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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Athen

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Athen (Geschichte: römische Herrschaft).

einzunehmen versucht hatte (378), an Theben anschlossen, fanden sie freien Spielraum, um wieder eine, freilich im Vergleich mit der frühern Zeit beschränkte, Seeherrschaft zu begründen, welche ca. 70 Städte und Inseln umfaßte, die ihre Autonomie zugesichert erhielten. Als die Spartaner dies zu hindern suchten, wurden sie bei Naxos (376) von Chabrias geschlagen, und Timotheos, Konons Sohn, sowie Iphikrates dehnten diese Herrschaft auch im westlichen Meer aus. Als Thebens Macht zu groß wurde, Epameinondas und Pelopidas den Böotischen Bund erneuerten und diesem eine herrschende Stellung in Griechenland zu erringen strebten, schloß A. 371 mit Sparta Frieden und sah unthätig dem Kampf zu, der die Kräfte Thebens und Spartas aufrieb. Aber zur Erneuerung der frühern kühnen Politik, welche allein A. die Hegemonie hätte verschaffen können, zumal da in Makedonien ein neuer mächtiger Nebenbuhler auftrat, fehlten den Athenern selbstlose Vaterlandsliebe, Eintracht, Mäßigung, freier Blick und jener Schwung in den Gemütern, welcher sie in den Perserkriegen auszeichnete. Ihre ungerechte Gewaltthätigkeit gegen die Bundesgenossen bewirkte 357 den Abfall der mächtigsten, und in dem Bundesgenossenkrieg (357-355) rieb A. seine Kräfte auf, ohne einen Erfolg zu erreichen; die meisten Bundesgenossen mußten freigegeben werden, der Athenische Seebund beschränkte sich auf Euböa und einige kleine Inseln, von denen es an Beiträgen nur 45 Talente empfing.

