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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ägypten

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Ägypten (alte Kultur, Mythologie etc.).

gott von This wäre, von wo die Gründung des alten Reichs von Memphis ausgegangen sein soll.

Im höchsten Grad seltsam und ohnegleichen ist aber der ägyptische Tierdienst. Einige Tierarten, Stier, Hund, Katze, Ibis, Storch und einige Fische, wurden allgemein, andre, wie Widder, Wolf, Löwe, Spitzmaus, Adler, Krokodil, Ichneumon, nur in einzelnen Bezirken verehrt; ja, manche, die hier angebetet wurden, waren dort ein Gegenstand des Abscheus. Wer ein heiliges Tier mit Vorsatz tötete, war des Todes schuldig; wenn es unvorsätzlich geschah, konnte er sich mit einer Geldstrafe lösen. Wer aber eine Katze oder einen Ibis umbrachte, hatte jedenfalls das Leben verwirkt. Wenn jemand ein heiliges Tier tot erblickte, so blieb er in der Ferne stehen, schrie, wehklagte und beteuerte, daß er es tot gefunden habe. Noch Diodor erzählt, daß ein Römer, welcher eine Katze umgebracht hatte, die Todesstrafe erleiden mußte und zwar zu einer Zeit, da des Landes Schicksal in Roms Händen war. Bei einer Feuersbrunst, erzählt Herodot, trugen die Ägypter weit mehr Sorge für die Rettung der Katzen als für die Löschung des Brandes, und wenn eine Katze sich in die Flammen stürzte, wurde große Wehklage erhoben. Starb in einem Haus eine Katze, so schoren sich alle Bewohner desselben die Augenbrauen ab; starb ein Hund, so schor man sich den ganzen Leib und den Kopf kahl. Man balsamierte die heiligen Tiere ein und setzte sie in eignen Gräbern bei. So gab es in Bubastis einen Katzenfriedhof, dessen Stätte man bei dem heutigen Zagâzîg noch deutlich wieder erkannt hat. Gewisse Tierindividuen hielt man auch in heiligen Höfen, badete, salbte, fütterte und schmückte sie mit großem Aufwand und hielt ihnen besondere Wärter, die in hohen Ehren standen. Von dem Tierdienst scheint die Götterverehrung der Ägypter ausgegangen zu sein; einige blieben einzelnen Göttern heilig, so daß sie selbst mit ihnen wechseln, wie Sperber und Horos, Schakal und Anubis, Ibis und Thoth. So hat sich aus dem Fetischismus der Polytheismus entwickelt. Wenn die Göttergestalten teilweise aus Menschen- und Tierleib zusammengesetzt sind, so beruht das nur auf sogen. Hieroglyphismus. Der Gott wird durch diese Form erkennbar und benennbar; Götterdarstellungen sind aus der ältern Zeit bei den Ägyptern überhaupt nicht nachzuweisen. Daß in dem Apis eigentlich Osiris verehrt wurde, sagen die Alten ausdrücklich; die Seele dieses Gottes sollte in dem Stier wohnen und nach dem Tode desselben in den Nachfolger übergehen. Diese Vorstellung hängt mit dem Glauben an Seelenwanderung zusammen, welcher einen uralten Zusammenhang zwischen Ägyptern und Indern vermuten läßt. Nach Herodot glaubten die Ägypter, die Seele des Menschen wandere nach dem Tode des Leibes durch alle Tiere des Landes und des Meers und durch alle Vögel und kehre nach 3000 Jahren in einen Menschenleib zurück. Besser als über diesen Glauben werden wir durch die ägyptischen Schriften über das Totenreich, Amenthes oder Amente, belehrt, wo Osiris herrscht und die Toten richtet. Ein solches Gericht findet sich in Exemplaren des "Totenbuchs" öfters bildlich dargestellt: vor dem auf einem Thron sitzenden Osiris werden von dazu bestellten Göttern die Thaten des Hingeschiedenen, die durch das Symbol des Herzens bezeichnet werden, förmlich gewogen. Nach Diodor fand schon auf der Oberwelt ein solches Gericht statt, welches dem schlechten Wandels schuldig befundenen Verstorbenen eine feierliche Bestattung absprach und selbst über Könige aburteilte, denen das ein Antrieb zu gerechter Regierung gewesen sein soll. Denn die Versagung feierlicher Bestattung mußte gerade in Ä. den größten Eindruck machen. Sorgfältigst balsamierte man die Leichname zu Mumien (s. d.) ein, um sie der Verwesung zu entziehen, legte sie dann in mitunter doppelte oder dreifache Särge von Sykomorenholz und diese zuweilen noch in Granitsarkophage, die mit Inschriften und Darstellungen versehen waren, und stellte sie so in den Grabkammern, bisweilen aufrecht, hin. Über die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod gibt das "Totenbuch" die beste Auskunft; es umfaßt alles, was dem Verstorbenen in der andern Welt zu wissen nötig war. Noch ältere Vorstellungen enthalten die schwierigen Texte, welche man neuerdings in einigen Pyramiden gefunden hat. Vgl. Pierret, Essai sur la mythologie égyptienne (Par. 1879); Derselbe, Le Panthéon égyptien (das. 1881); Lanzone, Mitologia egiziana (Tur. 1882); Renouf, Vorlesungen über Ursprung und Entwickelung der Religion der alten Ägypter (a. d. Engl., Leipz. 1881); Lieblein, Egyptian religion (Lond. 1884); Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Leipz. 1884).

