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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wechselrecht; Wechselreiterei; Wechselschere

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Wechselrecht - Wechselschere.

mehr; der W. ist vielmehr nach den Bestimmungen der letztern lediglich eine Art des Urkundenprozesses (s. d.). Wechselklagen können sowohl bei dem Gericht des Zahlungsortes als auch bei dem Gericht angestellt werden, bei welchem der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Die Wechselklage muß die ausdrückliche Erklärung enthalten, daß im W. geklagt werde. Die Einlassungsfrist ist im W. eine sehr kurze. Ihr Mindestbetrag ist 24 Stunden, wenn die Klage am Sitz des Gerichts, mindestens drei Tage, wenn sie an einem andern Orte des Gerichtsbezirks, mindestens eine Woche, wenn sie außerhalb des Gerichtsbezirks, aber im Deutschen Reich zugestellt wird. Die im W. erteilten Erkenntnisse sind sofort und vor eingetretener Rechtskraft vorläufig vollstreckbar. Besonders wichtig ist ferner für den W. die Bestimmung der allgemeinen deutschen Wechselordnung (Art. 82), daß sich der Wechselschuldner der Wechselklage gegenüber nur solcher Einreden bedienen kann, welche aus dem Wechselrecht selbst hervorgehen oder ihm unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger zustehen (sogen. materielle Wechselstrenge). Dagegen ist das eigentümliche Exekutionsmittel der persönlichen Schuldhaft, des Wechselarrestes (sogen. formelle Wechselstrenge), welches früher gebräuchlich war, beseitigt. Auch in Österreich (Gesetz vom 4. Mai 1868) ist der Personalarrest wegen Wechselschuld aufgehoben. Vgl. Deutsche Zivilprozeßordnung, § 555 bis 567.

