Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ameisen

451

Ameisen (Nesterbau, Geselligkeits- und Kunsttriebe etc.).

angegebene Art nachgewiesen. Aus den kleinen, länglichrunden, weißen Eiern schlüpfen nach einigen Tagen kleine, fußlose, weiße Larven mit hornigen Kiefern, welche von den alten A. gefüttert werden müssen. Anfangs werden nur Eier gelegt, woraus Arbeitsameisen hervorkommen. Die kleine Made wächst bei reichlicher Nahrung sehr schnell und fertigt nach 14 Tagen ein längliches, schmutzig weißes oder bräunliches Gespinst, in welchem sie zur gemeißelten Puppe wird (Ameiseneier); andre Arten spinnen niemals. Nach 14 Tagen bis 4 Wochen zerbeißen die alten A. die Puppe, und die junge, sehr weiche und zarte Ameise, welche noch einige Tage gefüttert werden muß, kriecht hervor. Sie erhält bald die gehörige Farbe und Härte und verrichtet nun alle ihr zukommenden Geschäfte. Bis dahin mußte das vereinzelte Weibchen diese alle selbst verrichten; hat es sich aber mit Arbeiterinnen umgeben, so legt es nur noch Eier und läßt sich von seinen Nachkommen füttern. Die nach der Begattung von den Arbeiterinnen eingefangenen und ins Nest zurückgebrachten Weibchen haben insofern ein besseres Los, als die im Haufen befindlichen Arbeitsameisen die Eier, Maden und Puppen von Anfang an aufs sorgfältigste pflegen. Die Zahl der Arbeitsameisen vermehrt sich infolge des den ganzen Sommer hindurch fortgesetzten Eierlegens sehr stark, und erst im Spätsommer werden Eier gelegt, aus welchen geflügelte Männchen und Weibchen entstehen. Alle zur Bildung der Kolonie nötigen Arbeiten liegen den Geschlechtslosen ob. Sie öffnen am Morgen die verrammelten Zugänge und schweifen dann entweder, um Nahrung zu suchen, umher, oder tragen Larven und Puppen, um sie der Wärme der Sonnenstrahlen auszusetzen oder vor eindringendem Regen zu schützen, an höhere und tiefere Stellen des Nestes. Viele Arbeiterinnen sind mit dem weitern Ausbau des Nestes beschäftigt oder stehen auf Wache, bereit, jeden Angriff auf die Kolonie mit Aufopferung des eignen Lebens abzuwehren. Die auf Nahrung ausgezogenen A. kehren mit gefülltem Vormagen zurück, um Larven und Weibchen zu füttern, wobei sie ihnen ein Tröpfchen des im Vormagen bereiteten Zuckersaftes in den Mund spritzen. Auch putzen und reinigen die Arbeiterinnen die Weibchen und Larven und schaffen die Puppenhülsen hinweg. Gegen Abend werden Larven und Puppen von ihnen tiefer ins Innere des Nestes gebracht und die Zugänge verrammelt. Wo zwei Formen von Arbeitern vorhanden sind, tritt eine gewisse Arbeitsteilung ein, indem die großköpfigen, die sogen. Soldaten, bei den Streifzügen die Ordner und Führer bilden und die Beute zerschroten, um sie für die kleinern Genossen mundrecht zu machen. Dieses geschäftige Treiben im Nest währt von den ersten Frühlingstagen bis tief in den Herbst hinein. Um diese Zeit ist die junge Brut ausgeschlüpft, und die Männchen sind tot, so daß das Nest nur Weibchen und Arbeiterinnen enthält. Bei Beginn des Winterfrostes ziehen sich alle in den tiefsten Teil des Nestes zurück und fallen hier in Erstarrung. Die meisten erwachen nicht wieder, viele aber, namentlich die befruchteten Weibchen, überleben den Winter, um im Frühling das geschäftige Treiben von neuem zu beginnen. Die Glieder eines und desselben Haufens erkennen einander beim Begegnen auf der Straße oder während des Kampfes zweier Haufen, selbst nach monatelanger Trennung; sie begrüßen, betasten und streicheln einander; sie verständigen sich miteinander über Verrichtungen, welche für eine einzelne zu schwer sind; sie gehen einander mit Rat und That an die Hand, reißen wohl auch nach vorhergegangener Beratung einen angefangenen Bau wieder ein oder ändern ihn um etc.

