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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Vertäuen - Vertot d'Auboeuf.

Vertäuen (vermooren, engl., spr. -muh-), ein Schiff mit zwei Ankern verankern, so daß diese, vom Schiff aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung liegen. Das V. findet namentlich da Anwendung, wo in engen Gewässern Flut und Ebbe laufen. Das Schiff liegt dann bald vor seinem Flut-, bald vor dem Ebbeanker, aber stets auf derselben Stelle.

Vert de gris (franz., spr. währ d'grih), Grünspan.

Verte (lat., abgekürzt v.), wende das Blatt um!

Vertebra (lat.), Wirbel; vertebral, zu den Wirbeln gehörig.

Vertebralsystem (Spinalsystem, lat.-griech.), die Gesamtheit des Rückenmarks (s. d.) und der daraus entspringenden Nerven.

Vertebraten (lat.), s. v. w. Wirbeltiere (s. d.).

Verteidigung (Defensive, Defension), die Wahrung und Geltendmachung der dem Angeschuldigten im Strafverfahren zustehenden Rechte durch einen hierzu bestellten Beistand (Defensor, Verteidiger). Die deutsche Strafprozeßordnung unterscheidet zwischen dem sogen. Wahlverteidiger und dem notwendigen Verteidiger. Notwendig ist die V. in denjenigen Sachen, welche in erster Instanz vor das Reichsgericht oder vor das Schwurgericht gehören, ebenso aber auch in denjenigen Untersuchungssachen, welche vor dem Landgericht in erster Instanz zu verhandeln sind, wenn der Angeschuldigte taub oder stumm ist oder das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, oder wenn ein eigentliches Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Verteidigers verlangt. Zu Wahlverteidigern, die in jeder strafrechtlichen Untersuchung zugezogen werden können, sind Rechtsanwalte sowie Rechtslehrer an deutschen Hochschulen, andre Personen dagegen nur mit Genehmigung des Gerichts zuzulassen. Die Auswahl eines notwendigen Verteidigers erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der Zahl der am Sitz dieses Gerichts wohnhaften Rechtsanwalte; doch können auch Justizbeamte, welche nicht als Richter angestellt sind, sowie solche Rechtskundige, welche die vorschriftsmäßige erste Prüfung für den Justizdienst bestanden haben, als Verteidiger bestellt werden. Abweichend von den bisherigen Vorschriften, gestattet die deutsche Strafprozeßordnung die Zuziehung eines Verteidigers schon im Vorverfahren oder in der Voruntersuchung; doch erfolgt die Vernehmung des Angeschuldigten in der Voruntersuchung in Abwesenheit des Verteidigers wie des Staatsanwalts. Der Verteidiger kann die Untersuchungsakten einsehen, auch mit dem verhafteten Beschuldigten mündlich und schriftlich verkehren. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens müssen jedoch schriftliche Mitteilungen dem Richter vorgelegt werden, auch kann der Richter bis zu diesem Zeitpunkt anordnen, daß Unterredungen des verhafteten Beschuldigten mit dem Verteidiger eine Gerichtsperson beiwohne. Der Verteidiger kann die Abhörung neuer Zeugen (Entlastungs-, Schutz-, Defensionalzeugen) und sonstige ergänzende Maßregeln beantragen, um neue Entlastungsmomente beizubringen. Man unterscheidet ferner zwischen Haupt- und Nebenverteidigung. Erstere ist auf das Endurteil selbst gerichtet; sei es, daß sie den Belastungsbeweis zu entkräften oder einen Unschuldsbeweis zu erbringen sucht, daß sie die That als eine straffreie oder als unter ein andres Strafgesetz fallend im Gegensatz zu der Anklage hinzustellen bemüht ist; sei es, daß sie sich auf die Hervorhebung von Strafmilderungsgründen beschränkt. Die Nebenverteidigung bezieht sich auf beschwerende Maßregeln in der Voruntersuchung, Untersuchungshaft z. B.; sie richtet sich gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens u. dgl. Auch in der Rechtsmittelinstanz ist die V. zulässig. Dem amtlich zum Verteidiger bestellten Rechtsanwalt sind für die V. die Gebühren aus der Staatskasse zu bezahlen, unter Vorbehalt des Rückgriffs an den in die Kosten verurteilten Angeschuldigten. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 137-150; Jaques, über die Aufgabe der V. (Wien 1873); Frydmann, Handbuch der V. im Strafverfahren (das. 1878); Kosjek, Aus den Papieren eines Verteidigers (Graz 1884). - Über V. im militärischen Sinn s. Defensive und Festungskrieg, S. 199 f.

