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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Argentinische Republik

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Argentinische Republik (staatliche Verhältnisse; Geschichte).

[Staatliche Verhältnisse.] Die Verfassung, zu Santa Fé 1. Mai 1853 gegeben (reformiert bei der Wiedervereinigung mit Buenos Ayres 6. Juni 1860) und ganz der der Vereinigten Staaten von Nordamerika nachgebildet, will den Kultus der römisch-katholischen Kirche aufrecht erhalten wissen, obschon Freiheit des Bekenntnisses besteht; sie duldet keine Sklaverei und erkennt überhaupt keine Bevorzugung des Bluts oder der Geburt, auch keine persönlichen Privilegien und Adelstitel an, setzt gleiche Verteilung der Steuern und öffentlichen Lasten fest und gewährleistet Freiheit der Presse, der Association, des Unterrichts etc. Die gesetzgebende Gewalt übt ein Kongreß, der aus zwei Kammern, einer aus den Deputierten der Nation (von 86 Mitgliedern) und einer aus Senatoren gebildeten (von 30 Mitgliedern), besteht und alle die öffentliche Wohlfahrt betreffenden Verhältnisse regelt. Die vollziehende Gewalt übt ein Präsident, dem ein Vizepräsident zur Seite steht. Beide müssen römisch-katholisch und innerhalb des argentinischen Gebiets geboren oder Söhne innerhalb desselben geborner Bürger sein; sie werden auf sechs Jahre gewählt und können erst nach Ablauf einer ebenso langen Frist wieder gewählt werden. Unter den Präsidenten stehen Minister dem Innern, dem Auswärtigen, den Finanzen, der Justiz und dem Kriegs- und Marinewesen vor. Ein aus fünf Richtern und einem Generalprokurator zusammengesetzter oberster Gerichtshof hat in der Hauptstadt seinen Sitz; Bundesuntergerichte setzt der Kongreß im Gebiet der Konföderation ein. Die kirchlichen Angelegenheiten der Nation leitet der Erzbischof von Buenos Ayres, unter dem die Bischöfe von Cordova, Cuyo (San Juan), Mendoza, Salta und Parana stehen. Die ehemals reiche Kirche ist während der Revolution aller ihrer Güter beraubt worden; die Bischöfe und ihre Kapitel erhalten ihre sehr mäßigen Einkünfte gegenwärtig durch den Staat (Nationalregierung), und die Pfarrer sind meist auf die Stolgebühren und die Einkünfte aus den noch zahlreich gefeierten Kirchenfesten angewiesen. Die verschiedenen Mönchsorden sind nur spärlich vertreten; dagegen gibt es eine Anzahl Nonnenklöster. Verschiedene Missionen bestehen an der Indianergrenze. Dissidenten finden sich nur unter den Eingewanderten. Für Bildungszwecke ist neuerdings viel gethan worden; es bestehen 2 Universitäten (Buenos Ayres und Cordova), 14 höhere Schulen (in jeder Provinzialhauptstadt), 1 Ingenieurschule, Handelsschule, Kadettenhaus und Marineschule, 1 Schule für Ackerbau und 1 für Bergbau. Außerdem existiert eine Seekadettenschule, eine Matrosenschule wird demnächst installiert werden. Die gelehrten Gesellschaften: Academia nacional, Zoologische wie Geographische Gesellschaft, veröffentlichen Abhandlungen. Außerdem erscheinen 153 Zeitschriften. Offizielle Sprache ist die spanische; die Eingebornen jedoch reden drei verschiedene Hauptsprachen. Die finanzielle Lage der Republik ist keine ungünstige. In gewöhnlichen Zeiten decken die Einnahmen die Ausgaben, außerordentliche werden durch Anleihen oder Papiergeld bestritten. Dazu sind die Hilfsquellen des Staats in stetem Zunehmen begriffen. Während sich die Einnahmen 1863 erst auf 6,450,286 Pesos fuertes beliefen, weist das Budget für 1883 eine Totaleinnahme von 33,770,333 Pesos (darunter 21,3 Mill. Einfuhr- und 3,6 Mill. Ausfuhrzölle) und dem gegenüber eine Totalausgabe von 34,053,484 Pesos auf. Die Staatsschuld betrug 1. Jan. 1883: 124,112,684 Pesos, wovon 58,035,600 Pesos auf die äußere Schuld (im wesentlichen drei englische Anleihen) und 36,530,187 Pesos auf die innere Schuld entfallen. Jeder einzelne Staat der Republik hat außer dem allgemeinen noch sein eignes Budget. Das Bundesmilitär zählte 1884 (offiziell) 7312 Mann, nämlich 3704 Mann Infanterie, 2576 Mann Kavallerie und 1032 Mann Artillerie, mit im ganzen 1088 Offizieren, darunter 28 Generale. Die Nationalgarde bestand aus 322,962 Mann. Die Kriegsflotte zählt 27 Dampf- und 12 Segelschiffe (darunter 3 Panzerfahrzeuge, 6 Kanonenboote und 7 Torpedodampfer) mit im ganzen 55 Kanonen, 12,630 Tons Gehalt und 8865 indizierten Pferdekräften. Die Marinedivision umfaßte 1366 Mann, das Marinebataillon 971, die Torpedodivision 137 Mann. In Zarate befindet sich ein größeres Arsenal im Bau. Das Wappen bildet ein in zwei Felder geteilter Schild, darüber die aufgehende Sonne; im untern Feld zwei verschlungene Hände, einen Stab mit der Freiheitsmütze haltend. Die Flagge ist blau-weiß-blau gestreift (s. die "Flaggenkarte"). Bundeshauptstadt ist Buenos Ayres (1884: 283,758 Einw.); sie wurde Anfang 1881 föderalisiert und zum beständigen Sitz der Nationalregierung erklärt. Von den übrigen Städten hatten 1882: Cordova 39,651 Einw., Rosario 32,204, Tucuman 24,237, Salta 11,716, Corrientes 11,218, Santa Fé 10,670 Einw.

