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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Arndt

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Arndt.

Deutsche", eine zweite: "Kriegs- und Wehrlieder", 1815. Dieselben gingen später in die vollständigen Ausgaben seiner "Gedichte" (zuerst Frankf. 1818, 2 Bde.; Ausgabe letzter Hand, Berl. 1860; 2. Aufl. 1865) über. Noch 1813 veröffentlichte er einen dritten Teil seines Werks "Geist der Zeit", worin er die Grundzüge eines neuen, zeitgemäßen Verfassungszustands in Deutschland gab, die er weiter ausführte in der Schrift "Über künftige ständische Verfassungen in Deutschland" (1814). Der Vertretung des Bauernstands widmete er eine besondere Schrift (1815). Während die deutschen Heere auf französischem Boden kämpften, ließ er Flugblatt auf Flugblatt ausgehen, so: "Über Sitte, Mode und Kleidertracht", "Entwurf einer deutschen Gesellschaft", "Blicke aus der Zeit in die Zeit", "Über die Feier der Leipziger Schlacht", sämtlich von 1814, dann "Friedrich August von Sachsen", "Die rheinische Mark und die deutschen Bundesfestungen", beide von 1815. Seine publizistische Thätigkeit konzentrierte er in der Zeitschrift "Der Wächter", die er 1815-16 zu Köln herausgab. Im J. 1818 wurde er Professor der Geschichte an der neubegründeten Universität zu Bonn, nachdem er 1817 die Schwester Schleiermachers, Nanna (gest. 16. Okt. 1869), als zweite Gattin heimgeführt hatte. In demselben Jahr erschienen seine "Märchen und Jugenderinnerungen" und der vierte Teil vom "Geist der Zeit". Seine akademische Wirksamkeit war indessen von kurzer Dauer. Nach Beginn der Demagogenverfolgungen infolge von Kotzebues Ermordung wurden wegen des vierten Bandes des "Geistes der Zeit" und wegen Privatäußerungen im September 1819 Arndts Papiere in Beschlag genommen, er selbst im November 1820 von seinem Amt suspendiert und im Februar 1821 die Kriminaluntersuchung wegen demagogischer Umtriebe gegen ihn eröffnet. Dieselbe hatte kein Resultat: Arndts Forderung einer Ehrenerklärung wurde nicht erfüllt, er ward aber auch nicht für schuldig erklärt, sein Gehalt ihm gelassen, die Erlaubnis, an der Universität Vorlesungen zu halten, jedoch nicht wieder erteilt. Eine Schilderung des Prozesses gab A. später selbst in dem "Notgedrungenen Bericht aus meinem Leben, aus und mit Urkunden der demagogischen und antidemagogischen Umtriebe" (Leipz. 1847, 2 Bde.). In den folgenden Jahren schrieb er: "Nebenstunden, Beschreibung und Geschichte der Shetländischen Inseln und Orkaden" (Leipz. 1826); "Christliches und Türkisches" (Stuttg. 1828); "Die Frage über die Niederlande" (Leipz. 1831); "Belgien und was daran hängt" (das. 1834); "Leben G. Aßmanns" (Berl. 1834); "Schwedische Geschichte unter Gustav III. und Gustav IV. Adolf" (Leipz. 1839); "Erinnerungen aus meinem äußern Leben" (3. Aufl., das. 1842). Noch ein andrer tiefer Schmerz traf ihn 1834 durch den Verlust seines Sohns Wilibald, eines blühenden Knaben von neun Jahren, der in den Fluten des Rheins ertrank. Es war einer der ersten Regierungsakte Friedrich Wilhelms IV., A. wieder in sein Amt einzusetzen und ihm seine Briefe und Papiere zurückgeben zu lassen. Die Universität wählte A. 1841 zum Rektor. Neben seiner wieder begonnenen amtlichen Thätigkeit setzte er seine litterarische fort. Es erschienen: "Versuch in vergleichender Völkergeschichte" (2. Aufl., Leipz. 