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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Algerien

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Algerien (Geschichte).

Frankreich werde sich nicht herablassen, mit einem Dei von Algier zu korrespondieren. Hierüber wütend, schlug der Dei den Konsul mit einem Fliegenwedel ins Gesicht und erging sich gegen den König von Frankreich in Schmähungen. Nun erschien ein französisches Geschwader vor Algier, nahm den Konsul auf und begann, da der Dei die Annahme des französischen Ultimatums verweigerte, die Blockade (12. Juni 1827). Der Dei ließ dagegen die zur Korallenfischerei bei Bone gegründeten französischen Niederlassungen (18. Juni d. J.) zerstören. Mit der Blockade wurde aber wenig ausgerichtet, und so beschloß die französische Regierung einen Hauptschlag. Am 25. Mai 1830 ging von Toulon eine Flotte von 75 Kriegsschiffen und 400 Transportschiffen unter Vizeadmiral Duperré mit einem Landheer von 37,500 Mann unter General Bourmont unter Segel. Am 13. Juni ankerte die Flotte in der Bucht von Sidi el Ferruch, 5 Stunden westlich von Algier; am 15. landete das Heer ungehindert und rückte unter leichten Gefechten gegen Algier vor. Die in der Ebene sich um die türkische Miliz des Deis sammelnden Beduinenmassen, gegen 40,000 Mann, griffen am 19. das französische Lager vergeblich an, wogegen die Division Berthezène das Lager des Deis erstürmte. Nach Ankunft des schweren Geschützes wurde am 29. das Algiers Südseite verteidigende Kaiserfort, wohin sich die Türken zurückgezogen hatten, eingeschlossen. Am 4. Juli früh begann das Feuer, und schon um 10 Uhr flog das Fort in die Luft. Algier wurde enger eingeschlossen und mit Breschbatterien umgeben. Schon schickten sich die Franzosen an, die Kasba zu erstürmen, als der Dei Kapitulationsanträge machte. Übergabe und Abtretung der Stadt und des ganzen Landes an die Franzosen war das Resultat der Unterhandlung, und 5. Juli besetzten die Sieger die Thore und Festungswerke. Dem Dei nebst seiner Familie ward persönliche Freiheit, der Besitz seines Privatvermögens und die freie Wahl eines Wohnorts außerhalb Algeriens bewilligt. Allen Soldaten der türkischen Miliz wurde französischer Schutz zugesichert, den Einwohnern Achtung der Religion und des Eigentums, Freiheit des Handels und der Gewerbe und strenge Mannszucht. Alle Türken wurden nach Asien (Smyrna) transportiert, die Sklaverei der Christen, alle Tribute der europäischen Staaten und alle Monopole für immer abgeschafft.

