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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zentralismus; Zentralist; Zentrallandschaft; Zentralorgan; Zentralprovinzen

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Zentralismus - Zentralprovinzen.

welchem die gesamte Staatsthätigkeit von einem Haupt ausgeht, welches von einer Stelle aus das Ganze wie das Einzelne leitet, während die Dezentralisation für die einzelnen Glieder und Teile des Staatsganzen eine möglichste Selbständigkeit in Anspruch nimmt. Die Z. ist wesentlich das System der absoluten Monarchie; sie gipfelt in dem bekannten Ausspruch, welchen man dem König Ludwig XIV. von Frankreich in den Mund legt: »Der Staat bin ich«. Auch unter Napoleon III. war das Zentralisationssystem in Frankreich möglichst ausgebildet. Die konstitutionelle Monarchie ist dem Dezentralisationssystem günstiger; doch besteht bei einer zu weit gehenden Dezentralisation die Gefahr, daß die Staatseinheit zerbröckelt und die Macht des Staats geschwächt wird. In einem zusammengesetzten Staatswesen, wie in dem Deutschen Reich, stellt der Gesamtstaat mit seiner Zentralgewalt die Z. dar, während das Fortbestehen der Einzelstaaten mit einer gewissen Selbständigkeit eine Dezentralisation bedeutet. Dezentralisationsbestrebungen in diesem Sinn decken sich mit dem Partikularismus, während das Streben nach möglichster Z. als Zentralismus bezeichnet wird. Der Gegensatz zwischen Z. und Dezentralisation kehrt aber auch in den einzelnen Zweigen der Staatsthätigkeit wieder, und die viel erörterte Frage, welchem von beiden Systemen der Vorzug zu geben sei, läßt sich schon mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit der Funktionen der Staatsgewalt nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Ein gesundes Staatsleben wird vielmehr gerade durch die Wechselwirkung zwischen beiden Grundsätzen und durch eine harmonische Verbindung beider Systeme bedingt sein. So wird gewiß auf dem Gebiet der Gesetzgebung das Verlangen nach Z. (»Gleichheit vor dem Gesetz«) nicht mit Unrecht ausgesprochen. Die Zerrissenheit der deutschen Gesetzgebung, welche jetzt im neuen Reich mühsam beseitigt wird, ist auf die frühere Dezentralisation zurückzuführen, welche womöglich für jedes Territorium, für jeden Landesteil, für jede Genossenschaft, für jede Stadt und für jedes Dorf ein Sonderrecht schuf. Gleichwohl darf aber auch das Prinzip der gesetzgeberischen Uniformität nicht auf die Spitze getrieben werden. Denn es gibt Stammeseigentümlichkeiten, geographische Eigenartigkeiten, lokale Lebensverhältnisse und Lebensbedürfnisse einzelner Bevölkerungsklassen, welche besondere Berücksichtigung verdienen. Darum ist neben der Einheitlichkeit der Gesetzgebung im großen doch eine gewisse Autonomie (s. d.) im einzelnen nicht zu verwerfen. Dagegen ist in der auswärtigen Politik möglichste Z. erforderlich. Die Leitung der Staatsangelegenheiten, insofern sie sich auf den Verkehr mit fremden Staaten beziehen, muß eine einheitliche sein. Dasselbe gilt von der Militärverwaltung. Es erhöht die gesamte Streitkraft des Landes, wenn die einzelnen Streitkräfte möglichst in einer Hand konzentriert sind; wenn auch eine Dezentralisation bei der Zusammensetzung der einzelnen Heereskörper der Natur der Sache nach unvermeidlich und notwendig ist. Vorzugsweise ist es aber das Gebiet der innern Verwaltung (s. d.), welches der Dezentralisation ein geeignetes Feld darbietet. Es ist jedoch nicht richtig, die Selbstverwaltung (s. d.) einfach als die Dezentralisation der Verwaltung hinzustellen, denn auch in der Staatsverwaltung kann dezentralisiert werden. Richtig ist es aber, daß die Selbstverwaltung für die Dezentralisation, die Staatsverwaltung für die Z. ein günstigeres Feld ist. Vgl. Kreisverfassung und Provinzialverfassung.

