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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Aktie und Aktiengesellschaft

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Aktie und Aktiengesellschaft (volkswirtschaftliche Bedeutung; Geschichtliches).

zu tragen, daß die erforderlichen Bücher der Gesellschaft geführt werden, und hat binnen bestimmter Frist für jedes verflossene Geschäftsjahr eine Bilanz, eine Gewinn- und Verlustrechnung, sowie einen Bericht über den Vermögensstand und die Verhältnisse der Gesellschaft dem Aufsichtsrat und der Generalversammlung vorzulegen. Den Mitgliedern des Vorstands ist ebenso wie den persönlich haftenden Gesellschaftern einer Kommandit-Aktiengesellschaft untersagt, ihrer eignen Gesellschaft Konkurrenz zu machen.

Die Auflösung einer Aktiengesellschaft erfolgt: 1) durch Ablauf der im Gesellschaftsvertrag bestimmten Zeit (so auch der Konzessionszeit, insbesondere bei Eisenbahnen in Frankreich, Österreich); 2) durch Eröffnung des Konkurses; 3) durch Beschluß der Generalversammlung, welcher einer Mehrheit von drei Vierteln des in derselben vertretenen Grundkapitals bedarf; 4) durch Amortisation der Aktien, in welchem Fall bestimmt sein muß, wem das Vermögen der Gesellschaft zufallen soll; 5) durch Vereinigung sämtlicher Aktien in einer Hand (Verkauf) und 6) in Preußen und einigen andern Ländern durch richterliches Erkenntnis auf Betreiben der Verwaltungsbehörde, wenn die Gesellschaft sich rechtswidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch die das Gemeinwohl gefährdet wird. Das Vermögen einer aufgelösten Aktiengesellschaft wird nach Tilgung ihrer Schulden unter die Aktionäre nach Verhältnis ihrer Aktien verteilt. Erfolgt die Auflösung einer Gesellschaft durch Verschmelzung (Fusion) mit einer andern, so ist das Vermögen derselben so lange getrennt zu verwalten, bis ihre Schulden vollständig getilgt sind.

Die Staatsaufsicht über Aktiengesellschaften ging vor 1870 weiter als jetzt. Die Errichtung solcher Gesellschaften, ihr Statut, jede Abänderung desselben, die Auflösung der Gesellschaft durch Vereinigung mit einer andern etc. waren an die staatliche Genehmigung geknüpft. Diese staatliche Genehmigung wurde durch das Gesetz vom 11. Juni 1870 aufgehoben, weil sie mit ihren Konsequenzen keineswegs geeignet war, die Erreichung ihres wesentlichsten Zwecks, die Aktionäre und Gläubiger vor Ausbeutung und Verlusten zu schützen, in hinreichendem Maß zu sichern, vielmehr bei großer Verantwortlichkeit des Staats ein unter Umständen nicht gerechtfertigtes Vertrauen im Publikum erweckte und letzteres zu verleiten vermochte, die nötige Vorsicht außer acht zu lassen. Dagegen sind die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen der Gegenstand des Unternehmens der staatlichen Genehmigung bedarf und das Unternehmen der staatlichen Beaufsichtigung unterliegt, bestehen geblieben. Es ist also nur diejenige Beaufsichtigung aufgehoben, welche bisher im Interesse der Aktionäre und Gläubiger der Gesellschaft stattgefunden. Dieselben sind auf eigne Wahrung ihrer Interessen angewiesen, und im übrigen sollen die oben erwähnten Normativbestimmungen einen Ersatz für den Wegfall der Konzessionspflicht bieten.

Volkswirtschaftliche Bedeutung des Aktienwesens.