Einige Ameisenarten leben in Baumstämmen, in welchen sie Gänge und Hohlräume erzeugen, indem sie die festern Jahresringe meist als Wandungen stehen lassen. Gewisse kleine Arten minieren in der dicken Borke alter Bäume wenige flache, unter sich verbundene Kammern. Lasius fuliginosus baut in hohlen Bäumen Nester aus Holzspänchen, welche mit dem Absonderungsprodukt gewisser Drüsen zusammengeknetet werden, und die Comehens auf Puerto Rico bauen vielleicht aus ähnlichem Material große, bienenkorbähnliche Nester zwischen Baumästen und überwölben auch ihre Straßen. Die meisten A. graben und mauern Erdnester oft unter einem schützenden Stein oder bilden zusammengesetzte Nester in großen, aus kleinen Holzstückchen zusammengetragenen Haufen. Je größer die Gesellschaft, um so komplizierter ist das Nest, und bisweilen stehen zahlreiche Nester derselben Art auf einer größern Bodenfläche untereinander in Verbindung, während anderseits auch unter einem und demselben Stein zwei Arten in dicht benachbarten, aber voneinander getrennten Nestern hausen können. Das Bauen und Erhalten der Nester fällt den Arbeitern zu. Während ein Teil der A. mit Graben beschäftigt ist, befördert der andre die abgelöste Erde heraus. In festem, zusammenhängendem Boden gleicht ein solcher Bau öfters einem Badeschwamm; die Kammern und Gänge sind nur durch dünne Zwischenwände getrennt, wogegen in lockerm, sandigem Boden letztere weit dicker hergestellt werden. Von der gemeinsamen Behausung aus führen sie oft durch Abbeißen des Grases Straßen nach verschiedenen Richtungen hin, auf denen sich gehende und kommende fort und fort ausweichen; erstere sind gewöhnlich hungrig, und treffen sie nun auf letztere, die mit eingenommener Nahrung zurückkehren, so halten sie dieselben an und lassen sich füttern. Eine fremde Ameise, die sich auf eine solche Straße wagt, wird angefallen und erwürgt, während außerhalb der Straßen fremde A. einander ausweichen.

Ist die Bevölkerung in einem Bau zu groß geworden, so werden neue Kolonien angelegt, deren ein starker Haufe in einem Sommer drei aussenden kann. Gewöhnlich siedelt sich die Kolonie in der Nähe des Mutterbaus an. Die ersten derartigen Auszüge beginnen im Juli. Man sieht dann ganze Züge aus dem Mutterhaufen hervorkommen, die aus jungen, an der hellen Farbe kenntlichen A. bestehen. Voran ziehen die Weibchen. Bisweilen wandert auch eine ganze Gesellschaft aus, um eine neue Wohnung zu bauen.

Die A. bekunden unter allen Insekten die größte geistige Begabung und stehen in dieser Hinsicht dem Menschen näher als irgend ein andres Tier. Es gibt Arten, wie Formica fusca, welche noch vollständig den untersten Menschenrassen, den Jagdvölkern entsprechen, in verhältnismäßig wenig zahlreichen Herden leben und nicht leicht gemeinsame Operationen ausführen. Andre zeigen in ihrer Architektur mehr Kunst, domestizieren Blattläuse und sind den Hirtenvölkern vergleichbar; ihre Gesellschaften sind zahlreicher, und sie jagen mehr gemeinsam. Endlich gibt es erntende A., welche den entwickeltsten Typus darstellen und den ackerbautreibenden Völkern vergleichbar sind. Die Charakterzüge der verschiedenen Arten differieren sehr stark: manche sind furchtsam, von geringer Initiative, andre sehr kühn, kriegerisch, grausam; einige Arten verteidigen sich mutig, andre stellen sich tot, rollen sich zusammen etc.; manche A.