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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ägypten

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Ägypten (Geschichte: Altertum).

Fragmente verloren. Erhalten sind davon bloße Namensverzeichnisse von 31 Königsreihen oder Dynastien mit Angabe ihrer Regierungsdauer, und auch diese sind erst von zwei spätern Schriftstellern mit so erheblichen Abweichungen in Namen und Zahlen aufgezeichnet, daß sie keine sichere Grundlage für die Chronologie abgeben können. Auch die ägyptischen Königslisten, von denen uns Bruchstücke im Papyrus von Turin erhalten sind, vermögen die Lücken nicht auszufüllen und lassen sich mit den Namen und Angaben der Inschriften, so wertvoll diese auch sind, nicht immer in Einklang bringen. Und selbst dies beiseite gelassen, walten über den chronologischen Anfangspunkt der ägyptischen Geschichte verschiedene Ansichten ob, je nachdem man mit Böckh die von Manetho verzeichneten Dynastien als hintereinander fortlaufende annimmt oder mit Lepsius sie zum Teil gleichzeitig in geteilten Reichen regieren läßt. In ersterm Fall ergibt sich als erstes Jahr des ältesten Königs, Menes, 5702 v. Chr., in letzterm bald 3643, bald 3892. Andre (Duncker) setzen die durch den Namen Menes bezeichneten Anfänge der ägyptischen Kultur erst in die Zeit um 3000. Nach der Meinung der Ägypter ging den menschlichen Dynastien eine Götterregierung in drei Dynastien vorher. Die erste bestand aus ihren 7 obersten Göttern, dem höchsten Nationalgott, dem Ra oder Sonnengott, und der Götterfamilie des Osiris, des Lokalgottes ihrer ältesten Königsresidenz, This in Oberägypten. Auf diese folgte eine zweite Dynastie von 12 Göttern, an deren Spitze der Mondgott Thoth stand, und endlich eine dritte aus 30 Halbgöttern. Zwischen dem Ende der Götterherrschaft und ihrem ersten geschichtlichen König, Menes, nahmen die Ägypter noch eine vorhistorische Dynastie sogen. Manes (Nekyes) an, deren Königssitz in This, der Vaterstadt des Menes, war.

Die Zeit der Pharaonen.

Soweit unsre Kunde hinaufreicht, war Ä. wie die Küste von Nordafrika von Völkern weißer Rasse bewohnt, deren Sprachen dem semitischen Sprachstamm verwandt waren. Durch die vorteilhaften geographischen Verhältnisse des Landes (s. o.) wurden die Ägypter früh zur Entwickelung einer Kultur und zu politischen Organisationen angeregt. Menes ist der erste geschichtliche König (Pharao). Er stammte aus This und gründete an einer günstig gelegenen Stelle des Nilthals Memphis, nachdem er das Land dazu durch Abdämmung des Nils gegen Osten gewonnen hatte. Menes' Sohn Athotis gründete die Königsburg von Memphis. Dessen zweiter Nachfolger, Ünephes, erbaute die ersten Pyramiden (Königsgräber) auf dem Plateau von Dahschur. Seinem Beispiel folgten fortan alle Könige von Memphis. Die Erbauer der drei größten erhaltenen Pyramiden heißen in den Inschriften Chufu (griech. Cheops), Chafra (Chephren) und Menkera (Mykerinos), alle drei Könige der 4. Dynastie. Der zweite erbaute auch einen Tempel des Horos, dessen kolossales Sphinxbild nebst einigen Tempelresten erhalten ist. Der Gebrauch nicht bloß der hieroglyphischen, sondern auch der hieratischen Schriftzeichen in der Pyramide des Chufu und den umgebenden Gräbern, die Bilder des häuslichen und wirtschaftlichen Lebens in denselben zeigen uns ebenso wie die kunstvolle Bauart, der strenge, edle Stil, die gefälligen Ornamente ein seit langem bestehendes und hochentwickeltes Kulturleben.