1844); "Schriften für und an seine lieben Deutschen" (das. 1845-55, 4 Bde.), eine Sammlung seiner kleinen politischen Schriften; "Rhein- und Ahrwanderungen" (Bonn 1846). So kam das Hoffnungsjahr 1848 heran, das auch A. mit frischer Jünglingsbegeisterung begrüßte. Er ward von dem 15. rheinpreußischen Wahlbezirk in die deutsche Nationalversammlung gewählt und hier durch feierliche Huldigung der ganzen Versammlung begrüßt. Übrigens beschränkte sich seine Beteiligung an den Verhandlungen auf kurze, aber kräftige Reden im Sinn der konstitutionell-erbkaiserlichen Partei; er war auch Mitglied der großen Deputation, welche dem König von Preußen die deutsche Kaiserkrone anbieten sollte. Am 30. Mai 1849 trat er mit der Gagernschen Partei aus der Versammlung aus und zog sich wieder in die Stille seines akademischen Lebens zurück. Aber den Glauben an eine bessere Zukunft Deutschlands verlor er nicht; dieser Glaube leuchtete aus seinen "Blättern der Erinnerung, meistens um und aus der Paulskirche in Frankfurt" (Leipz. 1849), der letzten größern poetischen Gabe von ihm, sowie aus seinem "Mahnruf an alle deutschen Gauen in betreff der schleswig-holsteinischen Sache" (1854), dem Büchlein "Pro populo germanico" (Berl. 1854), der anmutigen "Blütenlese aus Altem und Neuem" (Leipz. 1857) und der Schrift "Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn H. K. Fr. vom Stein" (Berl. 1858, 3. Aufl. 1870). Wegen einer angeblich den General Wrede und das bayrische Militär beleidigenden Stelle in letzterm Werk ward A. vor das Schwurgericht in Zweibrücken geladen und, da er nicht erschien, in contumaciam zu Gefängnisstrafe verurteilt. Noch völlig rüstig, feierte er unter allgemeiner Teilnahme 1859 seinen 90. Geburtstag, starb aber bald darauf, 29. Jan. 1860. Arndts Bedeutung ist ganz aus seiner Zeit und aus seinem Charakter zu fassen. Als Dichter reiht er sich nur in seinen Schlachten-, Freiheits- und Vaterlandsliedern den großen Dichtern aller Zeiten an; in seinen übrigen Dichtungen fehlt ihm das Bedeutende und Originale, was den Dichter ersten Ranges macht. Er war kein Genie, kein großer Gelehrter und Forscher, auch kein großer Staatsmann, aber voll Begeisterung für die erhabensten Interessen der Menschheit und voll edelster Hingebung für die Sache des Volks, ein mannhafter Charakter, der noch als Greis den Idealen seiner Jugend mit Jünglingsfeuer anhing. Wie er durch seine Schriften und Lieder die Befreiung Deutschlands von der Fremdherrschaft höchst wirksam unterstützt hatte, so suchte er in der Zeit der Reaktion das Verlangen und Streben des Volks nach dem großen Ziel der nationalen Einheit furchtlos und mit Feuereifer aufrecht zu erhalten, "wie ein altes gutes deutsches Gewissen", die Verzagenden stärkend, die Schwankenden in der Treue befestigend, die Feinde des Rechten und Guten mit der Wucht seines heiligen Zornes niederschmetternd. Daher blieb er, obgleich die Zeit viele seiner Ansichten überflügelt hatte, gleichsam das Banner, um welches auch die jüngern Generationen der Vaterlandsfreunde sich scharten, und sein Verlust ward schmerzlich empfunden. Sein Inneres und Äußeres spiegelte in seltener Reinheit die Eigenschaften, die den deutschen Mann zieren: eine feste, energische Gestalt, ein reiches, poetisch gestimmtes Gemüt, sittlichen Ernst und Strenge, heiße Liebe zu Freiheit und Vaterland. Im J. 1865 wurde ihm in Bonn ein Bronzedenkmal (von Afinger) errichtet; seinem Andenken ist auch der 21 m hohe Turm auf dem Rugard auf der Insel Rügen (1873) gewidmet. Arndts Biographie schrieben Langenberg (neue Ausg., Bonn 1869), Baur (5. Aufl., Hamb. 1882), Rehbein und Keil (Lahr 1861) und Schenkel (2. Aufl., Elberf. 1869). Vgl. "Briefe an eine Freundin" (Charlotte v. Kathen), herausgegeben von Langenberg (Berl. 1878).