s. Diäten.

Tagekranz, s. Hängebank.

Tagelied (Tageweise, Wächterlied), eine Gattung des mittelalterlichen Minnegesangs, welche balladenartig das Scheiden zweier Liebenden schildert, woran der Turmwächter, den anbrechenden Tag verkündend, mahnt. Diese Dichtungsform war in der Provence erfunden, wurde aber in Deutschland schon früh nachgeahmt und hier, teils mit der Figur des Wächters, teils ohne dieselbe als bloßes Scheideduett, bald sehr populär; als größter Meister derselben erscheint Wolfram von Eschenbach. Später übernahm das Volkslied die Pflege der Tageweisen, die in der Reformationszeit auch eine geistliche Umdeutung erfuhren, wodurch die sogen. geistlichen Wächterlieder entstanden, als deren letztes das noch heute gesungene Lied "Wachet auf, ruft uns die Stimme" von Ph. Nicolai zu nennen ist. Vgl. Bartsch, Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Freiburg 1883); Gruyter, Das deutsche T. (Leipz. 1887).

Tagelöhner, derjenige, welcher gegen Tagelohn arbeitet. Vgl. Arbeitslohn, S. 759.

Tages, nach röm. Mythus der Sohn eines Genius und Enkel des Jupiter, tauchte bei Tarquinii in Etrurien aus der Furche eines frisch gepflügten Feldes plötzlich empor und lehrte, ein Knabe von Ansehen, ein Greis an Weisheit, den Etruskern die Haruspizien (s. Haruspices), die dann von ihnen in den Libri tagetici aufgezeichnet wurden.

Tagesbefehl, s. v. w. Parolebefehl, s. Parole.

Tagesgeschäft, Tageskauf, im Gegensatz zum Lieferungsgeschäft (s. d.) und zum Lieferungskauf (s. d.) dasjenige Geschäft, bei welchem die Ware unmittelbar (oder auch je nach den Börsenusancen mit gewisser Frist) nach Abschluß des Geschäfts übergeben wird.

Tageshelle, s. Diffusion des Lichts.

Tagesordnung, bei beratenden und beschließenden Versammlungen das Verzeichnis und die Reihenfolge der zur Beratung kommenden Gegenstände, welche für die jeweiligen Sitzungen im voraus auf- und festzustellen sind; daher heißt zur T. übergehen s. v. w. auf einen Antrag etc. nicht weiter eingehen. Geschieht dies unter der Angabe von Gründen, so spricht man von einer motivierten T., welche als eine mildere Form der Ablehnung eines Antrags gilt.

Tagesregent, in der Astrologie derjenige der sieben Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, der auf die erste Stunde eines jeden Wochentags kommt, wenn man die erste Stunde des Sonnabends dem Saturn, die zweite dem Jupiter etc., die achte wieder dem Saturn u. s. f. in obiger Weise zuteilt. Sonach sind Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus die Regenten der Wochentage, vom Sonnabend angefangen, weshalb letztere auch die Namen dies Saturni (engl. saturday), d. Solis (engl. sunday), d. Lunae (Montag, ital. lunedì), d. Martis (ital. martedì), d. Mercurii (ital. mercordì), d. Jovis (ital. giovedì) und d. Veneris (ital. venerdì) führen.

Tagewählerei, in Luthers Bibelübersetzung (5. Mos. 18, 10) der Glaube an Glücks- oder Unglückstage bei den Juden, der sich aber fast bei allen Kulturvölkern findet und bis heute nicht geschwunden ist. Über die T. der Griechen belehrt uns das Hesiodsche Gedicht "Werke und Tage"; bei den Römern galten alle auf die Iden folgenden Tage als unglücklich, und dazu kamen die drei großen Unglückstage: 7. Mai, 8. Juli und 8. Nov., die den Toten gewidmet waren. An solchen Unglückstagen, deren Zahl sich durch die Daten verlorner Entscheidungsschlachten oder sonstiger nationaler Unglücksfälle vermehrte, durften keine neuen Unternehmungen, Feldzüge, Bauten, Reisen, Ehen etc. begonnen werden; für die Eheschließung galt auch der ganze Monat Mai für unglücklich. Bei den alten Germanen galten die den Hauptgöttern Wuotan und Donar heiligen Wochentage (Montag und Donnerstag) für Glückstage,