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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Béranger

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Béranger.

Namens. Da fielen seit 651 n. Chr. Mohammedaner ins Land und nötigten die christlichen Berberkönige zum Tribut. Um 1320 erlag das Reich Dongola dem letzten Ansturm der Moslems, und die B. schwuren zum Propheten. Bis in unser Jahrhundert blieben sie unter viele aus angesehenen Familien stammende Häuptlinge (Moluk) verteilt, unter denen dann noch Distriktsvorsteher (Koschaf) geboten. Um 1815 kamen die Reste der von Mehemed Ali aus Ägypten vertriebenen Mamelucken ins Land und unterjochten die B. Ihnen nach rückten die Türken, welche ganz Nubien unter die Gewalt des Statthalters von Ägypten zwangen. Die B. sprechen eine wohllautende, vokalreiche Sprache, in welcher Brugsch verwandtschaftliche Beziehungen zum Altägyptischen und Koptischen aufgefunden hat; sie zerfällt in die beiden Dialekte des Kenusi und Mahasi. Vgl. R. Hartmann, Naturgeschichtlich-medizinische Skizze der Nilländer (Berl. 1866).

Béranger (spr. -rangscheh), Pierre Jean de, berühmter franz. Liederdichter, geb. 19. Aug. 1780 zu Paris von armen Eltern, wurde von seinem Großvater, einem armen Schneider, erzogen und nach dem Sturm auf die Bastille (1789) zu einer Tante gegeben, die ein Wirtshaus in Péronne hielt. In seinem 14. Jahr trat er bei einem Buchdrucker in die Lehre, lernte hier in kurzer Zeit orthographisch schreiben und gewann die ersten Begriffe von Stil und Versbau. Im J. 1797 kehrte er nach Paris zu seinen Eltern zurück. Seine Neigung zur Poesie wuchs immer mehr, seitdem er sich einige Male den Eintritt ins Theater und zu den Lustspielen Molières verschafft hatte. Indessen kam von seinen Entwürfen zu größern Dichtungen (eine satirische Komödie: "Hermaphrodites", ein episches Gedicht: "Clovis", ein religiöses Idyll: "Le pélerinage") keiner zur Ausführung. Sein Vater, der eine Bank gegründet hatte, an der auch der Sohn beschäftigt war, hatte durch verfehlte Spekulationen und royalistische Konspirationen sich zu Grunde gerichtet; die Familie lebte in der größten Dürftigkeit, und schon faßte der junge B. die Idee, als Soldat nach Ägypten zu gehen, als seine lyrischen Versuche dem damaligen Senator Lucian Bonaparte vor Augen kamen (1803), der dem jugendlichen Dichter den eignen, ihm als Mitglied des Instituts zukommenden Jahresgehalt anwies. 1809 erhielt er auf Arnaults Empfehlung eine Sekretärstelle an der Universität mit 1000 Frank (später 1200) Gehalt, die er bis 1821 verwaltete. Das genügte, um dem Dichter seine Sorglosigkeit und seinen Frohsinn wiederzugeben. In diese Zeit (1810-1814) fallen einige seiner leichtesten und lustigsten Lieder. 1813 wurde er in die fröhliche Genossenschaft des "Caveau" aufgenommen, deren Präsident Desaugiers war, und in demselben Jahr dichtete er die feine, beißende Satire auf Napoleon: "Le roi d'Yvetot". Die erste Sammlung seiner Lieder: "Chansons morales et autres" (Par. 1815), in denen die Politik noch unberührt blieb, wurde mit der rauschendsten Begeisterung aufgenommen, trug ihm aber eine herbe Rüge von seiten der vorgesetzten Behörde ein. Unbekümmert darum sang B. weiter, gab aber an demselben Tag, an welchem die zweite Sammlung erschien, seine Entlassung ein (1821). In der Zwischenzeit war nämlich in ihm eine große Wandlung vorgegangen. Teilnahmlos hatte er 1814 das Empire fallen und die Restauration einziehen sehen; das ihm während der Hundert Tage angetragene Amt eines Zensors hatte er ausgeschlagen. Aber je