Unter dem Geschlecht eines Königs Pepi (der 6. Dynastie) ward der Mittelpunkt des Reichs von Memphis nach Mittelägypten, unter einem spätern Königshaus (der 12. Dynastie) nach Theben in Oberägypten verlegt. Der erste König dieses Hauses, welches als "Herren der beiden Länder" über Ober- und Unterägypten gebot, ist Amenemha I. (2380-71), von dem eine kolossale Bildsäule aus rotem Granit in Tanis (San) in Unterägypten aufgefunden wurde. Er unterwarf auch einen Teil Nubiens. Sein Nachfolger Usertesen (Sesortosis) I. (2371-25) erbaute dem Gott Ammon in Theben einen Tempel und errichtete in Unterägypten mehrere Obelisken, von denen der in Heliopolis der älteste uns erhaltene Obelisk ist. Er wie seine Nachfolger Amenemha II. und Usertesen III. setzten die Eroberungszüge in Nubien mit Erfolg fort, und Usertesen III. vollendete die Unterwerfung des untern Nubien. Amenemha III. (2221-2179) machte sich besonders berühmt durch die Anlage des Sees Möris in der Oase Fayûm, welcher dazu bestimmt war, durch Ableitung eines Teils der Wassermenge die Überschwemmung des Nils zu regulieren, den Abfluß des Wassers zu verzögern und die höher gelegnen Acker zu bewässern. Inschriften in Nubien an den Felswänden des Nils, welche die Höhe der Überschwemmung unter Amenemha bezeichnen, sind ein Zeugnis, wie die Überschwemmungsfrage studiert wurde. Am See Möris erbaute er eine Pyramide und einen großen Reichstempel (das Labyrinth), in welchem alle Bezirke Ober- und Unterägyptens ihre Gottheiten in besondern Tempeln und Höfen verehren konnten. Diese Anlagen sowie die bildlichen Darstellungen in den Felsengräbern von Beni Hassam, Berscheh und Siut beweisen, daß Ä. damals einen hohen Kulturstand erreicht hatte, Ackerbau und Gewerbe blühten und das Volk in Wohlstand lebte.

Bald nach Amenemhas Tod wurde das Reich seiner Macht plötzlich beraubt. Ein bei Josephus erhaltenes Fragment des Manetho berichtet, daß zur Zeit des ägyptischen Königs Amyntimäos um 2100 von Osten her ein fremdes Volk in Ä. eingebrochen sei, das Land ohne Kampf unterworfen, die Einwohner getötet oder zu Sklaven gemacht, die Städte verbrannt und die Göttertempel zerstört habe. Diese Eroberer führten den Namen Hyksos (Hakuschasu, Hirtenkönige), und eine Reihe von Herrschern aus ihrer Mitte regierte in Ä. etwa 500 Jahre. Die Hyksos waren vermutlich semitische Stämme. Von der ersten Verwüstung abgesehen, blieb das alte Ä. auch unter den Hyksos in Sprache und Zivilisation unversehrt; ja, diese lebten sich allmählich in die Sitten und Gewohnheiten des von ihnen unterjochten gebildeten Volks ein. In Oberägypten behaupteten sich einheimische, wenn auch tributpflichtige Fürsten. Von ihnen ging die Befreiung aus. König Amosis von Theben (1684-59) vertrieb die Hyksos aus Mittel- und Oberägypten und drängte sie in das östliche Delta zurück, wo sie sich in der von ihnen erbauten Festung Avaris noch längere Zeit behaupteten, bis sie endlich gezwungen wurden, auch von hier abzuziehen und in die Syrische Wüste zurückzukehren.

Mit der Vertreibung der Hyksos beginnt die glanzvollste Periode des ägyptischen Reichs, dessen Pharaonen (18. und 19. Dynastie) ihren Herrschersitz Theben mit den bewunderungswürdigsten Denkmälern schmückten und ihre Macht und ihren Ruhm weit über die Grenzen ihres Reichs ausbreiteten. In diese Jahrhunderte (vom 17. bis zum 12. v. Chr.) fällt auch die Blütezeit der ägyptischen Kultur. Thutmosis III. und seine ältere Schwester und Vormünderin, die Königin Ramaka, erbauten zur