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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Berlin

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Berlin (Stadtteile, Brücken, Straßen, Plätze, öffentliche Anlagen).

ersten Kreis bilden. Im W., N. und S. schiebt sich sodann noch ein dritter, im O. allerdings nicht geschlossener Kreis vor, dessen Mitte von dem Tiergarten eingenommen wird. Nördlich davon liegen Moabit, Wedding und die Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt, südlich die Friedrichsvorstadt, das Schöneberger und Tempelhofer Revier. Mit der alten Stadtmauer sind auch die Thore verschwunden bis auf eins, das Brandenburger Thor, welches von den Linden zur Chaussee nach Charlottenburg führt. Es wurde unter Friedrich Wilhelm II. von Langhans nach dem Vorbilde der Propyläen zu Athen 1789-93 errichtet, hat eine Breite von 62,5 m bei 20 m Höhe und besteht aus einem Doppelportikus von 12 dorischen kannelierten, je 14 m hohen Säulen, die fünf Durchgänge bilden: der mittelste ist nur für die Equipagen des Hofes bestimmt, die beiden auf jeder Seite daran liegenden für Fuhrwerke, während für Fußgänger neben den fünf Durchgängen ein im gleichen Stil gehaltener Säulenbau 1868 hinzugefügt ist. Die Attika trägt die in einer Quadriga stehende Siegesgöttin, 6,3 m hoch, von Schadow modelliert, von Jury und Gerike in Kupfer getrieben; diese Viktoria wurde 1807 von den Franzosen entführt, um den Triumphbogen auf dem Karussellplatz in Paris zu zieren, allein sie kam nicht zur Aufstellung und wurde 1814 zurückgebracht. Seitdem fährt sie das Viergespann (anders als vor 1807) der Stadt zu, und in die Spitze ihres adlergekrönten Stabes wurde das Eiserne Kreuz eingefügt.

Unter den 48 Brücken der Stadt ist die schönste die Schloßbrücke von den Linden zum Lustgarten, 1822-1824 nach Schinkels Entwürfen gebaut, 48 m lang, 32 m breit. Ihr Geländer wird von acht Marmorgruppen geziert, welche das Leben eines Kriegers durch antike Figuren zur Anschauung bringen (s. Tafel "Bildhauerkunst VII", Fig. 7, und VIII, Fig. 4). In andrer Art bedeutend ist die Lange oder Kurfürstenbrücke, welche, in der jetzigen Form 1692-96 erbaut, vom Schloßplatz zur Königsstraße führt, weil auf ihr das meisterhafteste Standbild Berlins steht, das des Großen Kurfürsten, von Schlüter entworfen und modelliert, von Jacobi in Erz gegossen und 12. Juli 1703 feierlich enthüllt; der Kurfürst in altrömischer Tracht sowie die vier gefesselten Gestalten, welche das Piedestal umgeben, sind von kolossaler Größe. Die übrigen ältern Brücken sind meist sehr einfach und dürftig, wohingegen die neuern, wie die Alsenbrücke am Königsplatz, die Hallesche Thor-Brücke, die Michaelsbrücke, die Schillingsbrücke u. a., mit großer Solidität ausgeführt worden sind.

