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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Arabische Litteratur

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Arabische Litteratur (Poesie).

waren, von der Engherzigkeit des mohammedanischen Dogmas und der Einseitigkeit des spezifisch arabischen Geistes. Gelang es auch binnen kurzem der orthodoxen Reaktion, die Bewegung zurückzudämmen, so hatte doch die kurze Freiheit genügt, Wissenszweige ins Leben zu rufen, für welche innerhalb des strengen Islam eigentlich kein Platz war: die Naturwissenschaften und vor allen die Philosophie. Beide waren bis dahin ausschließlich von Syrern gepflegt worden, welche die Schriften griechischer Philosophen und Ärzte kannten und studierten (s. Syrische Litteratur). Unter den Abbassiden nun fing man an, diese Werke aus dem Syrischen in die allgemeine Litteratursprache des mohammedanischen Orients, das Arabische, zu übersetzen. Gleichzeitig wurden durch persische Vermittelung ähnliche Verbindungen mit Indien angeknüpft, und dem Eifer, mit welchem man dem Fremden Eingang verschaffte, entsprach die Energie der eignen Thätigkeit, welche bei den ältern Abbassiden, vor allen bei Al Mamun (813-833), die wirksamste Förderung fand. Er ließ eine große Bibliothek sammeln, an welcher er Gelehrte anstellte, gründete eine Sternwarte und unterstützte überhaupt in jeder Weise die verschiedenartigen wissenschaftlichen Bestrebungen, welche sich an jene Übersetzungen anknüpften und die zwar nur in einzelnen Fällen Neues geschaffen, jedenfalls aber die Errungenschaften des klassischen Altertums erhalten und für das Mittelalter fruchtbar gemacht haben. Dieses rege geistige Leben ging auch dann nicht ganz unter, als im 10. Jahrh. die Macht der Kalifen durch die Emir Al Omrah und die Zersplitterung ihres Reichs sehr abnahm und die Einkünfte zu den Unterstützungen der Gelehrten und gelehrten Anstalten nicht mehr hinreichten.

Ein zweites Vaterland hatte die arabische Kultur in Spanien gefunden. Hier wetteiferten die neuen omejjadischen Kalifen mit den Abbassiden im Orient. Durch ihre Bemühungen begannen Ackerbau, Kunstfleiß und Handel zu blühen, und Spanien wurde, besonders seit Almóndsir, Abd ur Rahmân III. (912) und Hákem II. (961), ein Hauptsitz der arabischen Litteratur. Was Bagdad für Asien, war die von Hákem II. gestiftete Universität zu Cordova für den Westen. An dem regen wissenschaftlichen Leben im arabischen Spanien nahmen auch die Juden teil, und auch für deren Litteratur war Spanien mehrere Jahrhunderte hindurch der Hauptsitz. Von Spanien aus verbreitete sich der wissenschaftliche Ruhm der Araber über das christliche Europa, und bald nach 900 reiste man aus Frankreich und andern europäischen Ländern dahin, um bei den Arabern hauptsächlich Mathematik und Medizin zu studieren. Gebrochen wurde die Blüte der arabischen Litteratur in Europa mit dem Fall Cordovas 1236. Vgl. v. Schack, Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sizilien (Berl. 1865, 2 Bde.).

