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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Zwangskassen; Zwangskurs; Zwangspaß; Zwangsschienen; Zwangs- und Bannrechte; Zwangsvergleich

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Zwangskassen – Zwangsvergleich

Doppelte übertreffenden, nach vorn sich verengenden Ärmeln, bestimmt zur Beschränkung der Armbewegungen heftig um sich schlagender oder ihren eigenen Körper verletzender Geisteskranker. Die Arme werden bei der Anlegung über die Brust gekreuzt und die freien Enden der Ärmel über dem Rücken zusammengeknotet. Die Z. wurde gegen Ende des 18. Jahrh. durch den ältern Pinel in die Psychiatrie eingeführt an Stelle der Ketten, die damals zur Unschädlichmachung aufgeregter Geisteskranker dienten. Gegenwärtig wird die Z. in den bessern Irrenanstalten entweder gar nicht oder nur ausnahmsweise angewandt.

Zwangskassen, die Organisationen der Arbeiterversicherung (s. d.), die auf der Grundlage des Versicherungszwangs beruhen, dergestalt, daß gewisse Kategorien von Arbeitern durch Gesetz, Herkommen, Ortsstatut, Arbeitsvertrag oder anderweit zum Beitritt verpflichtet werden. In gewissem Sinne lassen sich also auch die mittelalterlichen Gesellenkassen als Z. bezeichnen. Auch nach Einführung der Gewerbefreiheit blieben diese Z. in einzelnen deutschen Staaten in gewissem Umfange aufrecht erhalten. Insbesondere hatte die preußische Gewerbegesetzgebung von 1845, 1849 und 1854 den Gemeinden die Befugnis gegeben, durch Ortsstatut nicht nur den Beitritt zu den vorhandenen Gesellenkassen obligatorisch zu machen, sondern auch die Bildung neuer Kassen, und zwar sowohl Gesellen- wie Fabrikkassen, für einzelne Betriebe anzuordnen und die Arbeitgeber zu Zuschüssen und zur vorschußweisen Entrichtung der Beiträge zu verpflichten. Eine zweite und dritte Kategorie von Z. bildeten die in dem preuß. Berggesetz von 1865 einheitlich geregelten Knappschaftskassen (s. d.) und die für die Eisenbahnarbeiter errichteten Hilfskassen, beide nicht wie die vorige auf Kranken- und Begräbnishilfe beschränkt, sondern meist auch der Invaliden-, Witwen- und Waisenversorgung gewidmet. In andern Staaten, z. B. in Sachsen, hatte man zwar Kassenzwang, aber keine Z., d. h. die gewerblichen Arbeiter mußten sich gegen Krankheit und Sterbefall versichern, genügten aber dieser Pflicht durch den Beitritt zu freien Kassen, und nur soweit diese dem vorhandenen Bedürfnisse nicht genügten, sollte die Obrigkeit Z. und Zuschüsse gewähren. In einigen süddeutschen Staaten hingegen waren die Gemeinden gehalten, erkrankten Dienstboten und Arbeitern Krankenhilfe zu gewähren, und dafür berechtigt, eine Art Krankensteuer von denselben oder ihren Arbeitgebern zu erheben. Alle diese Einrichtungen wurden durch die Reichsgewerbeordnung von 1869 und durch das Hilfskassengesetz von 1876 aufrecht erhalten, jedoch mit der Maßgabe, daß die Mitgliedschaft bei einer freien, insbesondere einer «eingeschriebenen» freien Hilfskasse von dem Beitritt zu einer Zwangskasse befreite. Andererseits mußte bei den vorhandenen Z. die Umwandlung in «eingeschriebene» bis spätestens Ende 1884 bewirkt sein. Endlich schuf die besondere, den «eingeschriebenen» gleichgestellte Innungskassen für das bei Innungsmeistern beschäftigte Personal. Die durch das Krankenversicherungsgesetz (s. d.) geschaffene Organisation beruht auf einer Kombination von Z. und freien Hilfskassen (s. d.). Die Mitgliedschaft bei den letztern befreit unter gewissen Voraussetzungen von der Zugehörigkeit zu jenen, die im übrigen dem Gesetze gemäß als notwendige Folge der versicherungspflichtigen Beschäftigung eintritt. Die beiden Hauptformen der Z. sind die Ortskrankenkasse (s. d.) und die Betriebskrankenkasse oder Fabrikkrankenkasse (s. Fabrikkassen), von der die Baukrankenkasse eine Abart ist. Das Verhältnis der Z. zu einander ist dergestalt geregelt, daß niemand gleichzeitig mehrern Z. angehören darf; auch nicht etwa der einen als Pflichtmitglied, der andern freiwillig. Ist für einen Betrieb eine Betriebs- oder Baukrankenkasse errichtet, so gehören die in ihm beschäftigten Personen lediglich dieser Kasse an; besteht für eine Innung nach Maßgabe der Vorschriften der Gewerbeordnung eine Innungskrankenkasse, so umfaßt diese sämtliche von Innungsmitgliedern in deren Gewerbebetrieb beschäftigten Personen; die Mitgliedschaft bei den Knappschaftskassen bestimmt sich nach den Vorschriften der Berggesetze; alle diejenigen, welche vermöge ihrer Beschäftigung keiner der eben genannten Kassen angehören, fallen der Ortskrankenkasse zu; ganz subsidiär tritt die Gemeindekrankenversicherung (s. Gemeindeversicherung) ein. (Vgl. §§. 59, 69, 73, 74, 19 u. 4 des Krankenversicherungsgesetzes.)

