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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Barcelona

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Barcelona.

offenen See (1,95 km weit bei 2,34 km größter Länge), jedoch den Nachteil, daß das sturmbewegte Meer auch ihn beunruhigt und die Schiffe zuweilen in Gefahr bringt. Auch wird er durch die Versandungen der in ihn mündenden Flüsse Llobregat und des kleinern Besos nach und nach unzugänglicher, und eine dem Hafeneingang vorliegende Sandbank bewirkt, daß nur mittlere Schiffe von 3-4 m Tiefgang einlaufen können, während größere außerhalb des Molo ankern müssen. Der Handel mit dem Ausland wird außerdem noch durch die Unzulänglichkeit der Zollamtsanlagen sehr erschwert. Schon im Mittelalter nahm die Stadt wegen ihrer Schiffahrt im Mittelländischen Meer und nach der Levante einen ausgezeichneten Rang ein; ihr wird mit Wahrscheinlichkeit auch die Abfassung des berühmten Gesetzbuches über Seerecht zugeschrieben, das unter dem Namen Consolato del mar schon im 13. Jahrh. im Mittelmeer als allgemein geltend anerkannt wurde, und die frühsten Nachrichten über den Gebrauch der Versicherung gegen Seegefahr und der Wechsel finden sich in ihren Annalen. Im J. 1883 liefen in B. 4308 Schiffe (darunter 1557 Dampfer) mit 1,476,694 Ton. ein, und 4263 Schiffe (darunter 1559 Dampfer) mit 1,726,555 T. liefen aus; Im Ballast kamen 216 Schiffe mit 53,820 T. und gingen 1140 Schiffe mit 466,037 T. (es fehlt eben häufig an Rückfracht in B.). 1883 liefen 1006 fremde Schiffe von 624,964 T. und 3302 spanische Schiffe von 851,730 T. beladen ein. Der Wert des Imports betrug 240, der des Exports 230 Mill. Pesetas. Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind: Baumwollgewebe, Leinengewebe, Schafwoll- und gemischte Gewebe, Baumwollgarn und Zwirn, Wein, Schuhwaren, Leder, Mehl und Papier. Die Manufakturwaren werden hauptsächlich nach dem spanischen Westindien verladen. Der meiste Wein und Branntwein geht ebenfalls nach Cuba und Südamerika, neuerdings auch nach Frankreich, weniger nach dem Norden Europas. Die Haupteinfuhrartikel sind dagegen: rohe Baumwolle, Chemikalien und Farbstoffe, Getreide, Spiritus, Leinengarn, Holz und Binderwaren, Zucker, Kohle, Felle und Häute, Maschinen. Dampfschiffsverbindungen bestehen mit den spanischen Küstenstädten, mit Marseille und Genua, mit Cadiz, Lissabon und Liverpool, Rio de Janeiro und Buenos-Ayres. Eisenbahnlinien führen nach Gerona und Frankreich, Pamplona, Saragossa, Bilbao, Madrid, Valencia und Andalusien. Eisenbahnen lokalen Charakters sind die Linie über Granollers zum Anschluß an die nach Frankreich führende Bahn, mit Zweigbahnen nach Ripoll und Caldas de Mombuy, und dann die 5 km lange Eisenbahn nach Sarria. Eine Pferdebahn führt von Gracia über die Rambla zum Hafen von B. Die Stadt besitzt eine Sukkursale der Nationalbank und mehrere andre Bank- und Kreditinstitute, einige Seeassekuranzgesellschaften und viele auswärtige Konsulate (darunter auch ein deutsches Berufskonsulat). Besonders wichtig für die Entfaltung der kommerziellen Blüte der Stadt wurde das noch jetzt bestehende Oberhandelskollegium von B. (Junta del comercio), eine alte Institution, die aus der eigentümlichen Munizipalverfassung Barcelonas, dem sogen. Rate der Hundert (Consejo de ciento), hervorging, welche König Jayme I. von Aragonien 1274 der Stadt erteilte. Die Junta besteht gegenwärtig aus 14 stimmfähigen Mitgliedern von zweijähriger Amtsdauer und einem von der Regierung ernannten Sekretär. Der Intendant der Provinz ist als solcher Präsident der Junta. Unter den Wohlthätigkeitsanstalten sind 6 Hospitäler, darunter das allgemeine Hospital (für 3000 Kranke) und das des heil. Lazarus, ein Waisenhaus. Eine großartige, wohleingerichtete Anstalt ist auch das Zucht- und Korrektionshaus.

