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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Aussatz

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Aussatz.

neuer Pflanzen enthaltenden Organe selbständig ab und zwar meist in einer Weise, welche eine weite Verbreitung der Samen sichert. Da die Samen in den Früchten enthalten sind, so müssen diese selbst sich von der Pflanze ablösen oder sich öffnen, um die Samen zu entlassen. Die Früchte mit nur einem Samen fallen in der Regel als ein Ganzes ab; mehrsamige Früchte können sich auch ablösen, zerfallen aber in ebenso viele Teile, als Samen vorhanden sind. Meistens bleibt in diesem Fall die Frucht mit der Pflanze in Verbindung und öffnet sich, um die Samen freizulassen, indem sie die Ausbildung einer Kapsel annimmt. Hierbei bleibt in der Regel die eigentliche Fruchtwand stehen, und es bilden sich in derselben enge Spalten, durch welche die Samen einzeln und allmählich austreten. Offenbar wird dadurch die weitere Verbreitung der Samen begünstigt, indem sie bald bei dieser, bald bei jener Luftströmung austreten. Dies ist besonders wichtig bei samenreichen Kapseln, deren plötzliche und vollständige Öffnung zu großer Vergeudung der Samen führen würde. Wenn derartige Kapseln mit Längsspalten sich öffnen, so werden dieselben nur im obern Teil der aufrechten Kapsel ausgebildet, so daß diese wie ein oben offener Becher die losen Samen in sich hält. Ähnliches gilt von der oben mit Deckel aufreißenden und in noch viel höherm Grad von der mit kleinen Löchern sich öffnenden streubüchsenförmigen Kapsel, wie sie beim Mohn vorkommt. Die Samen sind durch ihre Rundung und Trockenheit, welche Leichtigkeit bedingt, zu weiter Verbreitung geeignet; befördert wird letztere aber häufig noch durch besondere höchst wirksame Apparate. Diese Flugapparate gewähren den Winden vermehrte Angriffspunkte, sie stellen bald dünne, häutige Ausbreitungen der Schale dar, welche den Rand der Frucht flügelartig umziehen, wie bei den Ulmen, Birken etc.; bald sind es schirmartig ausgebreitete lange Haarstrahlen, welche am Ende der Früchtchen als eine sie an Größe meist vielfach übertreffende sogen. Haar- oder Federkrone befestigt sind, oder auch relativ große Haarschopfbildungen, wie an den Samen der Weiden und Pappeln, bei der Gattung Epilobium etc. In andern Fällen werden Haftorgane gebildet, vermittelst deren sich die Teile den an den Pflanzen vorüberstreifenden rauhen Gegenständen, wie der Wolle und den Haaren der Tiere, den Kleidern der Menschen etc., äußerst fest anhängen und somit oft erst in sehr weiter Ferne von dem Standort der Pflanze wieder abgesetzt werden. Hierher gehören die mit widerhakigen Borsten bekleideten Früchte des Klebkrauts (Galium Aparine), der Haftdolde (Caucalis daucoides), die Fruchtgehäuse der Spitzklette (Xanthium Strumarium), die Fruchtstände der Kletten (Lappa), deren Hüllblätter in eine umgebogene starre Spitze endigen, etc. Bei vielen Gewächsen erfolgt die Verbreitung der Samen auch durch die Gewässer, indem dieselben durch deren Strömungen fortgetrieben werden. Viele Uferpflanzen werden auf diese Weise dem Lauf der Flüsse entlang verbreitet; manche Alpenpflanzen steigen mit den Gebirgsströmen bis in die Ebene herab, und die Samen des Eriocaulon werden sogar von Amerika durch den Golfstrom an die Westküste Europas geworfen. Die Samen genießbarer Früchte werden von Menschen und Tieren, zumal von vielen Vögeln, beim Verzehren oder beim Absatz des Kots an oft weit vom Standort entfernte Stellen gebracht. Auf diese Weise werden viele Pflanzen verbreitet; die Holunderbüsche auf den höchsten Mauern alter Burgen, die Übertragung der Misteln von Baum zu Baum sind hierfür Belege. Endlich werden in manchen Fällen die reifen Samen durch eine von der Pflanze selbst entwickelte Kraft auf ziemliche Entfernungen fortgeschleudert, wie bei der Spritzgurke (Momordica Elaterium). Bei Euphorbia, Dictamnus und Viola zieht sich die Fruchtschale der aufspringenden Kapseln in der Weise zusammen, daß sie die abgerundeten Samen zwischen sich nimmt und sie gewaltsam fortschnellt. Beim Springkraut (Impatiens noli tangere) springt die reife Kapsel beim Berühren plötzlich elastisch auf, und in demselben Augenblick werden die Samen durch die kraftvoll sich zusammenrollenden Kapselklappen weggeschleudert.

