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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Armerĭa; Armer Konrad; Armfelt

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Armeria - Armfelt.

soldeten Staatsbeamten, welche nur unberechtigte Ansprüche fördern und die Armenlast steigern würde, sondern sie muß einen Bestandteil der Selbstverwaltung bilden und in derselben möglichst einen ehrenamtlichen Charakter behaupten (Armendeputationen, Armenpflegschaftsräte als besondere für die Armenpflege bestellte Körperschaften in größern Städten). Neben der politischen Gemeinde findet die freie Vereinsthätigkeit, welche vorzüglich für besondere Gebiete der Mildthätigkeit sich eignet (z. B. durch Vereine gegen Verarmung, Krippen, Bewahranstalten, Rettungshäuser, Badeanstalten, Sonntagsschulen, Suppenanstalten etc.), das Genossenschaftswesen (z. B. Hilfs- und Krankenkassen), das Versicherungswesen ein weites und nützlich zu bebauendes Thätigkeitsgebiet, da die politischen Organe die Armenlast auf das Maß des schlechthin Notwendigen einzuschränken haben. Auch die Stiftungsangelegenheiten müssen, wie in England seit 1853 geschah, einer regelmäßigen Staatsaufsicht unterstellt werden.

Was die Objekte der Armenpflege anbelangt, so wird grundsätzlich nicht nur Bedürftigkeit, sondern auch Hilfslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit vorauszusetzen sein. Abgesehen von der Gewährung augenblicklich notwendiger Hilfe, wobei auf die Verschuldung der Hilfsbedürftigkeit nichts ankommt, wird die Organisation des Armenwesens im weitern Sinn stets danach trachten, durch präventive Hilfe der Verarmung rechtzeitig vorzubeugen (Darlehnskassen, Leihämter, Versicherungszwang) und anderseits für Beschäftigungslose die Gelegenheiten, Arbeit zu finden, herbeizuführen, um der Gewöhnung an Almosen entgegenzuwirken, endlich auch den Gründen verschuldeter Verarmung strafrechtlich und polizeilich zu begegnen (Unterdrückung der Landstreicherei, des Bettelns etc.). In den Bereich des Armenwesens fallen auch die Anstalten für verlassene Kinder (Findelhäuser), für Elternlose (Waisenhäuser), Geisteskranke (Irrenanstalten), Taubstumme, Invaliden, Blinde und Kranke. Doch sind derartige Anstalten technisch nach eigenartigen Gesichtspunkten zu behandeln und zu würdigen; von Wichtigkeit ist dabei jedoch der humane Grundsatz, daß in allen Anstalten, in denen Arme mit Nichtalmosenempfängern gemeinschaftlich verpflegt werden, die Scheidung zwischen unverschuldeter Armut und Vermöglichkeit thunlichst zu beseitigen ist. Aus diesem Grund sind auch die besondern Armenschulen (s. d.) für die Kinder der Hilfsbedürftigen pädagogisch zu verwerfen.

Was schließlich die Organisation der Armenpflege innerhalb der dazu verpflichteten Kreise anbelangt, so unterscheidet man geschlossene Armenpflege in eigens dazu bestimmten Anstalten (Werkhäuser, Hospitäler) und offene Armenpflege. Welcher Einrichtung der Vorzug zu geben sei, hängt von örtlichen Verhältnissen und von den verfügbaren Mitteln sowie von anderweitigen Umständen im einzelnen Fall ab. Die offene Armenpflege in der eignen Behausung des Armen erscheint als das thatsächlich überall vorwiegende, naturgemäße, billigere System, von welchem nur aus bestimmten Gründen ausnahmsweise abgegangen werden sollte. Zweckmäßig für die wissenschaftliche Betrachtung des Armenwesens ist die neuerdings in Frankreich aufgekommene Unterscheidung von prévoyance, worunter die präventiven Aufgaben fallen, und assistance oder Armenpflege im engern Sinn, denen alsdann auch die répression (Unterdrückung der Bettelei) hinzuzufügen wäre.