Nachdem die abbassidischen Kalifen im Orient zu bloßen Pontifices herabgesunken waren, wurden die Emir Al Omrah und die Gründer der aufkommenden einzelnen Dynastien, in welche das Kalifat sich auflöste, die Beförderer der Wissenschaften. So Aghlab, der Gründer der Dynastie der Aghlabiten in Tunis (um 800); Asîs, der Fatimide (975-996), der Stifter der Universität in Kairo; Mahmud, der Ghasnawide (997-1030), u. a. Selbst in der heutigen Berberei blühten Künste und Wissenschaften, und in Sizilien finden sich noch heute Spuren von einer bedeutenden arabischen Kultur. Bemerkenswert ist, daß das eigentliche Arabien von diesem wissenschaftlichen Leben wenig oder gar nicht berührt ward. Die unvermischten Nationalaraber, welche dort, von dem Verkehr mit den unterworfenen Völkerschaften durch ihre Wüsten abgeschnitten, ihren Sitten und Gewohnheiten treu blieben, haben ihre alte Unwissenheit durch das ganze Mittelalter beibehalten, und es ist niemals aus den Augen zu lassen, daß die a. L. seit der Abbassidenzeit keineswegs die Litteratur der Araber, sondern die Litteratur der orientalischen Völker ist, welche sich in wissenschaftlichen Schriften des Arabischen fast ebenso ausschließlich bedienten wie das mittelalterliche Abendland des Lateinischen. Mit dem 14. und 15. Jahrh. geht die Blüte der arabischen Litteratur zu Ende, und die ganze neuere Zeit hat nur zwei große Gelehrte aufzuweisen, den überaus vielseitigen Sojuti im 15. und den Polyhistor und Bibliographen Hadschi Chalfa zu Konstantinopel im 17. Jahrh., der, freilich ohne eigne Originalität, die ganze ältere Litteratur erfaßte. Außer dem Koran umfaßt das Studium der neuern Araber nur die Grammatik (Nahw), die Tradition (Hadith) und das Gesetz (Fikh); aber auch hierin sind nur die Scheichs und Muftis wohlunterrichtet. Indes läßt die Einführung der Buchdruckerkunst und der Lithographie in verschiedene mohammedanische Kulturkreise ein neues Litteraturleben erwarten, und in Syrien, Ägypten, Nordafrika zeigt sich bereits eine regere litterarische Thätigkeit.

Poetische Litteratur.

Den ersten Platz unter den besondern Fächern der arabischen Litteratur nimmt die Poesie (Schi'r) ein, deren erste Blüte in die Zeit kurz vor Mohammed fällt. Der Gegenstand der meisten Gedichte jener Periode sind die individuellen Erlebnisse der Dichter. Jede merkwürdige That, jede empfangene Wohlthat, jede überstandene Gefahr, jedes genossene oder ersehnte Liebesglück ward durch ein Gedicht gefeiert. Der äußern Form nach gab und gibt es unter den Arabern nur eine Art der Poesie, die mit den abendländischen Formen nichts Gemeinschaftliches und einen selten mit erzählenden Elementen versetzten lyrischen Charakter hat. Jeder Vers (Beit, "Haus, Zelt") zerfällt in zwei Halbverse (Misrá, "Thürflügel") von gleichem Metrum, die Verse haben gleichen Endreim (Káfiah), und auch das Versmaß geht ohne Abwechselung oder Strophenbildung durch das ganze Gedicht durch. Der Einteilungsgrund der arabischen Gedichte ist die Länge. Von den kürzern heißen die 7-14 Beit langen Ghasele; sie sind meist erotischen Inhalts. Gedichte von mehr als 30, doch selten über 100 Beit heißen Kaside (Kaçídah); in ihnen werden stets mehrere, zum Teil an bestimmte Reihenfolge gebundene Gegenstände (Liebesklagen, Lobsprüche, Preis des eignen oder fremden Ruhms) in eine oft sehr äußerliche Verbindung gebracht. Einen andern Einteilungsgrund kann man dem Reim entnehmen, nach welchem ein Gedicht z. B. Lamíjah heißt, wenn es auf den Buchstaben l gereimt ist. Eine Sammlung von Gedichten Eines Verfassers heißt Diwán ("Register"). Über die arabische Metrik haben gehandelt: Freytag, Darstellung der arabischen Verskunst (Bonn 1830); Coupry, Traité de versification arabe (Leipz. 1875); Guyard (im "Journal asiatique" 1876).

Mit dem Koran kam ein religiöses Element in die Poesie, das ihrer freien Entwickelung hinderlich war. Ihre Wiedergeburt fällt in die Epoche der Abbassiden. Indessen nimmt sie nun den Charakter der Kunst statt der Natur an; denn die Dichter waren großenteils Gelehrte, und viele suchten ihren Ruhm vorzüglich in sinn- und geistreichen Schmeicheleien, die für