Nächst Madrid hat B. die meisten wissenschaftlichen Anstalten. Es besitzt eine Universität mit 5 Fakultäten (1430 gestiftet) und Notariatsschule, einen botanischen Garten, eine Kunstschule, stark besuchte Handelsschule, eine Industrie- und eine Schifffahrtsschule, eine Real- und eine lateinische Schule, ein theologisches Seminar, mehrere Colegios, dazu hinlängliche Elementarschulen, 4 Akademien (namentlich für Naturwissenschaften und Künste), ein anatomisches und naturhistorisches Museum, verschiedene Bibliotheken (die Bibliothek San Juan mit 40,000, die bischöfliche mit 15,000 Bänden) und reichhaltige Archive, unter denen das erwähnte sogen. aragonische Archiv das größte und interessanteste ist. B. ist der Sitz eines Bischofs, eines Generalkapitäns, Gouverneurs, eines Appellationsgerichts, eines Handelskollegiums, Handelsgerichts und Seekonsulats. Zur Verteidigung der Stadt dienen außer einigen Batterien bei der Vorstadt Barceloneta das als unbezwinglich geltende Fort Monjuich im SW. auf der Spitze des gleichnamigen, 240 m hohen schroffen Kegelbergs (im Altertum Mons Jovis, später Mons Judaicus, woraus der jetzige Name entstanden ist) und das stark befestigte Gebäude der Atarazanas (des ehemaligen Arsenals) im S. Die eigentliche Citadelle, am nordöstlichen Ende der Stadt, die 1715 auf Befehl Philipps V. aus Mißtrauen gegen die freiheitliebenden Barcelonesen erbaut wurde und sehr stark befestigt war, aber zu tief lag, um die Stadt hinlänglich verteidigen zu können, ward, wie oben erwähnt, nebst den alten Wällen und Bastionen in neuester Zeit geschleift. Seit neuerer Zeit wird die Stadt durch Wasserleitung aus den Bergen mit gutem, reichlichem Trinkwasser versehen. Schöne Punkte in der Umgegend sind die Orte Gracia, San Gervasio, Sarria, Sans, San Martin de Provensals, Horta, zum Teil industrielle, zum Teil Villenvororte von B. mit schönen Garten- und Parkanlagen, und der 532 m hohe Berg Tibidabo, der eine herrliche Aussicht auf die Ebene von B. und auf das Meer gewährt.

Geschichte. B., angeblich von Hamilkar Barkas gegründet, war Hauptstadt der Lacetaner im tarraconensischen Spanien, dann römische Kolonie mit dem Beinamen Faventia. Die jetzige Stadt steht, da das Meer zurückgewichen ist, zum Teil auf neuem Grund. 415 eroberte Athaulf, König der Goten, B. und wurde daselbst erschlagen und begraben. 713 wurde B. von den Arabern unter Musa erobert, 801 aber von Ludwig, dem Sohn Karls d. Gr., wieder genommen und zur Hauptstadt der spanischen Mark gemacht, zwar 752 von den Arabern aufs neue erobert, aber schon im 10. Jahrh. wieder von selbständigen Markgrafen regiert. In B. wurden in den Jahren 540, 599, 906 und 1064 Kirchenversammlungen gehalten. 1137 wurde B. infolge der Vermählung des Grafen Raimund Berengar IV. mit Petronella, des Königs Ramiro von Aragonien Tochter, mit letzterm Königreich vereinigt. Nach mehreren mißlungenen Versuchen, sich der aragonischen Herrschaft zu entziehen, war B. 1640 Mittelpunkt des Aufstandes gegen Philipp IV. und unterwarf sich Frankreich, wurde aber 1652 nach 15monatlicher Belagerung der spanischen Herrschaft wieder unterworfen. Im spanischen Erbfolgekrieg stand es auf seiten des habsburgischen Prätendenten Karl und wurde daher 1714 von dem Herzog von Berwick be-^[folgende Seite]