Die Aktiengesellschaft entspricht einem volkswirtschaftlichen Bedürfnis, solange sie nicht durch eine bessere Unternehmungsform ersetzt werden kann. Für dieselbe ist die Kapitalbeschaffung eine praktisch unbeschränkte; viele kleine Kapitalien werden für solche Zwecke vereinigt, welchen einzelne Kräfte nicht gewachsen sind. Wie schon frühzeitig der Bergbau durch Bildung von Kuxen (s. d.), so sind heute überhaupt viele große, wichtige Unternehmungen (Bahnen) durch Zerlegung in Aktien ermöglicht worden. Die Aktie gestattet auch weniger Bemittelten die Beteiligung an Geschäften, deren Rentabilität eine unberechenbare ist. Gefährliche umfassende Risikos können geteilt, kleine Summen daran gewagt werden, da nur die Einlagen im ungünstigen Fall verloren gehen, nicht aber gleich das ganze Vermögen aufs Spiel gesetzt wird. Das Aktienkapital ist dem individuellen Reize zur Minderung und Verzehrung entzogen, überhaupt von allen Schicksalen und Zufälligkeiten individueller Natur getrennt, und es eignet sich deshalb die Aktiengesellschaft im wesentlichen mehr für solche Unternehmungen, welche auf eine längere Dauer berechnet sind. Dagegen ist das Aktienwesen auch mit bedenklichen Schattenseiten und Gefahren verknüpft. Ist das Aktienkapital gegen individuelle Verzehrungsgelüste geschützt, so können aber auch keine Übertragungen zu andern Zwecken und keine jeweiligen Zuführungen aus Erübrigungen stattfinden. Ist die Dispositionsfähigkeit der Betriebsleitung allzusehr beschränkt, so leidet der Betrieb an Schwerfälligkeit und kann auf Kosten der Rentabilität zu sehr gelähmt werden. Wird derselben dagegen ein freierer Spielraum gelassen, so entspricht ihr kein genügendes Maß von Verantwortlichkeit und Interesse, auch selbst wenn die Betriebsleiter durch Aussicht auf Tantiemen, Beteiligung mit Aktien möglichst eng an das Geschäft gefesselt werden. Eine rasche und voll wirksame Kontrolle ist dabei in der Regel nicht ausführbar. Die Aktiengesellschaften haben oft im Interesse der Dividendensteigerung einen großen Hang zur Verschuldung, da dieselbe den derzeitigen Aktionären bei hohem Vertrauen und gutem Kurs der Aktien keinen Nachteil bringt. Die Beschränkung der Haftbarkeit fördert die Neigung zu gewagten, ja leichtsinnigen Geschäften um so mehr, als das vermögensrechtliche Band zwischen Aktionär und Unternehmung ein sehr lockeres ist und jederzeit durch Verkauf der Aktie leicht gänzlich gelöst werden kann. Darum schießen auch in unternehmungslustigen Zeiten, wenn Gewinnsucht und Vertrauensseligkeit auf das höchste gespannt sind, selbst schwindelhafte Aktiengesellschaften wie Pilze aus der Erde, indem sie den Gründern und ersten Aktionären auf Kosten der spätern Gesellschaftsmitglieder hohe Gewinne abwerfen.

Im allgemeinen eignet sich die Aktienunternehmung nicht für alle jene Fälle, in welchen Anschmiegung an rasch wechselnde Konjunkturen und darum auch Freiheit in der Entschließung und Unabhängigkeit des Betriebsleiters nötig sind. Dagegen kann das Aktienwesen gute Dienste leisten, wenn es sich vorwiegend um stehendes Kapital handelt, wenn die Arbeit streng berechneten Regeln unterworfen werden kann, der Betrieb ein stetiger und nicht von schnell veränderlichen Konjunkturen abhängig ist, wenn ferner eine vernünftige, sachgemäße Kontrolle ausgeübt werden kann, und wenn endlich eine volle Haftung der Betriebsleitung überhaupt nicht möglich wäre.

Die Geschichte des Aktienwesens

führt bis in das Mittelalter zurück. Als Vorläufer der heutigen Gesellschaften können die Gewerkschaften des Bergbaus, die im 12. Jahrh. im südlichen Frankreich entstandenen Mühlengenossenschaften, dann in Italien die schon im 11. Jahrh. vorkommende, unsrer heutigen Kommanditgesellschaft ähnliche Commenda bezeichnet werden. Echte Kapitalvereinigungen waren auch die italienischen Montes, Banken, deren Anteile (loca montis) übertragbar waren, wobei der Erwerber nur eine beschränkte Haft übernahm. Unter dem Einfluß der damaligen Bestimmungen über Zins