Wechselrecht (Kambialrecht, Jus cambiale), der Inbegriff der auf Wechselgeschäfte bezüglichen gesetzlichen Vorschriften. Die meisten Staaten haben jetzt in ihren Wechselordnungen ausführliche Zusammenstellungen der auf das W. bezüglichen Gesetzesvorschriften. Die ersten gesetzlichen Bestimmungen über das W. trafen die Lombarden und Venezianer. Brügge und Antwerpen folgten in Aufstellung von Wechselordnungen, dann die Hanse- und andre Handelsstädte Deutschlands: Hamburg, Lübeck, Bremen, Augsburg, Frankfurt, Leipzig, Breslau, Köln etc. Doch ging in allen wechselrechtlichen Verhältnissen der Gebrauch (die Usance) der Gesetzgebung voraus. Frankreich hatte schon in der Ordonnance pour le commerce von 1673 ein ausführliches Wechselgesetz, an dessen Stelle dann der Code de commerce Napoleons von 1808 trat, welcher in Art. 110-189 das W. behandelt. In Deutschland fehlte es lange an einer allgemeinen Gesetzgebung, bis seit 1849 die allgemeine deutsche Wechselordnung, 1847 in Leipzig beraten, in Kraft getreten ist. Vervollständigt wurde dieselbe durch die sogen. Nürnberger Novellen von 1857. Beide Gesetze sind nunmehr zu deutschen Reichsgesetzen erhoben, gelten aber auch in den cisleithanischen Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das norddeutsche Bundesgesetz vom 10. Juni 1869 über die Einführung einer Wechselstempelsteuer ist jetzt ebenfalls Reichsgesetz (s. Wechsel, S. 461). Die schwedische, finnische und serbische Wechselordnung und die Wechselordnungen verschiedener Schweizer Kantone schließen sich dem deutschen W. an, während verschiedene Kantone der Westschweiz, Belgien, Holland, Italien, Polen, die Türkei und Ägypten, Griechenland, Rumänien, Spanien, Portugal, Brasilien, Haïti, Domingo und Mexiko ihre Wechselgesetze im wesentlichen dem Code de commerce entnommen haben. In Rußland gilt eine besondere Wechselordnung von 1832, ergänzt durch Verordnung von 1862. In England und Nordamerika beschränkte sich die das W. betreffende Gesetzgebung auf wenige Vorschriften und überließ das Wechselinstitut dem Gebrauch der Kaufleute, daher auch in jenen Ländern das W. weit mehr dem Bedürfnis gemäß sich ausgebildet hat. Ein englisches Gesetz von 1882 (Bill of Exchange Act) hat jedoch inzwischen das englische mit dem schottischen W. in Einklang gebracht und eine Reihe von Förmlichkeiten beseitigt, welche mit Kosten und Weiterungen verknüpft waren und mit dem Zweck des Wechsels in Widerspruch standen. Dagegen fehlt es in Nordamerika noch immer an einer Kodifikation des Wechselrechts. Gemeinsam ist den sämtlichen Gesetzen über W. die Rechtsanschauung, daß der Wechsel ein kaufmännisches Papiergeld ist, dessen Inhaber nicht zu besorgen hat, daß ihm die bei andern Urkunden über Forderungen anwendbaren, die Realisierung des Rechts erschwerenden Einwendungen entgegengesetzt werden können; daß das auf den schnellsten Verkehr und Umsatz berechnete Papier leicht auf andre übertragen und vermöge dieser Übertragung das Geld, auch solange der Wechsel noch nicht verfallen ist, von andern erhoben werden kann, und daß der Inhaber nicht bloß den Aussteller des Wechsels, sondern auch jeden, welcher in den Wechselnexus, z. B. als Girat, eintrat, zum Wechselschuldner in der Art hat, daß er beliebig gegen einen jeden von diesen klagen kann, wenn der Wechsel nicht bezahlt wird (s. Wechsel, S. 461). Die formelle Kraft des Wechsels bezieht sich auf den Wechselprozeß (s. d.), welcher wegen seiner Schnelligkeit die rasche Rechtsverfolgung sichert. Die Verschiedenheiten zwischen den Wechselgesetzgebungen der verschiedenen Länder sind jedenfalls nicht so groß, daß der wiederholt geltend gemachte Gedanke eines internationalen Wechselrechts, d. h. einer gemeinsamen Wechselordnung für die europäischen Staaten und für Nordamerika, ein unausführbarer sein sollte. Vgl. Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Wechselrechts (3. Aufl., Gieß. 1868); Wächter, Das Wechselrecht des Deutschen Reichs (mit Berücksichtigung der neuen ausländischen Gesetzgebungen, Stuttg. 1883); Kommentare zur deutschen Wechselordnung von Borchardt (unter Berücksichtigung der Entscheidungen der deutschen und österreichischen Gerichtshöfe, 8. Aufl., Berl. 1883; kleine Ausg., 5. Aufl., das. 1886), Brentano (10. Aufl., Nürnb. 1880), Kowalzig (3. Aufl., Berl. 1882) u. a.; Kuntze und Brachmann in Endemanns »Handbuch des Handelsrechts« (Bd. 4, Leipz. 1884); Lehmann, Lehrbuch des deutschen Wechselrechts (Stuttg. 1886); Gaupp, Das deutsche Wechselstempelsteuergesetz (4. Aufl., Berl. 1886); Borchardt, Vollständige Sammlung der geltenden Wechsel- und Handelsgesetze aller Länder (das. 1871, 2 Bde.; Fortsetzung 1883); Wächter, Encyklopädie des Wechselrechts (Stuttg. 1879); v. Canstein, Das W. Österreichs (Berl. 1889); Marghieri, La cambiale (Neap. 1883); Heinsheimer, Die englische Wechselordnung vom Jahr 1882 (Stuttg. 1882).

Wechselreiterei, jeder unter der Form und dem Schein eines wirklichen Wechselgeschäfts (durch sogen. Reitwechsel) betriebene falsche Wechselhandel; im eigentlichen Sinn die Art von Wechselgeschäften, welche, vom Trassanten verdeckt, meist durch sogen. Kellerwechsel (s. d.) unternommen werden, um so bares Geld in die Hand zu bekommen, dann wieder auf andre Wechsel zu ziehen und mit dem erhaltenen baren Geld jene selbst zu bezahlen. Oftmals wird die W. auch von mehreren miteinander einverstandenen Personen in der Weise betrieben, daß die eine ihr Accept beim Verfall des Wechsels mit dem Accept der andern deckt.

Wechselschere (Rutschschere), s. Erdbohrer, S. 741.