Zeitrechnung, Schrifttum.

Wie hiernach von den religiösen Lehren der Priester vieles dunkel bleibt, so haben wir auch über ihre wissenschaftlichen Kenntnisse bei dem Mangel einer Volkslitteratur keine größere Klarheit. Der Gott der geistigen Gaben und Leistungen war Thoth (Taut), der griechische Hermes, der Erfinder der Zahlen, der Rechenkunst, der Meß- und Sternkunde sowie der Buchstaben. Er soll zuerst Geometrie und Astronomie gelehrt haben, womit sich die ägyptischen Priester, durch die Natur des Landes veranlaßt, emsig beschäftigten; denn die jährlich wiederkehrende Nilanschwellung leitete auf Versuche sowohl in der Feldmeßkunst, um die Grenzmarken der Äcker festzustellen, als im Kalenderwesen, wozu Beobachtung der Gestirne notwendig ist. Das Jahr der Ägypter bestand aus 12 dreißigtägigen Monaten und 5 Schalttagen. Es war demnach ein sogen. wanderndes Sonnenjahr, dessen Anfang, weil der fast einen Viertelstag betragende Unterschied zwischen seiner Dauer und der des wirklichen Erdumlaufs um die Sonne dabei übersehen wird, allmählich durch alle Jahreszeiten wandert. Mit dem julianischen Jahr von 365¼ Tagen verglichen, beträgt der Unterschied nach 1460 Jahren ein volles Jahr, so daß der Anfang des ägyptischen Jahrs nach diesem Zeitverlauf mit dem des julianischen wieder zusammenfällt. Bestimmten Zeugnissen der Alten zufolge war den Ägyptern diese große Periode, die Hundsstern- oder Sothisperiode, bekannt, sie müssen also den Mehrbetrag von einem Vierteltag berechnet und gekannt haben. Über das Verhältnis des festen zu dem gebräuchlichen beweglichen Jahr sind eingehende Untersuchungen geführt worden, die aber vollständig gesicherte Ergebnisse noch nicht gehabt haben. Von einer weitern Entwickelung der seit uralter Zeit vorhandenen astronomischen Kenntnisse und Vorstellungen ist nichts zu finden. Die Ägypter blieben auf der einmal erreichten Stufe der Bildung stehen, und ihr gesamtes Wissen und Können beharrte in der festen Form und Regel, die es einmal angenommen hatte.

Wenn sich die Ägypter der Erfindung der Buchstabenschrift rühmten und der Mythus dieselbe dem Gotte Thoth zuschrieb, so dürfen wir ihnen