Mit der Einnahme Algiers war der Krieg noch nicht beendet. Der Bei von Titteri veranlaßte 23. Juli, als der Oberbefehlshaber das 8 Stunden von Algier entfernte Blida besetzte, einen allgemeinen Angriff der Araber auf die Franzosen, wodurch diese zum Rückzug genötigt wurden. Schon war Oran durch einen Vertrag gewonnen und das wichtige Bone besetzt, als der Sturz Karls X. durch die Julirevolution eine Stockung in den französischen Unternehmungen verursachte. Bourmont wollte sein Heer in die Vendée oder Normandie führen. Aber die Truppen und die Flotte erklärten sich für die neue Regierung, worauf Bourmont 2. Sept. A. verließ. Der neue französische König, Ludwig Philipp, sandte darauf den Marschall Clauzel als Gouverneur nach A., um das Land als französische Provinz zu organisieren. Clauzel setzte zu diesem Zweck 16. Okt. einen Regierungsausschuß mit drei Sektionen ein. Auch begann er sofort die Erweiterung des französischen Gebiets durch Streifzüge in das Innere und durch Kolonisationsversuche. Doch wurde er schon im Februar 1831 abberufen, da er eigenmächtigerweise Oran und Konstantine an den Bei von Tunis abgetreten hatte. Sein Nachfolger, General Berthezène, richtete durch übereilte Neuerungen große Verwirrung an und reizte durch zahlreiche Konfiskationen und Sequestrationen die verschiedenen Klassen der Bevölkerung, die Kabylen oder Berber, die Araber und die Türken (Kulugli), statt sie durch kluge Politik voneinander zu trennen, zu gemeinsamem Widerstand gegen die fremden Eindringlinge an. Zu Hunderten eilten Glücksritter aus Europa nach A., um an der allgemeinen Beute teilzunehmen. So mißlang die französische Kolonisation in A. von vornherein, und trotz einiger guter Einrichtungen kam die Kolonie um keinen Schritt vorwärts. Unter Savary (Dezember 1831 bis März 1833) wurde zwar Bone erobert, aber in Oran erhob sich der Emir von Mascara, Abd el Kader (s. d.), und der Kaiser von Marokko leistete demselben Vorschub, so daß in Oran die französische Herrschaft nicht weiter reichte als die Kanonen von Oran, Mostaganem und Arzew. Savarys Gewaltstreiche brachten bald die ganze Provinz zum Aufstand. Die wiederholten gerechten Klagen vermochten das Ministerium endlich, Savary zurückzurufen (März 1833) und zur Verantwortung zu ziehen; aber er starb schon 2. Juni d. J. Auch unter seinem Nachfolger Voirol war der Stand der afrikanischen Kolonie so traurig, daß auf Antrag der Kammer eine Kommission ernannt wurde, um den Zustand derselben zu prüfen. Infolge dieser Untersuchung entschied man sich für die fernere Behauptung Algeriens; eine Ordonnanz vom 22. Juli 1834 verordnete, das eroberte Gebiet solle fortan "französische Besitzungen im Norden Afrikas" heißen. Ein Generalgouverneur sollte mit dem Generalkommando zugleich die Administration führen und unter dem Kriegsministerium stehen, die Regierung aber mittels Ordonnanzen geschehen, welche von dem Gouverneur entworfen und von dem Kriegsminister bestätigt werden sollten. Für die Justiz wurden Tribunale erster Instanz zu Algier, Bone, Oran, ein Obertribunal und ein Handelstribunal zu Algier eingesetzt und ein Generalprokurator ernannt, welcher das einheimische Recht prüfen und mit der neuen Justizverfassung in Übereinstimmung bringen sollte.

Während nun geordnetere Zustände eintraten, ruhten in entferntern Teilen der Provinz die Waffen nicht, besonders in Konstantine und Oran. Mit Abd el Kader kam endlich (26. Febr. 1834) ein erster Friede zu stande, in welchem der Emir den König der Franzosen als Lehnsherrn anerkannte und Freundschaft und Einigkeit zwischen beiden Nationen auf jede Weise zu befördern versprach. Derselbe war aber nicht von langer Dauer. General Trézel verlor 28. Juni 1835 die Schlacht an der Makta gegen den Emir. Marschall Clauzel, der im August 1835 auf den friedfertigen Drouet d'Erlon als Gouverneur folgte, zerstörte im Dezember Abd el Kaders Residenz Mascara und schlug ihn mehrere Male, aber ohne durchgreifenden und dauernden Erfolg. Besonders traurig lief Clauzels Zug gegen Konstantine ab. Von den 8000 Mann, mit denen Clauzel im November 1836 von Bone ausgezogen, kehrten nur 2800 zurück: der Rest war durch Hunger, Kälte, Krankheit und die Scharen Achmed Beis aufgerieben worden. Clauzel wurde daher im Februar 1837 zum zweitenmal abberufen und durch General Damrémont ersetzt, der sofort eine neue Expedition gegen Konstantine betrieb, während General Bugeaud Abd el Kader zum Frieden zu zwingen suchte. Wirklich wurde 30. Mai 1837 unweit der Tafna der zweite Friede unterzeichnet und