A. war daher kaum mehr im stande, den Kampf mit Makedonien aufzunehmen, wozu Demosthenes mit patriotischem Eifer unermüdlich riet, und seine Schwäche hätte eine friedliche Übereinkunft mit König Philipp über die Verhältnisse Griechenlands wohl entschuldigt. Aber zu dieser Resignation mochten sich die Athener in Erinnerung an ihre stolze Vergangenheit nicht verstehen, und so schwankten sie jahrelang zwischen kühnen Anstrengungen, Philipp die Spitze zu bieten, und schwächlichen Friedensverträgen hin und her, während der schlaue Mazedonier, einen offenen Bruch mit A. vermeidend, immer weiter vordrang und sich endlich in Mittelgriechenland mit solcher Macht festsetzte, daß er den entscheidenden Kampf wagen konnte. In diesem stritten die Athener im Bund mit den Thebanern bei Chäroneia 338 mit altem Heldenmut; ihre Niederlage war eine rühmlichere als am Ende des Peloponnesischen Kriegs. A. mußte sich zwar den von Philipp gegebenen Bedingungen fügen und den Makedonierkönig als Bundesfeldherrn von Griechenland anerkennen; doch verdankte es dem Ruhm und den Verdiensten seiner großen Männer eine milde und ehrenvolle Behandlung von seiten der Sieger, die von Bewunderung und Ehrfurcht für athenische Kunst und Wissenschaft erfüllt waren. Gleichwohl konnten die Athener den Verlust ihrer Freiheit und ihrer Hoffnungen auf Wiederherstellung der frühern Macht nicht sofort verschmerzen. Nach Philipps Ermordung (336) und auf die falsche Nachricht vom Tod Alexanders (335) stellten sie sich unter Demosthenes' Führung nebst den Thebanern an die Spitze der Erhebung, welche das makedonische Joch abschütteln sollte. Sie scheiterte, aber auch Alexander schonte A. aus Achtung vor seiner Vergangenheit und ehrte es während seines Eroberungszugs in Persien wiederholt durch Briefe und Geschenke. Noch einmal versuchte A. nach dem Tod Alexanders, die griechische Freiheit wiederherzustellen: angestachelt von Hypereides, geführt von Leosthenes, begann es gegen Antipatros den Lamischen Krieg (323-322), welcher aber nach der Schlacht bei Krannon mit der völligen Niederwerfung Athens endigte. Hypereides und Demosthenes starben als Märtyrer der griechischen Freiheit, A. aber erhielt eine makedonische Besatzung, verlor infolge einer neuen Zensuseinrichtung über die Hälfte seiner Bürger und wurde durch eine von Antipatros eingesetzte oligarchische Regierung beherrscht, an deren Spitze Demades und Phokion standen. Diese Oligarchie wurde gestürzt, als nach Antipatros' Tod 318 Polysperchon und Olympias die Oberhand bekamen; Phokion wurde hingerichtet und eine Demokratie eingesetzt, welche aber bald wieder aufhörte, als Kassandros in A. erschien und Demetrios von Phaleron an die Spitze der Verwaltung stellte, der nun 317-307 A. zu einem beträchtlichen Wohlstand erhob. Trotzdem riefen die Athener, welche in Demetrios den aufgedrungenen Gebieter haßten, Demetrios Poliorketes gegen ihn zu Hilfe, der 307 die Stadt einnahm und die demokratische Verfassung wiederherstellte, wofür ihm das der Freiheit unwürdige Volk von A. die ausschweifendsten Ehren dekretierte. So schnell erlosch aber die Zuneigung der wankelmütigen Menge wieder, daß man dem durch die Schlacht bei Ipsos (301) seiner Macht beraubten "Oberfeldherrn des befreiten Griechenland" die Thore verschloß. Derselbe eroberte 298 die Stadt, behandelte sie aber mit unverdienter Milde, indem er ihre Verfassung nicht antastete, sondern sich damit begnügte, in den Hafen von Munychia und in den Piräeus Besatzungen zu legen. Auch diese wurden 287 mit Hilfe des Epeirotenkönigs Pyrrhos vertrieben, wodurch die volle Unabhängigkeit wiedergewonnen ward, aber nur auf kurze Zeit, denn des Demetrios Sohn Antigonos Gonatas bemächtigte sich im Chremonideischen Krieg (266-262) der Stadt und unterwarf sie der makedonischen Herrschaft, von der sie erst frei wurde, als sie von Aratos, dem Feldherrn des Achäischen Bundes, durch Bestechung des Befehlshabers der makedonischen Besatzung erlöst und jenem Bund zugeführt wurde (229).

Athen unter römischer Herrschaft.

Allein eine Rolle von selbständiger Bedeutung hat A. nicht mehr gespielt. In den Verwickelungen zwischen Makedonien und Rom, zuerst 211-205, dann 200-197 und 171-167, war A. eifrig auf seiten der Römer und erhielt von diesen neben Befreiung vom makedonischen Joch auch auswärtige Besitzungen, wie Lemnos, Imbros, Paros, zum Geschenk; allein als 146 Griechenland von den Römern unterworfen wurde, kam auch A., obwohl es sich an dem letzten Krieg nicht beteiligt hatte, unter die Oberaufsicht des römischen Statthalters von Makedonien. Im Innern behielt es seine Ordnungen, nur daß die Römer die aristokratische Regierungsform begünstigten, dem Areopag einen größern Wirkungskreis gaben und den ersten Strategen mit einer Art Regentschaft ausstatteten. Die Hauptbedeutung der Stadt lag von jetzt an darin, daß es durch seine großartigen Bauwerke, durch seine Kunst- und Philosophenschulen, überhaupt als Erbin einer großen Vergangenheit ein Zentralpunkt für die Studien wurde; nicht bloß sendete A. seine Söhne und Schüler nach allen Ländern aus, sondern es wurde auch von den Gebildeten und Bildung Begehrenden, namentlich von den Römern, aufgesucht. Und so genoß die Stadt eines ehrenvollen Daseins, als sie durch eigne Unklugheit einen schweren Schlag erhielt. Aufgereizt von dem Demagogen und Philosophen Aristion, ergriff A. 88 die Partei des pontischen Königs Mithri-^[folgende Seite]