Zentralismus, das System der Zentralisation (s. d.), auch das Streben nach Zentralisation; daher Zentralist, der Anhänger einer politischen Richtung, deren Bestrebungen zentraler Art sind. In zusammengesetzten Staaten bezeichnet man denjenigen als Zentralisten, welcher zwar nicht den Einheitsstaat anstrebt (Unitarier), wohl aber die Selbständigkeit der Einzelstaaten im Interesse des Gesamtstaats thunlichst beschränkt wissen will. Der Gegensatz zum Z. in diesem Sinn ist der Föderalismus. Auch werden die Föderalisten als Partikularisten bezeichnet.

Zentralist, s. Zentralismus.

Zentrallandschaft, s. Landschaften, S. 466.

Zentralorgan (lat.-griech.), Organ des animalischen Körpers, welches für andre von gleicher Funktion der Hauptteil ist, wie das Herz für das Gefäßsystem, Gehirn und Rückenmark für das Nervensystem.

Zentralprovinzen (Central Provinces, s. Karte »Ostindien«), Provinz des britisch-ind. Kaiserreichs, zwischen 17° 50'-24° 27' nördl. Br. und 76-85° 15' östl. L. v. Gr., begrenzt von Bengalen, den Zentralprovinzen, Madras, Berar und Haidarabad, 218,704 qkm (3972 QM.) groß mit (1881) 9,838,791 Einw., wozu noch 15 Tributärstaaten mit einem Areal von 74,677 qkm (1356 QM.) und 1,709,720 Einw., so daß das Gesamtareal 293,381 qkm (5328 QM.), die Gesamtbevölkerung 11,548,511 Seelen beträgt. Das bedeutendste Gebirge der Provinz ist die Satpurakette, die südlich der Narbada von O. nach W. zieht und bis zu 1200 m sich erhebt; östlich schließen sich an die Gondwanaplateaus, deren Knotenpunkt, der Amarkantak (1094 m hoch), zugleich die Hauptwasserscheide für Zentralindien bildet. Ausläufer der Windhyakette durchziehen den nördlichen Teil der Provinz und erreichen hier noch Höhen von 900 m. Die Plateaus und insbesondere die Thäler sind vom fruchtbarsten Boden bedeckt; sehr häufig sind die Schichten der für die Kultur überaus wichtigen »schwarzen Erde« (s. Dekhan). Die bedeutendsten Flüsse sind die Narbada, welche im NW. die Grenze bildet, die Mahanadi, welche ostwärts abfließt, und die Godaweri, welche mit Pranhita und Warana die Z. von Berar und Haidarabad scheiden. Die Hochwaldungen sind zum großen Teil durch Brennkultur zerstört worden, das Areal des unkultivierten Landes (⅔ der Gesamtoberfläche) ist zumeist von Dschangeln bedeckt und erzeugt wenig Nutzholz, in neuester Zeit hat das Forstdepartement Schritte zur Erhaltung und Ergänzung des Waldbestandes gethan. Kohle findet man an vielen Orten, leider von geringer Qualität, die einzige wichtige Kohlengrube ist die von Warora südlich von Nagpur, welche jährlich an 90,000 Ton. liefert. Auch der Reichtum an Eisenerzen ist sehr bedeutend und vielversprechend. Das Klima hat drei verschiedene Perioden: eine kühle, eine heiße und eine Regenperiode von Juni bis September, in der Regel sind die Niederschläge reichlich, aber da der Abfluß schnell erfolgt, so folgt auf einen schwachen Regenfall beinahe sicher Hungersnot. Unter Kultur sind etwa 6 Mill. Hektar, wovon 85 Proz. mit Brotkorn (Reis, Weizen u. a.) bestellt sind; sonst werden gebaut: Baumwolle, Ölsaaten, Tabak. Die Verteilung des Landes ist eine ziemlich billige, Zeitpacht ist nicht üblich, die Erbpachter zahlen eine mäßige Pacht, die Verhältnisse der zahlreichen Aftereigentümer ihren Oberherren gegenüber sind befriedigend geregelt. Die Viehzucht richtet sich zumeist auf Rinder und Büffel (1883: 5,356,477 Stück), nächstdem auf Schafe, Ziegen und Pferde; Elefanten, die hier noch wild vorkommen, werden in geringer Zahl eingefangen und