Die 561 Straßen der Stadt, welchen noch beizufügen sind 22 Gassen, 25 Ufer, 5 Höfe etc., haben zusammen eine Länge von 500 km. Die schönste Straße ist die vom Brandenburger Thor nach dem königlichen Schloß führende Unter den Linden, 1004 m lang, 45 m breit, in der Mitte mit einer vierfachen Baumreihe und einer Promenade, an der Nordseite mit einem Weg zum Reiten, daneben mit Fahrwegen und Trottoirs für die Fußgänger versehen. Hier stehen das Palais des Kaisers, die Kunstakademie, das Kultusministerium, das Ministerium des Innern, die russische Botschaft, die ersten Hotels der Stadt und eine Reihe der glänzendsten Kaufläden. Von den Linden führt in einer gebrochenen Linie nach der Ecke der Friedrichs- und Behrenstraße die Passage (Kaisergalerie genannt), nach Art der Passagen in Paris und Brüssel. Die langgestreckte Friedrichsstraße durchschneidet die Stadt von N. nach S. vom Oranienburger Thor bis zum Belle-Allianceplatz und ist 3 km lang. Die Wilhelmsstraße enthält in ihrer ersten Hälfte von den Linden ab das Reichskanzlerpalais, Ministerien- und Gesandtschaftshotels. Die Leipziger Straße verbindet zwei große Plätze (Dönhofs- und Leipziger Platz). An ihr liegen: das Kriegsministerium, das Generalpostamt, das Herrenhaus, Abgeordnetenhaus, das provisorische Reichstagsgebäude und viele glänzende Neubauten. Die neuesten Straßen, welche die reichste Abwechselung des Baustils zeigen, liegen im W. zwischen der Tiergarten-, Potsdamer Straße und dem zoologischen Garten; unter ihnen zeichnen sich die Viktoria-, Bellevue-, Regenten- und Rauchstraße aus. B. zählt 65 öffentliche Plätze, von denen 7 die Bezeichnung "Markt" führen. Als die imposantesten sind zu nennen: der Opernplatz am östlichen Ende der Linden, von den prachtvollsten Gebäuden (Zeughaus, Universität, kronprinzliches Palais, Opernhaus) umgeben; der Gendarmenmarkt (in seiner Mitte, am Denkmal Schillers, Schillerplatz genannt) in der Friedrichsstadt; der Schloßplatz; der Lustgarten zwischen der nördlichen Langseite des Schlosses und dem Museum; der Leipziger Platz; der Wilhelmsplatz in der Friedrichsstadt; der Pariser Platz am Brandenburger Thor, 1880 mit Schmuckanlagen versehen; der Königsplatz (mit dem Siegesdenkmal) nordwestlich von jenem; der Dönhofsplatz an der Leipziger Straße; der Belle-Allianceplatz am Halleschen Thor, kreisförmig mit perspektivischer Einsicht in drei der längsten Straßen.

Die hervorragendste der öffentlichen Anlagen Berlins ist der Tiergarten. Er umfaßt ein Areal von ungefähr 250 Hektar. Ursprünglich ein Wald, der weit in das heutige Stadtgebiet hineinreichte, diente er später wirklich als Tiergarten für Hirsche und Schwarzwild. König Friedrich I. begann seine allmähliche Umwandlung in einen Park; die ersten Alleen wurden zu Anfang des vorigen Jahrhunderts angelegt; endlich erhielt er unter Friedrich Wilhelm III. durch Lenné im wesentlichen seine jetzige Gestalt und wurde dem Publikum übergeben. Es münden in ihn von verschiedenen Seiten neue und prächtige Straßen, schöne Alleen von alten Bäumen wechseln mit andern Baumpflanzungen, anmutige Promenaden mit Wasserpartien, Rasen- und Blumenstücken ab. Hier befindet sich das Standbild Friedrich Wilhelms III. von Drake (1849 errichtet, mit schönem Relief am Sockel; s. Tafel "Bildhauerkunst IX", Fig. 2); ihm gegenüber das Denkmal der Königin Luise von Encke (1880 errichtet); ferner in der Nähe des Brandenburger Thors das Denkmal Goethes von Schaper (1880 errichtet; s. Tafel "Bildhauerkunst X", Fig. 8). Die wichtigsten Partien im und am Tiergarten sind: das königliche Lustschloß Bellevue mit einem besondern Park, die Zelte, eine Reihe von Erfrischungslokalen, der Goldfischteich, der Floraplatz, die Luisen- und Rousseau-Insel, die Löwenbrücke etc. Neben diesem von der Natur gegebenen Park hat die Stadt mit bedeutenden Kosten einige Parke in der unmittelbaren Umgebung der Stadt geschaffen, nämlich den "Friedrichshain" vor dem Königsthor mit den Gräbern der Märzgefallenen und einer Büste Friedrichs d. Gr., und den "Humboldtshain" vor dem sogen. Gesundbrunnen (einem Stadtteil, innerhalb dessen eine früher stark frequentierte Quelle von sehr zweifelhafter Heilwirkung sich befindet). In neuerer Zeit ist ein 14 Hektar großes Gebiet bei Treptow zu einem großen Park umgewandelt worden, ferner soll am Fuß des Kreuzbergs ein Park angelegt werden.