mehr die Reaktion um sich griff, je unverhüllter die Pläne der "Junker und Pfaffen" zu Tage traten, um so heftiger wurde Bérangers Opposition. Neben Liedern, die Lisette und den Wein besingen, finden sich: "Le marquis de Carabas", "Paillasse", "Le ventru", "Les capucins", "Les révérends pères"; aber auch: "Les enfants de la France", "Le vieux drapeau", "Le cinq mars", welche den patriotischen Enthusiasmus in allen Herzen entflammten. Schon waren 11,000 Exemplare verkauft, als die Regierung die übrigen mit Beschlag belegte und den Dichter vor Gericht zog, das B. zu dreimonatlicher Gefängnisstrafe und 500 Fr. Geldbuße verurteilte. Eine dritte Sammlung: "Chansons nouvelles", erschien 1825, eine vierte: "Chansons inédites", folgte 1828; sie trug dem Dichter einen neuen Prozeß, neun Monate Gefängnis und 10,000 Fr. Geldbuße ein, welche sofort durch eine von seinen Freunden (Laffitte u. a.) eröffnete Subskription gedeckt wurde. So erreichte die Regierung ihren Zweck nicht; der Dichter ging ruhig ins Gefängnis und besang weiter "die Feinde des Fortschritts und der Freiheit". In welchem Maß diese Lieder der Julirevolution vorgearbeitet haben, läßt sich am besten aus der 1833 herausgegebenen letzten Liedersammlung erkennen. Aber die ihm angebotenen Ämter und Würden lehnte er standhaft ab, ebenso wie den Sitz in der Akademie, einen Platz als Deputierter nach der Februarrevolution und das Kreuz des zweiten Kaiserreichs. 1833 hatte er seinem Verleger Perrotin alle seine Werke für eine Leibrente von 8000 Fr. verkauft; seitdem lebte er meist auf dem Land, in Passy, erst seit 1852 wieder in Paris, wo er 16. Juli 1857 starb. Der Staat übernahm die Kosten der Bestattung; er wurde begraben mit den Ehren eines Marschalls von Frankreich. Seine nachgelassenen Werke ergaben wider Erwarten nur 2 Bände: "Ma biographie" (1857), die nicht viel Neues brachte, und "Dernières chansons" (1857), enthaltend 94 Lieder aus den Jahren 1834-51, von denen einige an seine beste Zeit erinnern. Seine "Œuvres complètes" mit und ohne Illustrationen haben zahlreiche Auflagen erlebt; auch die Melodien zu den Liedern: "La musique", wurden gedruckt. Eine treffliche Übersetzung der sämtlichen Gedichte hat Seeger geliefert (2. Aufl., Stuttg. 1859), einzelne haben Chamisso und Gaudy in ihre Sammlungen aufgenommen. Zu erwähnen sind außerdem die Übersetzungen von Laun (Brem. 1869) und von St. Born (Stuttg. 1883). B. wußte die Saiten anzuschlagen, die in dem Herzen seines Volks den lebendigsten Widerhall fanden, und dies hat ihm vorzüglich die außerordentliche Popularität verschafft, die ihm wie selten einem Dichter zu teil ward. Seine Lieder leben im Munde der Hohen wie der Niedern seiner Nation: man trällert sie auf Spaziergängen, braucht sie als Wiegenlieder; der Soldat singt sie auf dem Marsch, der Gefangene im Kerker, ja selbst der schwarze Sklave in den Kolonien singt "Le Dieu des bonnes gens". So ward der größte der Chansonniers Frankreichs auch sein erster Volksdichter. Seine Gesänge sind meist satirischen Inhalts und verspotten die Gegner des liberalen Aufschwungs, weltliche wie geistliche, oder sie stehen in näherer oder entfernterer Beziehung zu Zeitereignissen; wenige halten sich frei von politischen Anklängen. Die meisten sind von unbeschreiblicher Anmut, von der liebenswürdigsten Naivität, der man auch einen laxen Scherz gern verzeiht, und erheben sich oft zu einem Adel des Stils und einem Gedankenflug, der den Dichter den gefeiertsten seiner Nation, ja den größten Lyrikern aller Völker an die Seite stellt. Dahin ge-^[folgende Seite]