Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Volute

762

Erläuterungen.

Säulen, Kapitälen u. s. w., die häufig getreu nach römischen Vorbildern gearbeitet wurden, oft auch geradezu antiken Bauten entnommen sind. Da vermag nur genaue Kenntnis der Antike helfen, die wieder nur durch langes Studium echter Werke erlangt werden kann.

Das Schmuckwerk ahmt zwar mitunter ebenfalls antike Vorbilder getreu nach, meist werden diese aber nur frei benutzt, so daß etwas durchaus Neues entsteht, dessen Kennzeichen anmutige Schönheit, schwungvolle aber gemäßigte Linienführung, zierliche Ausgestaltung der Einzelheiten sind. Dabei wird aber die übergroße und schwere Pracht, die vielen römischen Erzeugnissen eigen ist, vermieden und große Leichtigkeit, Beweglichkeit und Zierlichkeit der Formen bewahrt.

Beispiele für die Verzierung der Kapitäle an italienischen Bauten sind Nr. 1 u. 2 in Fig. 718, von einer Säule aus dem Palazzo Scrofa in Ferrara und von einem Pfeiler des Palazzo vecchio zu Florenz, die natürlich nicht als Muster für alle übrigen Renaissancekapitäle, sondern nur als Proben der allgemeinen Art der Ausgestaltung gelten sollen. Nr. 6 zeigt eine Rechteckfüllung aus dem Palazzo vecchio zu Mantua, als Beispiel für die freie Anwendung der klassischen Blattformen.

Die deutsche Renaissance geht ihren besonderen Weg, hier überwiegen die aus den romanischen und gotischen Stilen allmählich entwickelten Formen über die antiken, die überhaupt nicht von unmittelbarem Einfluß waren. Die Kapitäle 3 u. 4 zeigen wohl die große Verschiedenheit in der Erfindung deutlich.

Noch schärfer zeigt sich diese Verschiedenheit in den Rechteckfüllungen 7 u. 8, von den Grabmälern aus der Stiftskirche in Stuttgart und der Michaelskirche in Schwäbischhall, die in mannigfaltigen Abänderungen vorkommen. Blatt und Rankenwerk sind krauser als im italienischen Renaissance-Stil, einheimische Blattformen überwiegen jene des Akanthus.

Für den deutschen Prachtbau ist die Ausgestaltung der Giebel, wie sie Nr. 9 zeigt, ein auffallendes Kennzeichen. Aus den Renaissance-Formen entwickelte sich jene des Barock und Rokoko. Das Barock wird gekennzeichnet durch die Großzügigkeit der Bewegungen und den Schwung aller Linien, bei denen das Gerade nach Möglichkeit vermieden wird. Das Schmuckhafte überwiegt sowohl im Ganzen wie im Einzelnen; alles ist zu großartiger festlicher Gesammtwirkung zusammengehalten.

Es genügt, hier die Ausgestaltung dreier Einzelheiten zu zeigen: wie 5 ein Kapitäl, 12 die Umrahmung eines Portales von einem Hause in Antwerpen und 10 ein Schmuckschild, eine sogenannte Kartusche, um das Bezeichnende erkennen zu lassen.

Das Zerflattern aller geschwungenen Linien in zahllose sich krümmende Endigungen, die bald Muscheln, bald Palmen nachgebildet erscheinen, die Vermeidung jeder Ebenmäßigkeit und Verschnörkelung aller Glieder kennzeichnen den Rokokostil, der das Festliche des Barock noch steigert, aber ganz auf dessen Großartigkeit verzichtet und sich in rein spielerischem Ausgestalten der Einzelheiten gefällt. Das Schild 11 giebt eine Probe für die Eigenart und zwar an einem immerhin noch Mäßigkeit bewahrenden Beispiele.

Volute. An einem untergeordneten Einzelgliede läßt sich die Eigenheit der Renaissance und ihrer Folgestile äußerst klar erkennen. Es ist dies die Doppel-Schneckenlinie oder Doppel-Volute, die in der antiken Zierkunst am häufigsten an Konsolen in der Fig. 719 (1)

gezeigten einfachen Form auftritt. Die italienische Renaissance behält diese Form im Allgemeinen bei (2), die deutsche Renaissance-Zierkunst bildet aber daraus eine Art Blätter-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 719. Die Entwicklung der Volute (Schneckenglied).]