Aussatz (Lepra Arabum, Elephantiasis Graecorum, Zaraath bei Moses, Leuke bei den Griechen, Morphea bei den Ärzten des Mittelalters, auch Miselsucht bei den alten Geschichtschreibern, Krimsche Krankheit), eine der ältesten und ekelerregendsten, vorzeiten weitverbreiteten Volkskrankheiten, herrschte im Altertum in Asien, Afrika und Europa und hatte besonders im Mittelalter auch in Deutschland sehr um sich gegriffen. Jetzt noch ist der A. in Asien, Afrika, Amerika, Ozeanien verbreitet, während er bereits seit Jahrhunderten fast aus allen Teilen Europas verschwunden ist und nur noch in einzelnen Distrikten Rußlands und Skandinaviens, auf Island und der Iberischen Halbinsel, in der Provence und an den italienischen Küsten, in Griechenland und auf den Inseln des Mittelmeers regelmäßig vorkommt, nirgends aber in solcher Verbreitung wie in Norwegen, wo man noch 1862: 2119 Aussätzige bei nicht ganz 2 Mill. Einw. zählte. In Deutschland kommen Fälle von A. nur sehr vereinzelt vor. Moses schon kannte die Krankheit sehr genau. In Griechenland und in Italien zu Ciceros Zeiten scheint sie häufig vorgekommen zu sein. Später, im 7. und 8. Jahrh., war sie unter dem deutschen Völkerstamm der Langobarden sehr verbreitet, und in Bremen wurden schon im 9. und in Würzburg im 11. Jahrh. Hospitäler für Leprose gegründet. Die allgemeinere Verbreitung des Aussatzes in Europa im Mittelalter darf mit Recht den Kreuzzügen zugeschrieben werden. Sie erreichte ihren Höhepunkt im 13. Jahrh. und verschwand mit dem Schluß des 16. Jahrh. fast ganz aus der Reihe der chronischen Volkskrankheiten in Mitteleuropa.

Der A. ist vielfach mit andern Krankheiten der Haut zusammengeworfen worden, namentlich mit der Radesyge in Norwegen, dem Pellagra und dem Scarlievo in Italien, mit syphilitischen, lupösen und skrofulösen Hautkrankheiten sowie mit der eigentlichen Elefantiasis. In neuerer Zeit ist die Kenntnis des Aussatzes durch drei norwegische Ärzte, Daniellsen, Boeck und Armauer Hansen, und ganz vorzugsweise durch die Studien von Virchow gefördert worden. Der A. ist durchaus keine auf die Haut beschränkte Krankheit, obschon an dieser die krankhaften Veränderungen am augenfälligsten sind, sondern betrifft auch die Nerven und andre Gewebe und kommt selbst an den innern Organen des Körpers vor. Der A. ist eine allgemeine Erkrankung des Organismus, wobei bedeutende Veränderungen der Haut am meisten in die Augen fallen. Die mangelhafte Hautpflege in früherer Zeit und in der niedern Volksklasse trug natürlich viel dazu bei, die Hauterkrankung nur noch auffälliger zu machen. Man unterscheidet zwei Hauptformen des Aussatzes: die knotige und die glatte oder anästhetische Form. Die knotige Form hat zuweilen einen schnellen, in der Regel aber einen langsamen Verlauf, die mittlere Dauer ist etwa 9½ Jahre. Sie