Litteratur. Vgl. im allgemeinen Rau, Lehrbuch der politischen Ökonomie, Bd. 2 (5. Aufl., Leipz. 1863); ferner De Gérando, Le visiteur du pauvre (Par. 1829; deutsch, Quedlinb. 1831); Derselbe, De la bienfaisance publique (Par. 1839, 4 Bde.); Buß, System der gesamten Armenpflege (Stuttg. 1843-1846, 3 Bde.); Vogt, Das A. und seine Bedeutung für die Entwickelung der öffentlichen Zustände (Bern 1853, 2 Bde.); Kries, Die englische Armenpflege (Berl. 1863); Lentz, Des institutions de bienfaisance et de prévoyance en Belgique (Brüssel 1866); Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts (Berl. 1872), und namentlich Emminghaus, Das A. und die Armengesetzgebung in europäischen Staaten (das. 1870); "Verhandlungen des elften Kongresses deutscher Volkswirte 1869"; Seydel. Das Reichsarmenrecht (in Hirths "Annalen" 1877).

Armerĭa Willd. (Grasnelke), Gattung aus der Familie der Plumbagineen, niedrige, rasenbildende, schmalblätterige, besonders in Südeuropa und Nordafrika einheimische perennierende Kräuter und Halbsträucher mit einfachem, blattlosem Stengel, der ein Köpfchen kleiner, meist rosenroter Blüten trägt. Die Frucht ist klein, einsamig mit häutigem Gehäuse, Blüten in Knöpfchen, welche am Grund von einer vielblätterigen Hülle umgeben sind, und tief fünfteiliger Blumenkrone. A. vulgaris Willd. (Grasnelke, Grasblume, Sandnelke, Meergras), mit rosenroten, auch weißen Blüten, wächst in Deutschland. Als Spielart wird häufig A. maritima Willd. (Statice A. L., Meerstrandsgrasnelke, Seenelke, Meergras) betrachtet. Sie ist an den Küsten der nordeuropäischen Meere, z. B. in England und Schweden, aber auch des Atlantischen Ozeans heimisch und wird zur Einfassung der Gartenbeete benutzt.

Armer Konrad (Armer Konz), ein geheimer Bauernbund, der sich zu Anfang des 16. Jahrh. im Ramsthal ^[richtig: Remsthal] in Württemberg bildete, benannt nach einem lustigen Gesellen, Konrad oder Konz, bei dem "koan Rat" verfangen wollte, der in zerfetztem Mantel und grauem Filzhut einherschritt und sich als kaiserlicher Feldhauptmann gebärdete. Der Bund verfolgte unter der Maske lustiger Schwänke und Possen seine auf Befreiung der Bauern aus ihrer elenden Lage gerichteten Tendenzen. Der Hauptmann teilte auf den geheimen Versammlungen unter die Mitglieder die Güter aus, welche die Verbrüderung "im Monde" besaß, die Äcker und Weinberge in der "Fehlhalde", auf dem "Hungerberg", am "Bettelrain", in "Nirgendsheim" u. dgl. Die Erhebung des Armen Konrad 1514 gegen den Herzog Ulrich von Württemberg mißlang (s, Bauernkrieg), und der Bund wurde gewaltsam unterdrückt.

Armfelt, 1) Karl Gustav, schwed. General, geb. 1666 in Ingermanland, trat 1685 in französische Kriegsdienste, in denen er sich bei verschiedenen Gelegenheiten auszeichnete. Im J. 1700 nach Schweden zurückgekehrt, beteiligte er sich mehr ehrenvoll als erfolgreich am Kampf Karls XII. gegen Rußland, verteidigte Finnland gegen eine russische Flotte und Helsingfors heldenmütig und kämpfte im Februar 1714 bei Stor-Kyro mit außerordentlicher Tapferkeit gegen die russische Übermacht unter Apraxin, mußte sich aber schließlich mit großem Verlust nach Osterbotten zurückziehen. Im September 1718 mit 6000 Mann nach dem nördlichen Norwegen zur Eroberung Drontheims gesandt, sah er auf dem Rückmarsch über die Tydalsfjelde den größten Teil seines Heers durch Kälte und Hunger zu Grunde gehen und entging selbst mit wenigen kaum dem Verderben. Später zum General der Infanterie, Freiherrn und Oberbefehlshaber in Finnland ernannt, starb er 24. Okt. 1736.