Verteilungsrechnung, s. Gesellschaftsrechnung.

Verteilungsverfahren, bei der gerichtlichen Zwangsvollstreckung in bewegliches Vermögen das Verfahren, welches außerhalb des Konkurses der Gläubiger eintritt, wenn der Erlös, der zu hinterlegen ist, zur Befriedigung der beteiligten Gläubiger nicht ausreicht. Die Verteilung selbst erfolgt auf Grund eines gerichtlichen Verteilungsplans. Vgl. Deutsche Zivilprozeßordnung, § 758 ff.

Vérteser Gebirge, s. Bakonyer Wald.

Vertex (lat.), Scheitel.

Verticillatus (lat.), einen Quirl (verticillus) bildend, quirlständig, von Blättern (s. Blatt, S. 1012).

Vertieren (lat., spr. wär-), umwenden; übersetzen.

Vertigo (lat.), s. v. w. Schwindel.

Vertikal (lat.), s. v. w. senkrecht oder lotrecht. Auch s. v. w. Vertikalkreis (s. d.). Vertikale Gliederung, s. Gliederung der Kontinente.

Vertikalfeuer (Wurf-, Steilfeuer), Feuer aus Mörsern oder kurzen Kanonen, bei welchem die Geschosse unter großem Fallwinkel von obenher das Ziel treffen, im Gegensatz zu Flachfeuer (s. d.).

Vertikalhammer, s. Hammer, S. 56.

Vertikalkreis (Vertikal, Höhenkreis), in der Astronomie jeder durch Zenith und Nadir gehende, also auf dem Horizont senkrechte größte Kreis der Himmelskugel. Der zwischen einem Stern und dem Horizont liegende Bogen eines solchen ist die Höhe des Sterns. Vertikallinie, die durch Zenith und Nadir gezogene, auf der Horizontalebene senkrechte Linie, welche die Richtung der Schwere angibt. Jede durch sie gelegte Ebene heißt eine Vertikalebene.

Vertikalkreis, Meßinstrument, s. Theodolit.

Vertikalwinkel, s. Scheitelwinkel.

Vertonungen, auf den Seekarten gewöhnlich am Rand zur bildlichen Darstellung gebrachte Teile von Küstenstrecken, Inseln und Ufern weiter Flußmündungen oder Buchten, wie sich diese von See aus präsentieren oder vertonen. Außer dem Profil der betreffenden Küste enthalten sie die sich scharf markierenden Punkte derselben, wie Leuchttürme, Baken, Kirchtürme, Felsspitzen, bewaldete Partien u. dgl.

Vertot d'Auboeuf (spr. wertoh doböff), René Aubert de, franz. Geschichtschreiber, geb. 25. Nov. 1655 auf dem Schloß Benetot in der Normandie, trat in den Kapuziner-, dann in den Prämonstratenserorden, ward Prior, später Pfarrer bei Rouen und machte sich zuerst durch die »Histoire des révolutions de Portugal« (Par. 1680 u. 1689; deutsch, Regensb. 1688) und die lebendig erzählte »Histoire des révolutions de Suède« (Par. 1696, 2 Bde.; neue Ausg. mit dem vorigen 1844) bekannt. Seit 1701 Mitglied der Akademie der schönen Wissenschaften, ließ er sich 1703 als Sekretär der Herzogin von Orléans zu Paris nieder, wo er für die Memoiren derselben eine Menge historischer Abhandlungen schrieb. Als Ge-^[folgende Seite]