Zwangskurs (frz. cours forcé), der Kurs, den ein Kreditgeld (Staatspapiergeld, Banknoten) dann hat, wenn es zum gesetzlichen Zahlungsmittel erhoben, seine Einlösung gegen Metallgeld aber suspendiert ist. Vom Z. zu unterscheiden ist der Fall, daß das Papiergeld zwar die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels hat (cours légal, legal tender), aber jederzeit vom Aussteller gegen das gesetzliche Währungsmetall eingelöst werden muß, wie z. B. die Noten der Englischen Bank. Für die deutschen Reichskassenscheine besteht eine Annahmepflicht im privaten Verkehre nicht. (S. Papiergeld.)

Zwangspaß, s. Paß

Zwangsschienen, s. Eisenbahnbau.

Zwangs- und Bannrechte, s. Bannrechte.

Zwangsvergleich, ein von dem Gemeinschuldner (s. d.) vorgeschlagenes, wenigstens von der Mehrheit der nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger (s. d.) angenommenes, vom Konkursgericht genehmigtes Abkommen, welches eine teilweise Befriedigung der Gläubiger und den zwangsweisen Erlaß des Restes oder auch die zwangsweise Stundung des nicht zur alsbaldigen Befriedigung gelangenden Teils der Forderung auch der nichtzustimmenden Gläubiger und Aufhebung des Konkurses erzielt. Ein Z. findet nach der Deutschen Konkursordnung im Konkurs über das Vermögen einer eingetragenen Genossenschaft nicht statt. (S. Genossenschaft [im Konkurs].) Besondere Vorschriften gelten noch für den Konkurs von Offenen Handelsgesellschaften (s. d.), Kommanditgesellschaften (s. d.) und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie für den Nachlaßkonkurs. (S. Konkursverfahren.) Die bevorrechtigten Konkursgläubiger werden durch einen Z. ebensowenig wie die Absonderungsberechtigten und Massegläubiger (s. d.) berührt, müssen vielmehr vollständig befriedigt oder, falls ihre Forderungen noch nicht festgestellt sind, wenigstens sichergestellt werden. Dagegen ist der Z. für und gegen alle übrigen Konkursgläubiger wirksam, auch wenn dieselben nicht an der Beschlußfassung, ja nicht einmal am Konkursverfahren teilgenommen haben. Die Rechte der Gläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Gemeinschuldners bleiben unberührt. Der Z. setzt einen Vorschlag des Gemeinschuldners voraus und kann nur in der Zeit zwischen dem allgemeinen Prüfungstermin und der Vornahme der