Vgl. Napp, Die A. R. (Buenos Ayres 1876); Burmeister, Physische Beschreibung der Argentinischen Republik (das. 1875, Bd. 1); von ältern Werken: Martin de Moussy, Description géographique et statistique de la conféderation Argentine (Par. 1860-64, 3 Bde.); Andree, Buenos Ayres und die argentinischen Provinzen (3. Aufl., Leipz. 1874); Page, La Plata, the Argentine Confederation etc. (neue Ausg., New York 1867); Latham, The states of the River Plate, their industries and commerce etc. (2. Aufl., Lond. 1868); Mulhall, Handbook of the River Plate Republics (5. Aufl. 1885); H. Burmeister, Reise durch die La Plata-Staaten (Halle 1861); Tschudi, Reisen durch Südamerika, Bd. 5 (Leipz. 1869); Friedrich, Die La Plata-Länder (Hamb. 1884); Zöller, Pampas und Anden (Stuttg. 1884); speziell für Auswanderer die Schriften von Beck-Bernard (Bern 1874 u. Leipz. 1883), Greger (Basel 1884), Latzina (Leipz. 1884). - Karten von Petermann (Gotha 1875), Seelstrang und Tourmente (Hamb. 1879).

Geschichte.

Der spanische Reichspilot Juan Diaz de Solis kam 1515 als der erste Europäer an die Mündung des La Plata-Stroms, der nach ihm lange Zeit Rio de Solis genannt wurde; er ward an der Küste von Eingebornen erschlagen. Magelhaens berührte die Mündung Anfang 1520. Im J. 1527 segelte Sebastian Cabot, gleichfalls spanischer Reichspilot, den La Plata hinauf und erbaute unter 34° südl. Br. am Parana das Fort San Espiritu, mußte aber 1528 umkehren. Pedro de Mendoza gründete als erster Adelantado (Zivil- und Militärgouverneur) 2. Febr. 1535 Buenos Ayres. Der eigentliche Eroberer des La Plata-Landes ist aber Martinez de Irala, der, 1555 zum Adelantado ernannt, sowie sein Nachfolger Ortiz de Zarate eine Ansiedelung nach der andern gründete. Juan de Garay, 1576 zum Generalkapitän ernannt, baute 1580 das von den Indianern zerstörte Buenos Ayres wieder. Dem vierten Adelantado, Juan de Torres Vera y Aragon (1587-91), unter welchem Corrientes (1588) gegründet ward, folgten bis 1620 zehn Gouverneure. Um 1610 begann die erfolgreiche Thätigkeit der Je-^[folgende Seite]